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Hexenjagd in Gelehrtenköpfen* Sigrid Brauner Das Thema "Hexen" wird in unserer Disziplin weitgehend mit Schweigen übergangen. Es scheint peinlich. Von Hexenliteratur zu reden, gehört nicht zum "guten Ton" und schon gar nicht in den Literatur kanon. Diese "Peinlichkeit" verweist auf ein größeres Problem. Die Hexenverfolgungen der Neuzeit sind lange aus der traditionellen Geschichtsschreibung als Sonderfall ausgegrenzt worden.1 In den letzten zehn Jahren aber haben sich feministische Forscherinnen, Sozialhistoriker und Anthropologen mit dem Phänomen neuzeitlicher Hexenverfolgungen auf neue Weise auseinandergesetzt.2 Sie besch äftigen sich vor allem mit der sozialgeschichtlichen Relevanz der Prozesse. Obwohl weder die Quellenforschung abgeschlossen ist, noch die verschiedenen Thesen über Genese und Funktion der Verfolgungen ausdiskutiert sind,3 zeichnen sich doch verschiedene Hypothesen ab. Eine der Thesen ist, daß die Hexenprozesse Praktiken der Volksmagie kriminalisierten und dadurch zur Sozialdisziplinierung der Unterschichten beitrugen.4 Andere Erklärungsansätze zeigen, daß die den Prozessen zu Grunde liegende Vorstellung und Verteufelung von Hexerei und Magie eine wichtige Rolle für die Entwicklung verschiedener moderner Kulturmuster gespielt hat; so zum Beispiel für die Herausbildung des mechanistischen Weltbildes, der instrumenteilen Vernunft oder für die Genese des bürgerlichen Begriffs von der Natur der Frau.5 Die für unseren Zusammenhang zunächst wichtigste Hypothese ist jedoch, daß das den Prozessen zu Grunde liegende Hexenbild einer mit Satan paktierenden Sekte vor allem durch klerikale Literatur vom Mittelalter bis zur Neuzeit tradiert und systematisiert wurde.6 Vorchristliche Vorstellungen von nachtfahrenden Geistern, volkstümliche Vorstellungen von Schadenzauber, Elemente gelehrter ritueller Magie, sowie Imaginationen von kannibalistischen und orgiastischen Ketzersekten gingen in das klerikale Hexenbild ein, wurden verfremdet und ideologisiert. Vorstellungen von dämonischen, orgiastischen und kannibalistischen Sekten, die den 187 188 politischen Status Quo unterminieren, gehen bis in die Antike zurück, wurden von mittelalterlichen klerikalen Autoren übernommen und verändert auf die verschiedensten häretischen Gruppen angewandt. Zu Beginn der Neuzeit wurden diese Vorstellungen in das entstehende Hexenbild integriert.7 Vom Mittelalter, als sich die ersten Elemente des späteren Hexenbildes ausbildeten, wie dämonische Sekten und Satansanbetung, bis in die Neuzeit hinein, ergaben sich immer wieder Überschneidungen zwischen theologischen und volkstümlichen Vorstellungen. In Predigten wurden paganistische Gestalten satanisiert, unter der Folter (gezwungen) gestanden Ketzer und später Hexen, an satanischen Ritualen teilgenommen zu haben, und gaben den ihnen unbekannten Teufeln in ihrer Angst Namen, die sie kannten, nämlich Namen lokaler Haus- und Waldgeister, die dann wieder in klerikaler Literatur als Satansnamen auftauchten. Zum Teil veränderten sich dadurch auch die volkstümlichen Vorstellungen von der dämonischen Welt und näherten sich in der Neuzeit allmählich den theologischen an.8 Die klerikale Literatur spielte als Systematisiererin, autoritäre Interpretin und Umformuliererin der dämonischen Welt eine ebenso große Rolle bei der Vorbereitung der Hexenprozesse wie die Übernahme inquisitorischer Elemente in die Hexenprozeßführung .9 Diese tragende Rolle der klerikalen Literatur ist auch schon immer in der Forschung zum Thema betont worden.10 Dennoch findet man auch in einer neueren Literaturgeschichte die Erwähnung der Prozesse höchstens als ein quasi außerliterarisches Ereignis . Die immerhin umfangreiche literarische Tradition von Hexenbüchern, Zauberei- und Teufelsliteratur wird in derselben Literaturgeschichte als "volkstümlich" und als "Nachtseite" der Geschichte abgetan.H "Peinliche" Texte. Sie passen nicht in ein lineares Geschichtsbild, sie sind nicht "kanonfähig". Kann eine solche Ausgrenzung weiterhin gerechtfertigt werden? Was erzählen uns zum Beispiel Hexenelemente in der Literatur des frühen sechzehnten Jahrhunderts, kurz vor dem Einsatz der großen Hexenverfolgungen um 1680 über diese "Nachtseite " der Geschichte? Der vorliegende Beitrag geht einigen Hexenvorstellungen in der Literatur nach. Er lädt zu einer kurzen Spritztour duch ein paar Gelehrten- und Literatenköpfe aus der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts ein und sieht, was es in ihnen mit Hexen so auf sich hat. Die Vorstellung von Hexenwesen ist zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts innerhalb der orthodoxen Theologie in den Grundzügen ausgeprägt und bestimmt die 189 gelehrte Definition der Hexe bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein.i2 Am ausführlichsten beschrieben ist dies im Malleus Maleficarum, einem theologisch-juristischem Handbuch für Hexenprozesse, verfaßt von zwei Dominikanern und päpstlichen Inquisitoren für das deutsche Gebiet, Henricus Institoris und...

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