In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Literatur in Österreich 1938–1945 by Uwe Baur und Karin Gradwohl-Schlacher
  • Walter Tschacher
Uwe Baur und Karin Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich 1938–1945. Handbuch eines literarischen Systems 2. Kärnten, Wien: Böhlau, 2011. 312 S.

Bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hatte die deutsche Literaturwissenschaft starke Berührungsängste vor der Literatur, die zwischen 1933/1938 und 1945 in Deutschland und Österreich veröffentlicht wurde. Das war zum Teil eine Folge der Überzeugung, dass im Literatursystem des Nationalsozialismus keine Literatur hohen Ranges entstehen konnte, jedenfalls keine Literatur, die eine literaturwissenschaftliche Untersuchung verdient hätte. Symptomatisch für diese Situation ist beispielsweise die 1980 im Hanser Verlag begonnene Sozialgeschichte der deutschen Literatur, die erst knapp vierzig Jahre später (2009) mit dem Band zur Literatur von 1933–1945 abgeschlossenwurde. Sowohl Hansers Sozialgeschichte als auch der hier zu besprechende Band von Uwe Baur und Karin Gradwohl-Schlacher beheben dieses Manko und beweisen, dass die oben angedeutete Berührungsangst der Vergangenheit angehört.

Die mit der Karl-Franzens-Universität Graz verbundene “Forschungsstelle österreichische Literatur im Nationalsozialismus” arbeitet seit 1986 an der Herausgabe von insgesamt acht Handbüchern, von denen sieben jeweils einem Reichsgau (Steiermark, Kärnten, Niederösterreich/Niederdonau, [End Page 130] Oberösterreich/Oberdonau, Salzburg, Wien und Tirol-Vorarlberg) gewidmet sind und von Band acht, der sich mit Institutionen befasst, abgeschlossen werden. “Band 1: Steiermark” erschien bereits 2009 und der vorliegende zweite Band behandelt “Kärnten.” Wie der Untertitel “Handbuch eines literarischen Systems” bereits andeutet, handelt es sich um ein Nachschlagewerk, dessen Absicht es ist, “im Sinne literaturwissenschaftlicher Grundlagenforschung […] ohne einschränkenden, wertenden Rückgriff auf Kanonbildungen den Zugang zu jenem literarischen Geschehen [zu] öffnen, das dem offiziellen System des ‘Dritten Reiches’ angehörte, das von den Lenkungsinstanzen des Kulturbetriebes gefördert, zumindest aber geduldet wurde” (7). Jeder Band folgt demselben Aufbauprinzip: Der erste Teil behandelt das literarische System des Gaues (z.B. Organisation der Kultur im Gau, Förderung und Zensur, literarische Vereine) und der zweite enthält das Personenlexikon. Im vorliegenden Band werden 62 Autoren und Autorinnen vorgestellt, deren “Selektion” sehr ausführlich beschrieben wird. Um jegliche Arbitrarität zu vermeiden, wurden nur Autorinnen und Autoren ausgewählt, die Mitglied der Reichsschrifttumskammer waren und in mindestens einem offiziellen lexikalischen Quellenwerk wie etwa dem Kürschner Literaturkalender vertreten waren. Darüber hinaus musste sich der Geburtsort entweder in Österreich befinden oder die sogenannte “Ostmark” musste der Hauptwohnsitz zwischen 1938–1945 sein. Schließlich wurde noch das “Publikationskriterium” angewandt, das die “Veröffentlichung einer selbstständigen Publikation literarischer Art zwischen 1938 und 1945” (18) voraussetzte. Es fehlen daher Namen, die der Exilliteratur oder der Literatur der “inneren Emigration” zugerechnet werden. Die individuellen Personenartikel enthalten neben den biographischen Angaben auch Informationen über Wohnorte, Ausbildung, Berufe, schriftstellerische Einkünfte, institutionelle Beziehungen, Förderung und Zensur, Quellen und Archive, selbst- und unselbständige Publikationen, einschließlich Rundfunk- und Filmarbeiten. Da es Baur und Gradwohl-Schlacher um die Darstellung des offiziellen literarischen Systems des dritten Reiches geht, ist es nur konsequent, dass sich ihre Informationen zunächst auch auf offizielle Quellen stützen. Dazu gehören etwa Aufnahmeanträge in nationalsozialistische Organisationen, die meist auch einen Lebenslauf der Antragsteller enthalten, sowie die Korrespondenz nationalsozialistischer Kulturfunktionäre, die sich über Schriftsteller und Schriftstellerinnen äußerten. Baur und Gradwohl-Schlacher betonen wiederholt, in das dargebotene Material nicht wertend eingreifen zu wollen. Die “Archivalien [bilden] die [End Page 131] offizielle Seite [ab], d.h. AutorInnen verfassten Lebensläufe, Fragebögen etc. natürlich adressatengerecht” (87). Deshalb lässt sich auf dieser Stufe nicht entscheiden, inwieweit diese offiziell gemachten Angaben der tatsächlichen Haltung entsprechen. Es wird die Aufgabe zukünftiger literaturwissenschaftlicher Arbeiten sein, diese Daten zu interpretieren.

Der Zeitraum von 1938 bis 1945 bildet selbstverständlich keinen monolithischen Block. Da Baur und Gradwohl-Schlacher auch die Buchpublikationen zwischen 1933 und 1937 aufführen und in den biographischen Abschnitten auch auf die Zeit vor 1938 und nach 1945 eingehen, lässt sich sehr klar feststellen, dass die Jahre 1938 und 1945 für viele Autoren und Autorinnen keineswegs schwierige Übergangszeiten bedeuteten, als die sie nachträglich gern hingestellt werden. Obwohl nichts ohne Genehmigung der Reichsschrifttumkammer veröffentlicht werden durfte, handelt es sich...

pdf