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Reviewed by:
  • Berliner Chic: A Locational History of Berlin Fashion by Susan Ingram and Katrina Sark
  • Julia Bertschik
Susan Ingram and Katrina Sark. Berliner Chic: A Locational History of Berlin Fashion. Bristol/Chicago: Intellect, 2011. 229 pp. US$ 35. ISBN 978-1-84150-369-1.

‚Arm, aber sexy’, dieser berühmt gewordene, mittlerweile allerdings ein wenig modifizierte Slogan des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit (vgl. http://www.klaus-wowereit.de/dafuer_stehe_ich.html), dient der Studie Berliner Chic als Leitmotiv und Verbindungsklammer. In sieben Kapiteln über die Berliner Museumslandschaft, die Berliner Modegeschichte, (Mode-)Fotografie, [End Page 93] Film und Musik, die Berliner Stadtentwicklung sowie Modeevents vor und nach der Wiedervereinigung versuchen die beiden Autorinnen in einem weiten Panorama vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur aktuellen Gegenwart die Modeverbundenheit der Berliner Kultur aufzuzeigen. Dabei meint Mode hier sowohl Kleidung als auch den jeweiligen Zeitgeist des Neuartigen und der Veränderung, des Flüchtigen und Möglichen. So, wie es spätestens seit (dem auch hier zitierten) Baudelaire die Verbindung zwischen Mode und Moderne nahelegt (93). Als spezifischen ‚Berliner Chic’ (in Anlehnung an eine gleichnamige Berliner Modeausstellung sowie eine Berliner Straßen-Fotografie Heinrich Zilles, die auf dem Umschlag abgebildet ist) machen Susan Ingram und Katrina Sark dabei einen unprätentiösen (gleichwohl teuer vermarkteten und gesponserten) Streetstyle aus, wie er inzwischen global verbreitet ist und vor allem über Modeblogs lanciert wird.

Typische Berliner Einflüsse und Vorläufer eines solchen Modestils sehen die Autorinnen in der handwerklich orientierten Kunstgewerbebewegung der Jahrhundertwende und der Konfektionsindustrie, im Dienstleistungscharakter und der unglamourösen Alltagsverbundenheit der Modefotografie im West- und Ostsektor der geteilten Stadt (vor allem bei F.C. Gundlach und Sibylle Bergemann; hier allerdings fälschlich ‚Sybille’ genannt, 108), aber auch in der Punk- und Technobewegung sowie dem „culturepreneurship“ (203) des hippen Nachwende-Berlin zwischen Avantgarde, Gentrifizierung und Stadtmarketing. Dies lasse sich auf pragmatisch-sachliche, da preußische Traditionslinien (u. a. exemplifiziert am anekdotischen Beispiel Marlene Dietrichs, 212f.) sowie auf eine machtmisstrauische Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und DDR-Vergangenheit zurückführen, wie es hier vor allem die filmischen Beispiele der in Berliner Settings gedrehten Sciencefiction-Filme Equilibrium (2002) und Aeon Flux (2005) sowie die Musikvideos der den traditionsreichen Hansa Tonstudios in Berlin verbundenen Band U2 demonstrieren.

Gerade das letztgenannte Beispiel enthält jedoch auch eine für die Anlage des gesamten Bandes signifikante Ungenauigkeit: Die Trabis der ostdeutschen Automarke in Anton Corbijns Video stehen eben nicht „as global signifiers of ‚Berlinness’“, wie hier behauptet (161), sondern als ‚ostalgische’ Zeichen für Ostberlin bzw. für die gesamte DDR. Auch die erwähnte Kunstgewerbebewegung ist nicht gerade typisch für Berlin, sondern hat ihre Wurzeln in England und Wien, der Deutsche Werkbund wurde zudem in München gegründet. Und nicht zuletzt ließe sich wohl auch die (bis heute) wenig glamouröse Modeauffassung eher als ‚typisch deutsch’ statt als Berlin-typisch charakterisieren, was sich schon in den hier zitierten Aussagen der Museumsleiterin Barbara Mundt und dem Gründer des Modemagazins Achtung, Markus Ebner, widerspiegelt (54 u. 109). Das lässt sich aber durchaus auch historisch begründen: Im lange national zersplitterten Deutschland fehlte es im Unterschied zu Frankreich oder England an der gesellschaftlichen Tradition einer feudalen Hofkultur sowie an einem urbanen Zentrum mit dem dazugehörigen Interesse für Mode und Selbstdarstellung. Zudem brach die bürgerliche deutsche Aufklärung in standes- und geschlechtsspezifischer [End Page 94] Weise radikal mit den Vorstellungen adeliger Galanterie und des künstlichen Mode-Einsatzes. Auch einem in der Folgezeit gleichfalls zu Mäßigung und Triebverzicht verpflichteten, klassischen Konzept deutscher Hochkultur zugunsten künstlerischer Erhabenheit und lebensweltlicher Abstinenz musste die ästhetische Feier verfeinerter Genüsse und modischer Selbstbespiegelung suspekt erscheinen. Ein bewusstes Bekenntnis zur Haute Couture fand in Deutschland hingegen immer dann statt, wenn ‚deutsche Mode’ in kriegstreiberischer Absicht gegen andere in Stellung gebracht werden sollte, wie es auch bei Ingram und Sark mit Blick auf den Ersten Weltkrieg und das ‚Dritte Reich’ vorgestellt wird.

Vor diesem, leider nicht ganz vollständig in den Blick genommenen, historischen Hintergrund ist es nun auch weniger erstaunlich als die beiden Autorinnen meinen, dass es bis heute kein Berliner Modemuseum als permanente Institution gibt (25). Gleichzeitig lässt ihre Beobachtung, dass...

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