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Reviewed by:
  • The Impossible Border: Germany and the East, 1914–1922
  • Frank Wolff
The Impossible Border: Germany and the East, 1914–1922. By Annemarie H. Sammartino. Ithaca: Cornell University Press, 2010. Pp. 243. Cloth $39.95. ISBN 978-0801448638.

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die deutsche Grenze im Osten sowohl zum Gestaltungsobjekt als auch zur Projektionsfläche zahlreicher politischer Akteure. Diesen Wandel, der zwischen 1914 und 1922 auch eine Aufmerksamkeitsverschiebung der deutschen Politik gen Osten beinhaltete, erkundet Annemarie Sammartino in ihrem facettenreichen Buch primär durch den Fokus der Migrationsgeschichte. Sie baut dabei auf der Beobachtung auf, dass in diesen Jahren zahlreiche Bewegungen von Menschen und Grenzen eine “crisis of sovereignty” ausgelöst hätten. Der Erste Weltkrieg verschärfte die in Deutschland bereits vorhandene Euphorie der Ostausdehnung des Reiches, weswegen die folgenden territorialen Verluste am Verhandlungstisch eine schwere Hypothek für die Weimarer Republik darstellten.

Besonders wirkte sich dies auf das stark vertretene, rechte politische Spektrum aus. Dieses sieht Sammartino unter den Freikorps im Baltikum in einer federführenden Rolle. In ihrer längeren Betrachtung, die großteils auf bekannter deutschsprachiger Literatur aufbaut, verdeutlicht Sammartino, dass die Freikorps ihre Bewaffnung nicht nur zur Eindämmung der Bolschewiki aufrecht erhielten, sondern dass dies fest an Siedlungskonzepte gebunden war, die die neue europäische Landkarte nicht anerkennen wollten. Der Osten wurde immer mehr zu einem imaginären Raum einer deutschen Zivilisation, die auch eine Gegenvision zum ungeliebten demokratischen und territorial begrenzten Staatswesen der Weimarer Republik darstellte. Als Kontrastpol wendet sich Sammartino im Höhepunkt der Studie aber einer ideologischen Migrationsbewegung ganz anderer Art zu: Die kommunistische Organisation “Ansiedlung Ost” suchte mitten im russischen Bürgerkrieg die Auswanderung in die Sowjetunion zu befördern und gründete südöstlich von Moskau eine entsprechende Kolonie. Zwar blieben die Siedlungsversuche visionär, fanden doch 1920 nur wenige deutsche Kommunisten den Weg nach Kolomna. Als Massenbewegung im Deutschen Reich wurde sie jedoch nicht nur zum Refugium unzufriedener Linker, sondern auch zum Streitpunkt innerhalb der kommunistischen Bewegung, weil sie als schwer kontrollierbare Emigrationsbewegung die sich gerade erst etablierende [End Page 681] kommunistische Partei zu konterkarieren drohte. Inwieweit die “Ansiedlung Ost” als Emigrationsbewegung einer Splittergruppe der Deutschen die in Sammartinos Buch erkundete Staatsgrenze hinterfragte, oder sie gar “verunmöglichte,” bleibt dahingestellt, aber die Einführung dieser hochinteressanten Migrationsbewegung verdient gerade im Lichte der neu aufkommenden Forschung zu Siedlungsbewegungen in der frühen Sowjetunion (z.B. Jonathan Dekel-Chen, Farming the Red Land: Jewish Agricultural Colonization and Local Soviet Power, 1924–1941 [New Haven, 2005]) große Beachtung.

Folgend richtet Sammartino ihre Aufmerksamkeit auf die Rezeption von Ankömmlingen in Deutschland, wobei die Deutschen aus dem Osten und die osteuropäischen Juden besonders berücksichtigt werden. Sie legt dar, dass sich entlang dieser beiden Migrantengruppen das Bild einer zunehmend durch ethnische Kategorien definierten deutschen Staatsbürgerschaft entwickelte. Sammartino sieht darum in den Migrationsdebatten der frühen Weimarer Republik die Wurzel späterer Diskussionen des “Völkischen.” Dies wurde zwar in zahlreichen anderen Studien schon ausführlich und auch wesentlich kontroverser dargestellt, jedoch ist hier der spezifische Fokus der Migration als eine Politik hervorrufende Bewegung durchaus anregend, zum Beispiel im Rahmen aktueller Forschungen zur “Volksgemeinschaft.”

Bereits hier stellt sich also die Frage nach dem Innovationspotential der Studie. Weder die Ethnisierung der deutschen Staatsbürgerschaftspolitik noch der aufkeimende Entwurf eines “Lebensraumes im Osten” oder die ablehnende Haltung der deutschen Politik gegenüber den einwandernden osteuropäische Juden leiden an einer mangelnden Erforschung. Anregend werden hingegen Details ergründet. Am Beispiel der deutschen Heimkehrlager des Roten Kreuz gelingt es ihr, sowohl die wegweisende Arbeit des Roten Kreuz in der Aufnahme deutscher Flüchtlinge zu rekapitulieren als auch darzustellen, wie diese Arbeit in die deutsche Politik hineinwirkte. Diese war bemüht, einerseits den Einstrom zu reglementieren und andererseits deutsche Siedlungen im Osten als Reservoir deutscher Präsenz jenseits der Staatsgrenzen zu erhalten. Das große Manko der Studie ist jedoch, dass die Autorin keine explizite Fragestellung entwickelt und bestehende Forschungsliteratur, die ihr unfraglich bekannt ist, nur partiell und dann eher informierend denn kontrastierend einsetzt. Man könnte fast meinen, es gebe in diesem Feld keine Kontroversen. Daraus folgt, dass dem Leser nicht vermittelt wird, was die Autorin selbst als...

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