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  • Holocaust Lite. Bernhard Schlinks “NS-Romane” und ihre Verfilmungen
  • Thomas W. Kniesche
Holocaust Lite. Bernhard Schlinks “NS-Romane” und ihre Verfilmungen. Von William Collins Donahue. Bielefeld: Aisthesis, 2011. 313 Seiten + 13 s /w Abbildungen. €34,80.

Das vorliegende Buch von William Collins Donahue ist die deutsche Fassung seiner 2010 erschienenen Studie Holocaust as Fiction: Berhard Schlink’s “Nazi” Novels and Their Films und bietet eine systematische Übersicht der Diskussion um den Vorleser, eine Analyse und Interpretation des Romans und seiner Hollywood-Verfilmung durch Stephen Daldry (2008), sowie im ersten Kapitel eine Untersuchung der Krimi-nalromane Schlinks mit dem Privatdetektiv Gerhard Selb und einer Filmversion des Romans Selbs Justiz—dies alles im Kontext der deutschen und der amerikanischen Debatten um den Holocaust.

Bernhard Schlinks Der Vorleser (1995) war und ist ein internationaler Bestseller. Übersetzungen in viele Sprachen liegen vor. Von Kritikern wie Lesepublikum wurde der Roman z. T. euphorisch begrüßt und schon bald nach seiner Veröffentli-chung in den Lektürekanon von Schulen und Universitäten—gerade auch in englisch-sprachigen Ländern—aufgenommen. Es wurden allerdings auch früh schon kritischere Stimmen laut, die Einwände gegen die von Schlink angebotene Thematisierung des Holocaust vorbrachten. Man könnte u.a. auf Besprechungen und Essays von Jeremy Adler, Omer Bartov und Cynthia Ozick verweisen, um nur einige Namen zu nennen. [End Page 467] Die umfassende und informative Bibliographie am Ende des Bandes führt hierzu die einschlägigen Titel an.

Die zentrale These des Buches, wonach es sich beim Roman Der Vorleser und auch bei der Selb-Trilogie um Fälle von “Holocaust Lite” handelt, wird am Anfang kurz und eindringlich formuliert: In den besprochenen Romanen und Filmen gehe es nicht darum, die Shoah zu leugnen, sondern um den Versuch, “den Holocaust loszu-werden, ihn umzuschreiben oder einfach abzuhaken” (16). Der Autor geht von der Annahme aus, dass heute eine weit verbreitete Holocaust-Müdigkeit herrsche, besonders bei den jüngeren Generationen. Dafür kann man auch empirische Belege anführen, etwa regelmäßig durchgeführte Umfragen in der Bevölkerung der Bundesrepublik oder Stellungnahmen von Lehrern. Donahue versucht nun zu zeigen, wie Schlinks NS-Romane—wozu, wie gesagt, die Selb-Trilogie und Der Vorleser gehören—eine Art Doppelstrategie verfolgen, d.h. dass sie zugleich zwei Interessen bzw. Bedürfnisse bedienen, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen müssten: Auf der einen Seite steht die von vielen Menschen als moralische Verpflichtung angesehene Beschäftigung mit den Schrecken der Shoah; auf der anderen Seite der Wunsch, sich mit diesem eigentlich traumatisierenden Wissen endlich auf irgendeine Art zu arrangieren und darüber zur Tagesordnung übergehen zu können. Genau dies leiste Schlink mit sei-nen NS-Romanen. Wie er dies bewerkstelligt, macht den Hauptteil der Analysen des Buches aus.

Donahues Analysen sind umfangreich und komplex und sollen sichtbar machen, was der Autor die “semiotische Sowohl-als-auch Strategie” Schlinks nennt oder was “spaßeshalber als ‘Aphroditestrategie’ ” (31) bezeichnet wird, nämlich zugleich einen bestimmten Prozess und sein Gegenteil zu zeigen oder zu bewirken. Bei dem Vorleser handele es sich nur scheinbar um eine tiefgehende Verarbeitung der Schuldgefühle der sogenannten “zweiten Generation,” also der Söhne und Töchter der Täter; in Wirk-lichkeit werde diese Generation von solchen Schuldgefühlen aber gerade durch eine Art Freisprechung ohne eigentliche Auseinandersetzung mit dem Problem entlastet. Donahues Argumentation überzeugt dabei nicht nur in den Detailanalysen der Texte und der Kontextualisierung von Schlinks Romanen im Umfeld der Debatten um die faschistische Vergangenheit in Deutschland, sondern auch, weil sie für den Erfolg die-ser Romane eine einsichtige Erklärung liefern kann.

In seiner Einleitung betont Donahue sein Interesse für eine richtig verstandene Rezeptionsforschung (27). Diesem Interesse folgt er auch konsequent, indem er die gebräuchlichen “Lernhilfen” deutscher Schulbuchverlage für den Vorleser kritisch sichtet und dabei aufdeckt, wie viele dieser Handreichungen die subtilen Verharmlo-sungsstrategien Schlinks nicht nur nicht erkennen, sondern auch noch verstärken. Dem gegenüber steht die Hollywood-Verfilmung des Romans, die bei aller möglichen Pro-blematik doch—und das mag eher überraschen— nach Donahue einen produktiveren Umgang mit der Problematik der Shoah und der Verarbeitung von Schuld ermöglicht als die Romanvorlage.

Gegenüber...

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