University of Nebraska Press
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  • Arthur Kaufmann. A Chess Biography, 1872-1938 ed. by Olimpiu G. Urcan, Peter Michael Braunwarth
Olimpiu G. Urcan, Peter Michael Braunwarth, Hrsg., Arthur Kaufmann. A Chess Biography, 1872-1938. Jefferson und London: McFarland, 2012. 266 S.

Dieser dreiteilige Text behandelt im ersten Teil das Leben und die Schachkarriere Arthur Kaufmanns (1872-1938); der zweite Abschnittführt 71 Spiele in chronologischer Reihe an, und der dritte Teil enthält den Anhang, mit einer Liste der Gegenspieler und einem allgemeinen Wortindex. Die angeführten Spiele nehmen fast ein Viertel des Textes ein. Geschildert wird die Schachkarriere Kaufmanns, aber dieser Band ist nicht nur für Liebhaber dieses königlichen Spiels interessant, sondern auch für alle, die sich mit der Wiener Kultur der Jahrhundertwende befassen, insbesonders mit Arthur Schnitzler.

Arthur Kaufmann wurde am 4. April 1872 in Moldawien geboren. Seine Familie wanderte wegen des zu dieser Zeit herrschenden Antisemitismus nach Wien aus, wo Kaufmann auch die Schulen besuchte. Es ist schwer festzustellen, woher die Begeisterung für das Schachspielen kam. In erster Hinsicht muss Wien erwähnt werden, das man als die Metropole des Schachspielens zu dieser Zeit betrachten kann. Koryphäen des Schachspielens trugen dort ihre Spiele aus, wie Adolf Albin, George Marco, José Raúl Capablanca, Richard Réti und Carl Schlechter. Und dann gab es die Wiener Kaffeehäuser, wo man über eine Tasse Kaffee Zeitungen lesen oder sich dem Schachspiel widmen konnte. Das Wien der Jahrhundertwende besaß nicht nur eine Kaffeehauskultur, sondern auch eine Schachkultur, und es ist sehr leicht möglich, dass Kaufmann, der im Schachspielen Autodidakt war, dort die Grundbegriffe dieses Spiels lernte. Er beherrschte das Spiel bald so meisterhaft, dass er gegen die Großen seiner Zeit spielte und auch viele Partien gewann. Der Grandmaster Mihail Marin, der das Vorwort zu dieser Ausgabe schrieb, bemerkt zu dem Spielstil Kaufmanns folgendes: "I always have been impressed by his pawn play. When needed, he knew how to build up a rock solid structure, but his favorite method was the pawn's natural tendency to advance despite obstacles, an issue approached from a theoretical point of view by Aron Nimzowitsch only a few decades later" (2).

Diese Beschreibung, "to advance despite obstacles," trifft, glaube ich, auch den Kern von Arthur Kaufmanns Wesen. Er war nicht nur ein renommierter Schachspieler, sondern auch Jurist, Privatgelehrter und Philosoph, und als letzter hartnäckig in seinen philosophischen Ansichten. Und hier lieg auch die Verbindung zu Arthur Schnitzler, der ihn hoch verehrte. Wie Hans [End Page 100] Blumenberg in seinem Essay feststellt, brauche jeder Dichter einen Philosophen, und das war für Schnitzler eben Kaufmann. Dr. Kaufmanns Lebenswerk war, die gesamte Philosophie von ihrem Irrweg abzubringen. Und hier liegt auch die Verbindung des Juristen, Privatgelehrten und Philosophen Arthur Kaufmann mit Arthur Schnitzler; er war auch einer der wenigen intimen Freunde des Wiener Dichters.

Kaufmanns Hauptwerk, "Das Märchen vom Werden des Geistes," ist verloren gegangen, und wir kennen es nur aus seinem umfangreichen Briefwechsel mit Arthur Schnitzler, der im Deutschen Literaturarchiv in Marbach/ Neckar liegt (63 Briefe, 79 Bl.), der von den Herausgebern dieses Bandes in englischer Übersetzung angeführt wird. Erschienen war nur ein Essay, in dem Kaufmann Einsteins Relativitätstheorie kritisiert.

Das Zentralanliegen Kaufmanns war, mit den herrschenden Ansichten "von Raum und Zeit aufzuräumen," wie er Schnitzler in seinem Brief vom 1. Juli 1918 mitteilte. Das erklärt auch seine Beschäftigung mit Einsteins Relativitäts-theorie, über die Schnitzler in seiner Tagebucheintragung vom 31. Dezember 1919 folgendermaßen berichtet. Schnitzler nahm regen Anteil an Kaufmann, und er forderte ihn mehrere Male auf, sein Werk, das auf fünf Bände konzipiert war, fertig zu stellen. Er verzeichnete seine Eindrücke von Kaufmann zwischen 1901 und 1930 in über 100 Tagebucheintragungen, und führt Kaufmann auch in seinem Traumtagebuch 1875-1 931 an. Als Kaufmann eine schwere Nervenkrise erlitt—man könnte hier an Dr. B, in Stefan Zweigs Schachnovelle denken—besuchte ihn Schnitzler des Öfteren im Sanatorium; seine Diagnose war "zwanghaftes Weiterdenken seines Systems." Er zweifelte die Paranoia-Diagnose des Arztes an und bemerkte in seine Tagebucheintragung vom 24. Juni 1917: "aber vielleicht lässt sich noch immer hoffen—dass es sich um Genialität handelt, und der Wahnsinn nur als Beigabe betrachtet werden muss." Kaufmann konnte sein Werk nicht fertigstellen. Aber es ist anzunehmen, dass einige von Kaufmanns Ideen in Schnitzlers Werk eingeflossen sind. Wenn Kaufmann z.B. schreibt, dass er den Tod abgeschafft habe, heißt es bei Schnitzler im Ruf des Lebens: "Wer die Zusammenhänge erkannt hat, lebt ewig."

Dieser mit vielen Illustrationen meisterhaft herausgegebene Band zeigt neben Schachpartien, die interessant kommentiert sind, das enge Dekaden umspannende Verhältnis zwischen Kaufmann und Schnitzler. Es ist anzunehmen, dass die einigen sogenannten okkulten Ereignisse in Schnitzlers Werk mit Arthur Kaufmann zusammenhängen. [End Page 101]

Gerd K. Schneider
Syracuse University

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