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Reviewed by:
  • Anxious Anatomy: The Conception of the Human Form in Literary and Naturalist Discourse
  • Irmela Marei Krüger-Fürhof (bio)
Stefani Engelstein , Anxious Anatomy: The Conception of the Human Form in Literary and Naturalist Discourse. Albany, New York: State University of New York Press, 2008. 326 pages.

Untersuchungsgegenstand der Monographie sind deutsch- und englischsprachige literarische Werke sowie philosophische, naturhistorische, biologische, medizinische und ästhetische Veröffentlichungen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, die sich mit der Frage nach der „creation, maintenance, and reproduction" (7) des Menschen auseinandersetzen. Unter dem titelgebenden Begriff „conception of the human form" untersucht Engelstein jene Diskurse, die sich mit Vorgängen der Reproduktion des menschlichen Körpers, mit Mechanismen seiner Selbsterhaltung (z.B. durch Prozesse der Regeneration und Heilung) sowie mit der künstlichen Imitation dieser Vorgänge durch Prothesen oder die (fiktive) Herstellung von ‚künstlichen Lebewesen' beschäftigen. Dabei erweist sich die viel beschworene und untersuchte Zeit ‚um 1800', die ja bekanntlich durch eine zunehmende Ausdifferenzierung der Wissenschaften und deren Abgrenzung von nichtwissenschaftlichen Diskursen geprägt ist, auch in Engelsteins Untersuchung als überaus ergiebige Epoche.

Der Argumentationsgang der Studie wird mit den Worten umrissen: „After beginning [. . .] with the human ability to replicate, we will focus next on the constituent segments of the body, and then interrogate the teleological implications of the functionality of organs, and ultimately of bodies themselves, in order finally to resituate the body within communities that look to them to explain or legitimate their structures." (24) Dies auf 250 Textseiten zu leisten, ist ein überaus ehrgeiziges Unterfangen, das—um die Bewertung [End Page 662] schon vorwegzunehmen—zu einem etwas gespaltenen Ergebnis führt. Einerseits entsteht der Eindruck, dass der Leitbegriff „human form" nicht für alle Kapitel gleichermaßen einschlägig ist (so dürfte der Mensch bei zeitgenössischen Forschungen zur Fortpflanzung eher als Individual- und Gattungswesen zur Diskussion stehen denn als Körperform) und sich die Monographie mit der übergreifenden Argumentationslinie etwas viel vorgenommen hat. Andererseits liefert sie innovative und faszinierende Einzelinterpretationen von Erzählungen und Romanen in ihren Wechselbezügen zu naturwissenschaftlichen Debatten, was umso beeindruckender ist, als die meisten ausgewählten literarischen Texte zu den Werken gehören, deren Sekundärliteratur bereits Bücherregale füllt.

Methodisch lässt sich die Studie jener überaus ergiebigen aktuellen Forschungsrichtung zuordnen, die nach diskursiven Wechselwirkungen und Abgrenzungen zwischen Wissenschaft und Literatur fragt und dabei literaturwissenschaftliche Methoden mit Verfahren der Wissenschaftsgeschichte verbindet. Diese doppelte Perspektive will zugleich die Unterschiede zwischen (natur-)wissenschaftlichen und literarischen Diskursen herausarbeiten, denn, so Engelsteins Ausgangsthese: „Naturalists intervene in nature itself in the course of pushing hypotheses to their extremes, and often use their texts to comment on the cultural consequences to be drawn from their findings. Literary authors, on the other hand, inquire by necessity not only into the legibility of nature, but also into the nature of legibility. While natural history often contains startling claims, literature holds an intrinsic potential for critique." (7) Diese am frühen Michel Foucault geschulte diskursive ‚Aufgabenverteilung' kann—wie Engelstein am Naturforscher und Dichter Johann Wolfgang Goethe verdeutlicht—nicht nur zu unterschiedlichen ‚Botschaften' im Werk desselben Autors führen, sondern weist der Literatur eine herausgehobene Funktion zu, deren kritisches Potenzial in Einzelanalysen herausgearbeitet wird.

Die Monographie besteht aus vier Teilen, die sich jeweils einem theoretischen Problem widmen, das im 18. und 19. Jahrhundert sowohl aus wissenschaftlicher als auch literarischer Perspektive verhandelt wurde. Dabei präsentiert jedes der insgesamt sechs Kapitel eine neue Konstellation zwischen einer naturwissenschaftlichen Debatte und dem fiktionalen Werk (oder den Werken) eines kanonischen Autors der deutschen bzw. britischen Literatur. Fast alle ausgewählten Literaten waren selber naturwissenschaftlich interessiert: Sie betrieben naturwissenschaftliche Studien, besuchten anatomische oder naturhistorische Vorlesungen oder rezipierten naturwissenschaftliche und -philosophische Veröffentlichungen.

Teil 1 widmet sich unter dem Titel „Replicability" der Fortpflanzung des menschlichen Körpers; sie wird mit dem Konzept des „Bildungstriebs" enggeführt, den der Zoologe, Vergleichende Anatom und Anthropologe Johann Friedrich Blumenbach 1781 in seiner epigenetischen Studie Über den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäfte prägte. Der weite Begriff von „replicability", der Zeugung, Ernährung und Reproduktion, aber auch andere Formen der Selbstorganisation, Übertragung und Weitergabe umfasst, macht es Engelstein [End Page 663] möglich, botanische und zoologische Klassifikationssysteme...

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