In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Olga Neuwirths und Elfriede Jelineks gemeinsames Musiktheaterschaffen. Ästhetik, Libretto, Analyse, Rezeption by Karin Hochradl
  • Karl Ivan Solibakke
Karin Hochradl, Olga Neuwirths und Elfriede Jelineks gemeinsames Musiktheaterschaffen. Ästhetik, Libretto, Analyse, Rezeption. Bern: Peter Lang, 2010. 852 S.

In ihrer Vereinigung führen Wort und Musik zu klangverankerten Erkenntnissen, die unter Hinzuziehung einschlägiger romantischer und idealistischer Medien- und Kunsttheorien auf durchsichtige, bisweilen exklusive Wahrheitsaussagen hinzielen. In ihrer kollektiven Signalwirkung und individuellen Erregung führen sie zum Gesang hin, jener ureigenen Stimme des Menschen, die den Schwellenraum zwischen der Sinnlichkeit der Klangerzeugung und der Aussagekraft des Wortes sichtbar macht. Eingerechnet im Genre des musikalischen Theaters deutet die Integration von Wort, Ton und Darstellung auf die Utopie eines medialen Denkursprungs hin. Denn durch Wiedererlangung ihrer Gleichursprünglichkeit treten Dichtung und Klang in einen Harmoniezustand, in dem eine so ästhetische wie mediatisierte Potenzierung der Aussage erfolgt. Schließen sich Elfriede Jelineks Ausführungen über den Wort-ton-Nexus zunächst an musikphilosophische Gedanken Adornos an, der seinerseits die Sprachähnlichkeit der Tonkunst verwirft, so tut die Autorin dies, ohne sich seiner Hegemonie des autopoietischen Klangs vor dem Wort als Sinnträger zu verschreiben. Im Anschluss an Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard thematisieren ihre medienästhetischen Reflexionen [End Page 161] und textpraktischen Arbeiten eine höchst expressive, performative Wirkungsmacht, mit der die semantischen und syntaktischen Verschiebungen aller Textkomponenten—Semantik, Syntax, Pragmatik, Materialität des Zeichens, Klangvaleurs, Metaphorizität—sich ereignen. Wird überdies im Musiktheaterschaffen eine Assimilation vielerlei medialer Paradigmen anvisiert, so sind die Bühnenwerke sowohl von ihrer äußeren Form her als auch aus ihrer inneren Substanz heraus Zeitkünste, in denen eine in der Performanz des Textes liegende Sinnfülle lesbar wird. Auch in diesem Gattungsbereich weist Jelineks legendäre Sprachvirtuosität auf die zeit- bzw. raumkategoriale Ausschöpfung der Medienflächen hin, doch erst mit ihrem kongenialen Zusammenfinden treten Wort und Klang in eine reziproke Partnerschaft ein. Finden hierbei die semantischen wie syntaktischen Überformungen und Verwandlungen immerzu rasanter, unvermittelter statt, so bestätigt sich letztlich die Materialität der Zeichen, die zum einen zur Rhythmik der Sprache und zum anderen zur Flexibilisierung der Textbewegung tendieren. In der unablässigen Konfrontation von Wort und Ton verzichten die Bühnenvorlagen der Autorin auf reine Sinndeutung und pure Klangentfaltung, um nicht nur für den Hörer haftbar zu werden, sondern auch als Sprachklangzeitkunst gesellschaftliche Wirksamkeit zu erlangen.

In ihrer umfassenden Studie des gemeinsamen Theaterschaffens von Elfriede Jelinek und Olga Neuwirth untersucht Karin Hochradl die vielfältigen Aspekte einer künstlerischen Kollaboration, aus der so andersgeartete Theaterkonzepte und Bühnenexperimente wie Robert der Teufel, Körperliche Veränderungen, Der Wald, Aufenthalt, Bählamms Fest und Lost Highway hervorgegangen sind. Die Zusammenarbeit Jelineks, Absolventin des Wiener Konservatoriums im Fach Orgel und Musikerin mit praktischem und theoretischem Hintergrund, mit der steirischen Komponistin Neuwirth erfährt somit eine hochdifferenzierte, prismatische Bewertung, die außerdem die besprochenen Werke in der seit der Romantik anhaltenden Diskussion über die Grenzübergänge zwischen musikalisierter Poesie und poetisierter Klangkunst neu positioniert. Tangiert der Wort-ton-Nexus bei Jelinek klar umrissene Bereiche der Textkonfiguration, die sich von vereinzelten Anspielungen auf musikalische Werke, Komponisten oder klangliterarische Textfragmente bis hin zu Isomorphien zwischen Kompositionstechniken und Textstrukturen erstrecken, so werden die sechs Kompositionen in dieser Studie nicht nur als Textkonvolute, also aus literaturwissenschaftlicher bzw. librettistischer Perspektive begutachtet, sondern auch als musikalische und bühnentechnische [End Page 162] Werke analysiert, d.h. aus musikwissenschaftlichen wie klangtheoretischen Blickwinkeln betrachtet. Das lesenswerte Resultat figuriert beinahe als selbständige Datenbank zu Ästhetik, Textstruktur, Klangsprache, Stilistik, Programmatik, Rezeption und Musikanalyse, wobei die sorgfältig ausbalancierte Behandlung von Wort- und Klangparadigmen Schule machen könnte.

Aufgrund der detaillierten, überaus komplexen Überlegungen Hochradls zur musikalischen Theaterarbeit per se sowie deren musikalischer und textlicher Bewerkstelligung wird nicht nur eine jeweils werkanalytische Abgerundetheit in den Besprechungen der zur Analyse ausgewählten Kompositionen gewonnen. Vielmehr treten Libretto, Tonsprache und bühnenkonzeptionelle Realisierung in einen direkten Bezug zueinander. Damit erreichen Autorin und Komponistin eine Seltenheit in der Kunstwelt: Die Suggestion einer temporal variationsreichen Mehrstimmigkeit in einem Medium, das sich in der Regel primär räumlicher Konstruktionsprinzipien bedient. Mit dem Indiz auf übereinander liegende Stimmen im Text- und Klanggewebe, die konträre Inhalte vertreten und...

pdf

Share