- Rausch und Arbeit, harte Arbeit:John von Düffels Authentifizierungsgeste
Er hatte gewußt, daß ihn das Treffen [...] inspirieren würde. Seit langem hatte er nicht mehr so flüssig, so aus einem Guß geschrieben. Er mußte weit [...] zurückdenken, um sich an einen vergleichbaren Schaffensrausch zu erinnern. Soviel Energie, soviel Arbeitselan hatte er sich selbst kaum mehr zugetraut. Er fühlte sich wie neu geboren.
(Düffel, Vom Wasser 104-05)
Am 19. Juni 2008 spricht John von Düffel als Poetikprofessor an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zum Thema "Literatur und Sport." Die Vorlesung ist die zweite in einer Folge von vier Vorträgen, die er im Rahmen der Poetik-Professur am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft zwischen dem 12. Juni und dem 10. Juli hält. Er reiht sich damit in eine Linie von Autoren ein, die der Lehrstuhl seit 1986 an die Universität einlädt, um dort öffentliche Vorlesungen zu halten und in Seminaren mit Studierenden zu diskutieren (Otto-Friedrich-Universität Bamberg). Ein Forschungskolloquium zum Thema "Körper - Kultur - Familie im Werk John von Düffels" schließt die Professur am 11. und 12. Juli im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia ab (vgl. Catani u. Marx). Hatte Düffel in der ersten Vorlesung noch die Frage der "Kunst des Ich" erörtert, um in den letzten beiden Vorlesungen schließlich über "die erfundene Familie" und die Unterscheidung zwischen "epischer und dramatischer Zeit" zu sprechen, geht es der zweiten Vorlesung um Grundsätzliches: "Woher kommt die literarische Produktivität?" (Düffel, Wovon ich schreibe 45) lautet die Leitfrage, die sich Düffel am Anfang seiner Reflexionen über den Zusammenhang von Literatur und Sport stellt. Während der Schwerpunkt der drei anderen Vorlesungen also grob auf eher thematischen Aspekten oder ästhetischen Fragen liegt, scheint es in der zweiten Vorlesung mithin um im engeren Sinne das zu gehen, was am Schreibtisch passiert, passieren sollte oder eben gerade irgendwie nicht passiert.
Düffel ist nicht der erste Autor, der "unermüdlich und in hoffentlich ernüchternder Weise" (Wovon ich schreibe 68) in einer Poetikvorlesung über "simple Erkenntnis[se]" (55) literarischen Schreibens reflektiert. Die Bamberger Vorlesungen stehen in einer Tradition von Poetikvorlesungen, deren Ursprung in Deutschland an der Goethe-Universität Frankfurt von Ingeborg Bachmann gelegt worden ist. Die "Stiftungsgastdozentur Poetik" im traditionsreichen Hörsaal [End Page 365] VI des Uni-Campus Bockenheim wird 1959 eingerichtet und gibt nahezu in jedem Semester einem bedeutenden Dichter oder auch Literaturkritiker die Gelegenheit, sich "in einem fünf- bis sechsteiligen Vorlesungszyklus über eine von ihm selbst zu stellende Frage der zeitgenössischen Literatur theoretisch darstellend zu äußern" ("Zur Geschichte der Gastdozentur"). Mittlerweile gibt es eine Vielzahl vergleichbarer Vorlesungen an Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie alle vertreten den Anspruch, den Austausch zwischen einerseits der akademischen Forschung und Lehre beziehungsweise einem breiteren, literarisch interessierten Publikum und andererseits den in der literarischen Praxis tätigen Autoren zu fördern. Diese Poetik der Autoren dient folglich immer mehr oder weniger der Idee, (auch jenseits der akademischen Perspektive) einer interessierten Öffentlichkeit Aufschlüsse darüber und Einblicke darin zu geben, wie Literatur gemacht wird. Man könnte sagen, dass Poetikvorlesungen zum einen als Ausdruck eines allgemeinen Leserinteresses an dem zu verstehen sind, das hinter den öffentlich sichtbaren Darstellungen vom Schreiben wirklich passiert (vgl. Volk 67). Zum anderen erhofft sich der Leser "nachweislich beglaubigte, zuverlässige, wahre und endgültige Antworten nach dem Sinn und Wesen des Kunstwerks" (Volk 395). Immer geht es der Poetikvorlesung letztlich also um mehr oder weniger "authentische" Einblicke hinter die Kulissen der Literatur aus erster Hand (vgl. Wohlleben 44-46).
Im Folgenden soll es um die Frage gehen, wie dieses Versprechen der Poetikvorlesung, mehr oder weniger authentische Einblicke hinter die Kulissen literarischer Produktion zu ermöglichen, in Düffels Poetikvorlesung umgesetzt wird, also auf deren "Denk-, Sprech- oder Schreibweise" (Schmitz-Emans et al. VIII) abfärbt. Dazu untersuche ich Düffels Rede von den zwei Prinzipien, die ihm zufolge literarische Produktivität prägen: das Prinzip des genialisch-schöpferischen Rausches und das der von Schreibblockaden geprägten harten Arbeit am literarischen Werk. Dabei wird sich zeigen, dass auch und gerade D...