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  • Goethe-Handbuch, Supplemente 1: Musik und Tanz in den Bühnenwerken
  • Walter Tschacher
Gabriele Busch-Salmen (Hg.), Goethe-Handbuch, Supplemente 1: Musik und Tanz in den Bühnenwerken. Stuttgart-Weimar: J. B. Metzler, 2008. xv + 562 S.

Das hier besprochene Supplement 1 zum Goethe-Handbuch behandelt äußerst detailliert “Musik und Tanz in den Bühnenwerken” Goethes und rückt damit einen Aspekt des Goetheschen Werks in den Vordergrund, der bisher kaum beachtet oder als minderwertiges Nebenprodukt abgetan wurde. Betroffen von dieser Fehleinschätzung waren vor allem einerseits die Singspiellibretti Goethes, andererseits die Musik der Komponisten, die Goethe bevorzugte. Die Libretti litten darunter, dass sie als reine Lesetexte, d.h. ohne die dazugehörige Musik rezipiert wurden und die von Goethe geschätzten Komponisten galten als zweitrangig, was wiederum dazu führte, Goethe überhaupt die Kompetenz in Sachen Musik abzusprechen. Sehr überzeugend korrigieren die Supplemente diese abwertenden Sichtweisen.

Die drei Einleitungskapitel behandeln die “Theaterpraxis in Weimar,” “Goethes Bezeichnungsvielfalt musiktheatralischer Genres,” sowie “die Rezeption von Goethes Singspielen—zeitgenössische Wirkungen und spätere Annäherungen.” Der Band dokumentiert Goethes lebenslange Beschäftigung mit Musik. Zunächst ist er als Autor von Singspielen, die übrigens seinerzeit sehr erfolgreich waren, an der Musikpraxis orientiert, später setzt er sich immer mehr mit musiktheoretischen Themen auseinander, wovon beispielsweise seine Fragment gebliebene Tonlehre zeugt. Bereits seit 1773 beschäftigte sich Goethe mit dem Singspiel, “eine[r] äußerst populäre[n], allerdings auch verpönte[n] Spektakelgattung” (54). Er war überzeugt, dass er die Libretti literarisch anspruchsvoller gestalten könne. Gleichtzeitig betonte er auch immer wieder, dass es um Texte gehe, “die sich komplementär zur Musik” (54) verhalten, d.h. die Texte sollten nicht als selbständige Werke gelesen werden. Seine Singspielproduktion wurde aber abrupt durch Mozart beendet. Mit Mozart erreichte das Singspiel ein Niveau, auf dem er nicht mehr konkurrieren konnte und gesteht: “Die Entführung aus dem Serail schlug alles nieder” (71). Als Goethe 1791 Direktor des Weimarer Theaters und Intendant der Oper wurde, setzte sich seine Beschäftigung mit Musik auf einer anderen Ebene ebenso intensiv fort. In diesen Positionen musste er sich nun um das Opernrepertoire, das in Weimar eine wichtige Rolle spielte, kümmern und Sänger und Musiker einstellen. [End Page 299]

Die Supplemente räumen jeglichen Zweifel daran aus, dass man Goethe Kompetenz in Sachen Musik absprechen kann, auch wenn er “seine” Komponisten, die sich nur zu oft von seinen Erwartungen überfordert fühlten, überschätzte. Ein leichtes Unbehagen an seinem Musikverständnis bleibt allerdings bestehen. Sein Misstrauen gegenüber Beethoven, seine Ablehnung Berlioz’, sowie seine Gleichgültigkeit gegenüber Schuberts Liedschaffen lassen sich nicht einfach durch die Einflüsterungen seines Freundes Zelter erklären. Als Ergänzung zu den Supplementen darf Norbert Millers Die ungeheure Gewalt der Musik. Goethe und seine Komponisten (2009) empfohlen werden, der gerade auf diese Themenkreise eingeht. Offensichtlich war Goethe nicht willens, die Idee einer “absoluten Musik” (wie etwa Beethovens Sonaten, Streichquartette oder Symphonien) zu akzeptieren. “Die Musik sollte nicht Dichtung ersetzen, sondern sie beleben und steigern” (Miller 19). Ebensowenig behagte ihm Schuberts “Durchkomponieren” der Lieder und verteidigte stattdessen die strophische Form, in der Musik und Liedertext sich formal entsprechen. Goethe wagte einfach nicht den Schritt ins musikalisch Ungewisse.

Den Hauptteil der Supplemente nehmen natürlich “Goethes Bühnenwerke und Entwürfe in Einzeldarstellungen” ein. In chronologischer Reihenfolge werden 58 Werke Goethes analysiert. Dabei folgen alle Beiträge mehr oder weniger den folgenden Gliederungskriterien: I. Entstehung und Überlieferung. II. Inhalt. III. Musik. IV. Bühnenrealität und V. Kommentar. Wurde im Drama-Handbuch von 1996 noch der unbefriedigende Stand der Forschung beklagt, so haben hier “20 Autorinnen und Autoren aus den Fächern Germanistik, Musikwissenschaft, der Tanzforschung und Theaterwissenschaft” (xiii) eine Forschungsarbeit vorgelegt, deren Niveau lange Zeit nicht überschritten werden dürfte. Werke, die selbst Goethekenner höchstens dem Namen nach bekannt waren, werden auf eine Weise vorgestellt, die zur Lektüre oder Wiederlektüre geradezu einladen. Wieviele Germanisten kennen schon Das Jahrmarckts-Fest zu Plundersweilern: Ein Schönbartsspiel oder Sie kommt nicht! einjammervolles Familienstück? Die Renaissance einer Rezeption der Goetheschen Singspiele wird allerdings nicht stattfinden, denn das größte Hindernis dafür bleibt bestehen, nämlich das Fehlen...

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