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  • Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien
  • Heinrich Detering
Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien. Herausgegeben von Christian Klein. Stuttgart: Metzler, 2009. xv + 485 Seiten. €64,95.

Seit die Sumerer neugierig darauf waren, sich von den Taten Gilgameschs und Enkidus erzählen zu lassen und seit Homer die Musen darum bat, ihm bei den Gesängen vom vielgewanderten Odysseus beizustehen, gehören Erzählungen vom Leben einzelner Menschen zum Grundbestand aller Literatur. Die Unterscheidung zwischen auf Vollständigkeit angelegten Lebens-Darstellungen im engeren Sinne und sonstigen Erzählungen von Taten und Leiden realer Menschen ist demgegenüber schon eine späte Zutat. Ihr aber verdanken wir seit der griechischen Antike, in unterschiedlichsten Auffächerungen von der Cäsarenvita bis zur Heiligenlegende, die Gattung der "Biographie," bald auch die Sonderform der "Autobiographie"—jene Gattung, an der sich wiederum in jüngster Zeit, von Nietzsche bis zum Poststrukturalismus, die literaturwissenschaftliche Version der subjektphilosophischen Skepsis entzündete. "Was wäre das für ein Ich, das sich schriebe?" fragte Roland Barthes—in derselben Zeit, in der auf dem literarischen Markt Biographien von Künstlern, Politikern, historischen Gestalten einen beispiellosen Boom erleben. Der Proklamation vom "Tod des Autors" trat eine Phalanx erzählerisch revitalisierter Künstlerfiguren entgegen, von der Weltgeschichte bis zur Popkultur. Spätestens seit diesem eigenartigen und lang andauernden Doppel-Phänomen war eine Gesamtdarstellung der immer umfangreicher ausdifferenzierten Biographieforschung ein Desiderat.

Der vorliegende Band erfüllt diesen Wunsch auf vorbildliche Weise. Er gibt eine anschauliche und reich gegliederte Übersicht über fast alles, was man über Geschichte, Theorie und Praxis biographischen Schreibens wissen wollte, und er ist systematisch so klug komponiert, dass man ohne weiteres einzelne Beiträge herausgreifen, mit Gewinn aber auch den Band als Ganzen lesen (oder zur Grundlage von Lehrveranstaltungen machen) kann. Herausgegeben ist er von Christian Klein, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Matías Martínez in Wuppertal und Mitbegründer des "Zentrums für Biographik" (ZetBi). Klein hat bereits 2002 mit dem von ihm herausgegebenen Band Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens einen wesentlichen Beitrag zum Thema geleistet; hier wird es nun in größtmöglicher Vollständigkeit entfaltet.

Als "kulturelle Universalie" beschreibt Klein die Biographik in seiner dichten und souveränen Einleitung, als eine Gattung, die "ein Bedürfnis nach sinnhaften Lebenserzählungen" [End Page 102] befriedigen soll und sich dabei unterschiedlicher Medien bedient. Für die Systematik des Handbuchs heißt das, dass narrative Konstituenten, Rahmenbedingungen und Darstellungsverfahren biographischen Erzählens ebenso behandelt werden wie anthropologische Grundlagen und soziale Bedingungen und Funktionen, gattungstypologische und disziplinäre, historische und regionale Ausdifferenzierungen, unterschiedliche Medien biographischer Narration und schließlich auch aktuelle Praktiken biographischen Schreibens, Grundzüge einer deskriptiven Poetik der Biographik, ökonomische und juris tische Fragen. Ausdrücklich zurückgenommen gegenüber dieser thematischen Fülle ist das, was der Herausgeber als "eher metaphysische Fragen der Existenz" gegenüber der literarischen und wissenschaftsgeschichtlichen Empirie zurückstellt (xiii)—sehr zum Nutzen von literaturwissenschaftlicher Les- und Brauchbarkeit des Bandes. Wo solche Fragen sich gleichwohl unabweisbar stellen, werden sie in den entsprechenden Abschnitten der historischen Darstellungen behandelt, die sich darum auf weite Strecken—gewollt oder nicht—durchaus auch als eine kurze Geschichte abendländischer Konzeptualisierungen von "Person" und "Leben" lesen lassen; die poststrukturalistische Kritik der Subjektphilosophie wird im Beitrag zu Perspektiven der Performativitäts-Forschung ausführlich mitbehandelt (45-53).

Aus einem solchen Gemeinschaftswerk einzelne aus den rund sechzig Beiträgen besonders hervorzuheben, wäre angesichts des hohen Gesamtniveaus nur um den Preis mangelnder Fairness möglich. Immerhin ist es als besondere Leistung des Herausgebers und seiner Mitarbeiter zu würdigen, dass den systematischen und historischen Überblicken im achten und letzten Teil eine so detaillierte Darstellung praktischer Aspekte folgt, die ihrerseits in zwei Teile gegliedert ist: eine mit Recht ausführliche Darstellung biographischen Arbeitens als wissenschaftlicher "Methode" von der Geschichts- über Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaft über Pädagogik und Psychologie bis hin zur therapeutischen "Biographiearbeit" im siebten Teil (hier sind auch den vieldiskutierten thematischen Bereichen der "Gender," "Postcolonial" und "Jew ish Studies" eigene Artikel gewidmet) und eine erfrischend handfeste Einführung in die "Praxis des biographischen Schreibens" im achten und letzten Teil. Sie schließt einen Werkstattbericht von Thomas Karlauf über seine George-Biographie (428-433) ebenso ein...

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