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  • Wiederkehr und Antithese. Zyklische Kompositionen in der Lyrik Ingeborg Bachmanns by Daniel Graf
  • Karl Ivan Solibakke
Daniel Graf, Wiederkehr und Antithese. Zyklische Kompositionen in der Lyrik Ingeborg Bachmanns. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2011. 261 S.

Im Gegensatz zu Theodor W. Adorno, der die Ähnlichkeit von Musik und Sprache leugnet, weil dem Philosophen geformte Töne—und nicht die menschliche Rede—als Bestätigung höherer Humanität gilt, trachtet Ingeborg Bachmann in ihrer der Musik nahestehenden Lyrik nach einer Vereinigung aller Medien, die im Blickfeld eines kommunikativen Kompromisses stehen. Entsprechend zielt sie entweder auf eine lyrische Kontrapunktik oder zyklische Textkonstellation hin, wie die Studie Daniel Grafs unter Beweis stellt, um vor allem im ständigen Wechsel von Neuheiten und Wiederholungen ästhetisch vermitteln bzw. gesellschaftlich wirken zu können. Bachmann betont damit einen Tauschwert ihrer Sprachpartikel, gleich den klingenden Münzen denk- und erlebbarer Aussagen, die nach Maßgabe der Geldzirkulation mediatisiert sind und mit musikalischen Kompositionsprinzipien korreliert werden. Entstammt die Währungsmetapher Nietzsches Fragment “Über Wahrheit und Lüge in außermoralischem Sinne”, so streift die Autorin Adornos Grundthesen vom Warencharakter der Künste in den nach ökonomischen Gesetzen geordneten bürgerlichen Nachkriegsgesellschaft en. Ohnedies bettet Bachmann die Pejorationen in den Denkmodellen Nietzsches und Adornos in das Positivum einer Teilhabe an einer privilegierten Kommunikationsform ein, einer universalen Sprache, die ab- und jenseits alles Alltäglichen liegt. Dadurch gelingt es ihr, das Bekenntnis zur Musikalisierung ihrer Texte zu bekräftigen, gleichzeitig die Vereinigung von Sprache und Klang zu idealisieren. Nicht mehr ist es das unmittelbare Wechselspiel des Wort-Ton-Verhältnisses, das Wahrheit zu zeitigen hat, sondern die Anbindung an ideale Bedeutungsdimensionen, die sich an die Abbildungskriterien universeller Gesetzmäßigkeiten anschließen. Geht die Teilhabe an der universalen Sprache auf die Methexis-Lehre Platons zurück, nach der von den wahrnehmbaren Dingen behauptet werden kann, dass sie auch an den ewigen Ideen partizipieren, so teilen die Ideen den Dingen etwas von der Bestimmung mit, die sie wesentlich besitzen. Folglich sind die von Bachmann angepriesenen Werte nur äußerlich auf eine Verankerung in der Gesellschaft bedacht. Vielmehr führen sie von der Textoberfläche in einen metaphysischen Bereich hinein, in dem es der Annäherung zyklischer Kompositionsform und wiederkehrenden Dichtungsinhalts zukommt, Korrelationen mit einer Universalsprache zu bilden. [End Page 176]

Daniel Grafs exzellente Untersuchung der zyklischen Kompositionsverfahren in der Lyrik Bachmanns befasst sich sowohl mit der strukturellen Bedeutung des Zyklus als Schreibpraxis als auch mit den unterschiedlichen Aussagemöglichkeiten innerhalb des Spannungsgefüges von Einzeltext und Zyklus: “Das Einzelgedicht eines Zyklus ist als eigenständiger Text lesbar, erhält aber im zyklischen Kontext zusätzliche Bedeutungsebenen, die bei isolierter Betrachtung verloren gehen” (16). Damit werden diskursiv-dialogische Textschichten in den Fokus gehoben, mit denen eine der Lyrik Bachmanns inhärente medienreflexive Zugangsweise nachgewiesen wird. Was die für Graf äußerst prägnante Einteilung des semiotischen Materials anbelangt, so geht es der Autorin um Strukturmerkmale, die horizontale und vertikale Textkonfigurationen bewerkstelligen: “Selbst bei chronologischer Anordnung aber vermitteln Zyklen zwischen linearer und rekursiver Bewegung; sie sind Sukzession und Konstellation zugleich” (22). Ausgehend von diesem theoretischen Ansatz gehen Grafs anregende Textanalysen chronologisch vor, indem zuerst die Jugendgedichte, dann die zyklischen Dichtungen im ersten Gedichtband und schließlich die großen, durchkomponierten Zyklen im zweiten Gedichtband in sein systematisches Kalkül integriert werden.

Grafs Interpretationsansätze und akkurate Vorgehensweise scheinen besonders nützlich, wenn er sich der in der Forschungsliteratur häufig diskutierten These widmet, ob und inwieweit der 1956 erschienene, zweite Gedichtband Die Anrufung des großen Bären in seiner Gesamtstruktur als Zyklus anzusehen wäre. Doch auf der Basis systematischer Ausführungen zur zyklischen Kompositionsstruktur kann Graf diese These negieren:

Anstatt auf eine bandübergreifende zyklisch-narrative Bewegung lässt sich der Aufbau von Bachmanns Anrufung meines Erachtens plausibler auf mehrere unterschiedliche Kompositionsprinzipien zurückführen, die als Parameter für das Arrangement eines Gedichtbandes zusammenkommen: beispielsweise Motivstruktur, binnenrelationale Analogiebildung oder das besondere Gewicht von Anfangs- und Schlusspositionen.

(150)

Im Zentrum seines Arguments steht Bachmanns Befähigung, Sinnbilder und Kompositionsprinzipien so abwechslungsreich zu kombinieren, dass ihre Einschließung in die Wiederkehr syntaktischer Strukturen besonders hervorsticht. Wenngleich zunächst zweifelhaft, ob die zyklischen Strukturen alle anderen Formen in den Schatten stellen...

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