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Sigrid Weigel Das Schreiben des Mangels als Produktion von Utopie Die Vermittlung zwischen Feminismus und Literaturwissenschaft ist in der BRD noch recht unterentwickelt . Wenn auch ein weitgehendes Einverständnis über die Fragestellungen und über die Notwendigkeit neuer, eigener Methoden besteht,1 so ist deren Ausarbeitung und Praktizierung noch nicht sehr weit gediehen . Dies gilt mehr noch für die Erforschung von Frauenbildern und Weiblichkeitsmustern in der Philosophie und Literatur von Männern, für die ja mit der ideolokritischen Studie Silvia Bovenschens^ und der sozialpsychologischen Klaus Theweleits3 zwei umfangreiche Untersuchungen vorliegen. Deren Perspektiven wurden in vielen Einzeluntersuchungen seither fortgesetzt und modifiziert. Im Bemühen um eine Rekonstruktion weiblicher literarischer Tradition aber stehen historische Forschung und theoretische Überlegungen über weibliche Sprache und Schrift oft weit auseinander: --Häufig überwiegt das Interesse an der Biographie der Autorin dasjenige an ihren Texten.4 --Bei der Interpretation von Frauenliteratur werden oft nur die expliziten Äusserungen zur Frauenemanzipation, nicht aber widersprüchliche Momente, Erzählmuster und Schreibstrategien untersucht.5 Anregungen für die Analyse des Phänomens, dass man bei der Lektüre von Frauenliteratur auf viele Frauenbilder und Stereotypen trifft, die aus der männlichen Literatur bekannt sind, kommen aus dem Ausland. So etwa von S. Gubar/S. Gilberts Darstellung The Madwoman in the Attiç6 und von der Zusammenstellung amerikanischer, englischer und französischer Beiträge unter dem Titel Listen der Ohnmacht von C. Honnegger/B. Heintz.7 Der Grund für diese Situation liegt darin, dass die Interpretation konkreter Texte in der theoretischen Diskussion der BRD eine viel zu geringe Rolle spielt. So sind die in den Untersuchungen zur Kultur29 geschichte des Weiblichen gewonnenen Erkenntnisse über den Ort der Frau in der männlichen Ordnung noch kaum für die Deutung literarischer Artikulationen von Frauen genutzt. So werden die in diesen Untersuchungen verwendeten Topoi (wie z.B. der von der "Geschichtslosigkeit der Frau," von der Existenz der Frau an den "Rändern " des Patriarchats, von der Funktion der Frauenbilder als "Spiegel" ihrer männlichen Produzenten, auch die Bestimmung des Weiblichen als "Mangel" bzw. "Negation") bislang weitgehend metaphorisch oder symbolisch benutzt, ohne dass sie für die Textinterpretation fruchtbar gemacht werden. Aus dieser Beobachtung ergibt sich für mich die Notwendigkeit und Relevanz feministischer Literaturkritik , aus ihr begründet sich auch mein methodischer Ausgangspunkt, die zitierten Topoi in der Interpretation von Texten anzuwenden und damit weibliche Schreibpraxis als Ausdrucksformen von Frauen unter Bedingungen und in den Strukturen einer männlichen Ordnung zu untersuchen. Häufig wird die Frage nach den Besonderheiten "weiblichen Schreibens" ahistorisch gestellt, vor allem im Kontext der Rezeption der franz ösischen Strukturalistinnen in der BRD und in den Gruppen "schreibender Frauen". Deshalb gehe ich von einer Unterscheidung der ideologischen, empirischen und utopischen Bedeutung des Begriffes "weiblich" aus und trenne strikt zwischen Texten von Männern und Frauen. Populärer und verbreiteter als die Entwicklung feministischer Literaturkritik im engeren Sinne8 sind in letzter Zeit kunst- und kulturgeschichtliche Arbeiten über Mythos und Matriarchat. Während die Bemühungen , die unter dem Thema "Mythos Frau" stehen,9 z.T. die verborgene weibliche Realität und Produktivität in den Bildern aufspüren und die patriarchalischen Strukturen in den Überlieferungen aufdecken wollen,10 sind die Arbeiten über matriarchalische Vorgeschichte eher auf der Suche nach einem historischen Vorbild, das als Folie für weibliche Utopie gelten kann. Besonders in den Arbeiten von H. Göttner-Abendrothll wird eine solche problematische Gleichsetzung von Mythos, realer Vorgeschichte und Utopie vorgenommen. 30 II Methodischer Ausgangspunkt für die Untersuchung weiblicher Schreibpraxisl2 ist für mich, dass die Frau in der männlichen Ordnung als "anderes Geschlecht" (Beauvoir) existiert, dass sie beteiligt und ausgegrenzt zugleich ist. Dabei ist ihre Selbstbetrachtung durch Spiegelbilder verstellt, die sie als untergeordnetes , unvollkommenes oder aber als entrücktes, überh öhtes Naturwesen zeichnen. In der Literatur von Frauen drückt sich dies als Problem der Wahrnehmungsund Erzählperspektive aus. Die Geschichte der Frauenliteratur lässt sich als permanente, notwendige Befreiung des Schreibens aus männlicher Perspektive hin zu einer autonomen weiblichen Schreibweise beschreiben. Dabei verstehe ich diese Bewegung nicht als phasenweise, wie E. Showalter in ihrer Einteilung in die feminine, feministische und female Phase,13 oder als historische Chronologie, sondern untersuche sie in jedem einzelnen...

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