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  • Spuren ins Jetzt: Hedwig Dohm - Eine Biografie
  • Gaby Pailer
Isabel Rohner . Spuren ins Jetzt: Hedwig Dohm - Eine Biografie. Sulzbach.: Ulrike Helmer Verlag, 2010. 155 S. € 19.95. ISBN 978-3-89741-299-6.

Als man die Berliner Schriftstellerin Hedwig Dohm (1831-1919) in den 1970er Jahren wiederentdeckt, wird sie hauptsächlich als gewitzte Wortführerin der ersten deutschen Frauenbewegung im Kaiserreich wahrgenommen. Ihr umfangreiches fiktionales Werk wird dabei als weniger kämpferisch und originell als die polemischen Schriften empfunden. Obschon sich eine Reihe von Arbeiten ab Mitte der 1980er Jahre ihrem [End Page 682] literarischen Werk und ästhetischen Fragen zuwenden - mit Blick auf ihr Erzählwerk, insbesondere die Novelle Werde, die Du bist (1894) sowie die Romantrilogie Sibilla Dalmar (1896-1902) -, ist es der Literaturwissenschaftlerin Isabel Rohner und der Historikerin Nikola Müller zu danken, dass angestaute biografische Mythen und Vorurteilsstrukturen in der Beurteilung ihres literarischen Schaffens aufgebrochen werden konnten.

Bereits in ihrer Dissertation In litteris veritas: Hedwig Dohm und die Problematik der fiktiven Biografie (Berlin: trafo, 2008) untersucht Rohner detailliert, wie aus Informationen der Erzählwerke, insbesondere des Romans Schicksale einer Seele (1899), Rückschlüsse auf Lebensumstände und Charakterzüge der Autorin gezogen wurden, denen auch im Zug ihrer wissenschaftlichen Rezeption Faktizität zuwuchs. Müller hatte bereits 2000 eine kommentierte Bibliografie zur Autorin vorgelegt, und beide gemeinsam hatten im Berliner trafo-Verlag die sukzessive Neuausgabe sämtlicher Werke Dohms unternommen, ergänzt um eine Ausgabe sämtlicher aufgefundener Briefe.

Mit ihrem literarischen Porträt Spuren ins Jetzt legt Rohner nun eine Biografie vor, die zum einen die gemeinsamen Funde und Forschungsergebnisse zusammenfasst und zum anderen dafür plädiert, Dohm als Autorin nicht nur ihrer, sondern auch unserer Zeit, ernstzunehmen. Die weitgehend chronologische Darstellung besticht durch die Redlichkeit, mit der zwischen den Ebenen der eigenen Recherche und den verarbeiteten Quellen unterschieden wird. Die Verfasserin lässt deutlich werden, dass es sich auch bei ihrer Präsentation von Dohms Lebensgeschichte um eine weitere Narrative handelt, die sich von vorherigen biografischen Narrativen unterscheidet, indem sie als solche markiert ist.

Sehr eindrucksvoll gestaltet sich dies im Kapitel über Dohms Romreise zu ihrer Schwester Anna Schleh (1869/70), wenn Rohner versucht, sich im heutigen Rom Dohms damaligen Aufenthalt zu vergegenwärtigen. Ein großes Plus ihrer Darstellung ist zudem, wie sie die Geschicke der vier Töchter Dohms und ihrer Familien einflicht im Kapitel "Töchter, Töchter." Bedeutend sind hier Aspekte von Verfolgung und Exil, die Dohm selbst nicht mehr miterlebt hat, die jedoch mit ihrer teils jüdischen Herkunft direkt verwoben sind.

Insgesamt ein informatives und lesenswertes Buch, das mit vielen in früheren Biografien entworfenen Mythen aufräumt und zugleich einlädt, sich Dohm auf neue Weise als Persönlichkeit nicht allein im feministischen Diskurs, sondern auch in der Literatur- und Kulturszene ihrer Zeit zu nähern.

Gaby Pailer
University of British Columbia
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