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Reviewed by:
  • Aufklärung und Weimarer Klassik im Dialog
  • Ehrhard Bahr
Andre Rudolph und Ernst Stöckmann, Hrsg. Aufklärung und Weimarer Klassik im Dialog. Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 135. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 2008. 247 S.

Bei Sammelbänden stößt man immer wieder auf das Dilemma, dass viele der Beiträge sich nicht an das Thema halten. Das ist nicht der Fall bei diesen Untersuchungen, die aus einer Tagung am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung in Halle (S.) hervorgegangen sind, die 2006 zu Ehren des 65. Geburtstags und der Emeritierung von Prof. Dr. Manfred Beetz stattfand. Die Beziehungen der Weimarer Klassik zur Aufklärung sind inzwischen gesicherter Bestandteil in Lexika (siehe meinen Goethe-Artikel in der Encyclopedia of the Enlightenment, Bd. 2, Oxford UP, 2002). So erwartet man von dieser neuen Veröffentlichung Ergänzung und Problematisierung und wird nicht enttäuscht. Die folgenden Autoren sind durch Beiträge erfaßt: Goethe (4), Schiller (2), Herder (1), Lessing (1), Moritz (1), Wieland (1) sowie Johann August Eberhard in Halle (1).

Das Thema läßt sich in Einzeluntersuchungen allerdings nicht flächendeckend abhandeln, und man fragt sich, ob nicht andere Beiträge, so zum Beispiel zu Goethes Wanderjahren oder zu Wielands Altersromanen, stärkere Argumente ergeben hätten. Ferner ergeben sich die Dialog-Beziehungen nicht immer mit zwingender Logik, so z. B. in Dirk Roses gründlich erforschten Beitrag zu Hunolds galantem Roman Europäische Höfe und Schillers “Prinzessin von Zelle.” Mehr als den Königsmarck-Stoff haben sie nicht gemeinsam, besonders da Schiller den Roman nachweislich nicht gelesen hat. Was an dem Stoff gattungsgeschichtlich als Tragödie der Klassik geändert wird, versteht sich eigentlich von selbst. An anderer Stelle wird als Befund konstatiert, was eigentlich nur These sein kann, wenn Rainer Godel erklärt, dass Schiller im Wallenstein “die aufklärerischen Probleme der Kontingenz und Probabilität von Urteils- und Entscheidungs-prozessen angesichts der Betimmung . . . des Menschen durch innere wie äußere Umstände zu Ende” denkt (111). Die Herausgeber verweisen auf das “Diktum von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen” (ix), von dem aber wenig Gebrauch gemacht wird. In manchen der Beiträge bleibt es bei der alten Periodisierung und das mit Recht: so bei Gunhild Berg über Knigges Umgang mit Menschen, Daniel Fuld über Lessings Nathan, Ernst Stöckmann über Moritz’ Kritik an der Aufklärungsästhetik, Marianne Wünsch über Philosophie der (Spät) Aufklärung in Schillers “Freigeisterei der Leidenschaften,” Thomas Höhle über Wielands “Gespräche unter vier Augen” und bei Gerhard Sauders Darstellung von Aufklärung in Herders Zeitschrift Adrastea.

Zu den Beiträgen über Goethe gehören Annette Graczyk über das Geschlechterverhältnis in den Wahlverwandtschaften, Heidi Ritter über Goethe und Johann Heinrich Voß, Karl Richter über die “Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten” und Werner Nell über das “Sankt-Rochus-Fest zu Bingen.” Während die Wahlverwandtschaften oft als Goethes Annäherung an die [End Page 314] Romantik betrachtet werden, sieht Annette Graczyk in dem Roman “ein altes Problem der Aufklärung neu: das Verhältnis von Physik und Moral” (137). Ihrer Ansicht nach werde das Gewicht zwischen Physik und Moral “im Roman von der Seite der Moral auf die Seite der Naturnotwendigkeit verlagert” (138), was aber nicht unbedingt der Weimarer Klassik zuzurechnen ist. Man vermißt in der Argumentation den Nachweis einer Auseinandersetzung mit der Aufklärung. Bei Goethes Wertschätzung von Voß spielte sicherlich das von F. A. Wolf aufgeworfene Homer-Problem eine entscheidende Rolle. Dass Voß sich mit Goethe nicht messen konnte, liegt zum Teil an der Erstveröffentlichung der Luise in den Jahren 1783/84 (Buchausgabe 1795). Die Idylle entstammte der vorrevolutionären Zeit, während dem Weimarer Klassiker mit der Französischen Revolution der Stoff zu einer Ausweitung der Idylle zur bürgerlichen Epopöe gegeben war. Die Hinweise auf die amerikanische Revolution in der Luise reichten nicht an den kosmopolitischen Aspekt von Hermann und Dorothea heran. Karl Richter bezieht sich wie bereits Alfred Anger (1962) und Emil Staiger (1959) auf Elemente des Rokoko in Goethes chinesisch-deutschem Zyklus, betont jedoch zugleich die Rokokoferne mit dem Hinweis auf Prinzipien der Goetheschen Morphologie und Farbenlehre, die in den...

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