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Reviewed by:
  • The Opinion System: Impasses of the Public Sphere from Hobbes to Habermas
  • Susanne Lüdeman (bio)
Kirk Wetters, The Opinion System: Impasses of the Public Sphere from Hobbes to Habermas. New York: Fordham University Press, 2008. 292 pages.

Die Wahrheitsfähigkeit der öffentlichen Meinung zu bezweifeln, ihre Manipulierbarkeit durch Medien und Propaganda zu betonen, gehört spätestens seit den 1920er Jahren zu den commonplaces linker wie rechter Demokratiekritik. Nannte Walter Benjamin die Meinungen das „Maschinenöl“ der modernen Massengesellschaft, das, fachmännisch dosiert und verteilt, den „Riesenapparat [End Page 723] des gesellschaftlichen Lebens“ am Laufen halte, so titulierten ultrakonservative Kreise um Carl Schmitt das Parlament der Weimarer Republik kurzerhand als „Schwatzbude,“ in der zwar endlos Meinungen ausgetauscht werden, aber niemals mehr als ein trüber Kompromiß zustande kommen könne. Und auch Jürgen Habermas—so wenig ihn sonst mit dem ‚Kronjuristen des Dritten Reichs‘ verbindet—konstatiert 1962 (Strukturwandel der Öffentlichkeit), dass das liberale Modell von Öffentlichkeit als ein Publikum räsonierender Privatleute, die im Interesse der Herausbildung des Gemeinwohls selbsttätig zusammentreten, auf die sozialstaatlich verfasste Massendemokratie nicht mehr zutreffe. „Daß es sich heute nicht mehr darum handelt, den Gegner von einer Richtigkeit oder Wahrheit zu überzeugen, sondern die Mehrheit zu gewinnen, um mit ihr zu herrschen,“ wie es in Carl Schmitts Parlamentarismus-Schrift heißt, scheint daher quer durch alle politischen Lager konsensfähig, das heißt: selbst zur öffentlichen Meinung geworden zu sein. Für die Bestimmung der Legitimität demokratischer Herrschaft ist die öffentliche Meinung dennoch eine zentrale Kategorie. Demokratische Herrschaft ist zustimmungsabhängig und deshalb auch öffentlich begründungs- und rechenschaftspflichtig. Die öffentliche Meinung, abgesichert durch die subjektiven Grundrechte der Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit, stellt somit einen unentbehrlichen Faktor im Prozess der politischen Willensbildung aller demokratischen Systeme dar. Wie umgehen mit diesem Paradox? Man könnte Winston Churchill zitieren (“Democracy is the worst form of government—except for all those other forms, that have been tried from time to time”) und es dabei bewenden lassen. Nicht so Kirk Wetters. Er nimmt die schlechte Meinung der öffentlichen Meinung von sich selbst zum Anlass, ihrer Begriffsgeschichte nachzuforschen. Leicht ist das nicht, denn so wankelmütig wie die öffentliche Meinung selbst sind die wissenschaftlichen Meinungen über sie. Die „Religion der Neuzeit“ nannte sie Ferdinand Tönnies, mit einer „sozialen Haut“ vergleicht sie Elisabeth Noelle-Neuman, ein „Gespenst, das das demokratische Bewußtsein heimsucht,“ den „Gott einer negativen Politologie“ nennt sie Jacques Derrida. „Mit Präzision über öffentliche Meinung zu sprechen,“ schreibt V. O. Key, „ist mit der Aufgabe vergleichbar, sich mit dem Heiligen Geist auseinanderzusetzen.“ Unstrittig ist allerdings, dass ihre Begriffsgeschichte im achtzehnten Jahrhundert beginnt, und der Schwellenzeit um 1800 wendet sich auch Kirk Wetters Studie hauptsächlich zu. Das Buch ist in vier Kapitel unterteilt, von denen die ersten beiden der Begriffsgeschichte der öffentlichen Meinung im engeren Sinne gewidmet sind, die beiden letzten der privaten Meinungsfreiheit als einem subjektiven Recht. Die Autoren, die dabei verhandelt werden, sind jedoch nicht nur prominente Vertreter der politischen Theorie. Das erste Kapitel ist Christoph Martin Wielands Dialog „Über die öffentliche Meinung“ (1798) gewidmet, das zweite Kapitel den einschlägigen Theoretikern des zwanzigsten Jahrhunderts (insbesondere Jürgen Habermas, Reinhart Koselleck und Jacques Derrida). Das dritte Kapitel führt zurück zu John Lockes „law of opinion,“ thematisiert aber auch dessen Rezeption bei Moses Mendelssohn, Johann Gottlieb Fichte und Goethe. Das vierte Kapitel schließlich ist eine [End Page 724] längere Fallstudie zu Georg Christoph Lichtenbergs „Meinungen-System,“ dem Kirk Wetters Buch seinen Titel verdankt. Jedes der vier Kapitel wird durch einen historischen Exkurs präludiert, der antike oder biblische Vorläufer des modernen Meinungsbegriffs ins Spiel bringt: Fama und Fatum in Vergils Aeneis, Nomos und Gnomae bei Herodot, das biblische Gleichnis vom Sämann und Pindars Wendung von der „vielgewandten Meinung“ (polystrophon gnoman), die nur als Zitat im ersten Buch von Platons Republik überliefert ist und die von Hölderlin, Moses Mendelsohn und Schleiermacher verschiedentlich übersetzt und kommentiert wurde. Die Exkurse sollen historische Paradigmen liefern, vor deren Hintergrund der moderne Meinungsbegriff Kontur gewinnt.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Kirk Wetters entdeckt sowohl die öffentliche als auch die private Meinung als rhetorische Figuren, als Kollektivsingulare, deren Funktion es ist, eine...

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