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Die Kindesmörderin in den Fesseln der bürgerlichen Moral Wagners Evchen und Goethes Gretchen Barbara Mabee Im 18. Jahrhundert wurde das Thema des Kindesmordes zunächst von "aufgeklärten" Gelehrten, Juristen, Theologen, Philanthropen und Pädagogen im Kampf um ein menschenwürdigeres Dasein in theoretischen Schriften aufgenommen. Gerade die Kindesmörderinnen und die ihnen auferlegten kirchlichen und juristischen Strafen waren von Interesse für "aufgeklärte" Reformer in Deutschland: Die Verfolgungen und Bestrafungen dieser unverheirateten Mädchen konnten in ihrer Brutalität als eine historische Fortsetzung der Hexenpogrome aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert gesehen werden, bei denen neun bis elf Millionen Frauen ihr Leben verloren hatten. Innerhalb der internationalen Untersuchung der Strafrechtspflege wurden in Deutschland besonders die grausamen Arten der Todesstrafe betont, denen sich die Kindesmörderinnen auszusetzen hatten, wie Säcken, Pfählen oder Lebendig-Begraben und Enthauptung mittels des Beils oder Schwerts (nach dem reformatorischen Edikt νο,η Friedrich dem Großen aus seinem ersten Regierungsjahr 1740). Im Geiste der Aufklärung hatte Friedrich der Große in Preußen die Folter abgeschafft, jedoch blieb die Enthauptung als Abschreckung auch in der zweiten Hälfte des aufgeklärten, Jahrhunderts die gewöhnliche Strafart für die Kindesmörderin. Goethe hatte noch 1772 in Frankfurt den Fall der Susanna Margarethe Brandt miterlebt. Sie wurde enthauptet, obwohl ihr Verteidiger ihre soziale Ausweglosigkeit geschildert und auf mildernde Umstände plädiert hatte. Ein Preisausschreiben in der Mannheimer Zeitschrift "Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit" im Jahre 1780 mit der Preisfrage "Welches sind die besten ausführbaren Mittel, dem Kindermord abzuhelfen ohne die Unzucht zu begünstigen?" suchte nach Beiträgen zur Abhilfe des Kindesmordes. In der Mehrzahl der 400 eingereichten Antworten setzten sich die Leser für die Abschaffung der Todesstrafe, und der kirchlichen und gerichtlichen Bußen ein. Vor der Schande, die die häufigste Motivierung des Kindesmordes war, wollte man die Verführten und Verlassenen durch Reformen bewahren. Die päpstlich ernannten Inquisitoren Heinrich Institoris (Krämer) und Jakob Sprenger hatten 1486 mit ihrer Veröffentlichung des Mal leus Maleficarum, des Hexenhammers, die Frau als besonders anfällig für die Verführungskünste Luzifers dargestellt und damit ihre systematische Verfolgung, Diffamierung und Dämonisierung als unersättliches, sinnliches, naturhaftes Wesen 29 eingeleitet. Die Hexe mit ihrem Wissen um die magischen Heilkräfte der Natur und ihrer engen Naturverbundenheit fiel dem fortschreitenden zweckgebundenen Nützlichkeitsdenken zum Opfer. Sie hatte sich dem Streit um entgegengesetzte Machtansprüche zwischen Kirche und aufblühenden Wissenschaften auszusetzen. Der Kirche war sie eine Bedrohung für ihren "universalen Herrschaftsanspruch " und für die Wissenschaften "hemmt ihr magischsympathisches Verhältnis zur NaUir die Forderung nach rationaler Naturbeherrschung der Aufklärer. Entscheidenden Einfluß auf das Ende der Hexenverfolgungen nahmen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Mediziner bei ihrem Versuch, sich als Wissenschaft zu etablieren und sich von mittelalterlicher Magie zu befreien. Indem sie magisch-dämonische Kräfte der Frau als Melancholie, Depression und Wahnsinn diagnostizierten, stempelten sie die Hexen zu bedauernswerten geistesgestörten Wesen ab, die nicht auf Scheiterhaufen, sondern in Irrenhäuser gehörten. Die mit der Vertreibung der Hexe angestrebte Beherrschung der Natur bei Medizinern und Wissenschaftlern setzte sich in patriarchalischen Strukturen fort, so daß sich von dieser "Dämonisierung der Psyche" (vgl. Treder 8) eine Verbindungslinie zu den literarischen Darstellungen der zeitweise "wahnsinnigen" Kindesm örderinnen des Sturm und Drang herstellen läßt. Diese Verbindung kann bis zu den von Frauen gestalteten literarischen Frauenfiguren des 19. und 20. Jahrhunderts gezogen werden, für die jedoch der Wahnsinn zum Teil eine Möglichkeit des Widerstands bietet, um sich von männlicher Bevormundung (auch auf dem Gebiet des Schreibens) zu lösen. Als Beispiele für das 19. Jahrhundert geben Charlotte Perkins Gilmans The Yellow Wallpaper und die von Sandra Gilbert und Susan Gubar zusammengestellte Studie The Madwoman in the Attic einen guten Einblick in diese Problematik. Ingeborg Bachmanns Der Fall Franza geht den Spuren des weiblichen Wahnsinns innerhalb patriarchalischer Strukturen in einer Ehe im 20. Jahrhundert nach und deckt dabei mit "der Reise durch eine Krankheit" Verbrechen in der Geschichte der Menschheit auf. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg des Bürgertums setzte sich im 18. Jahrhundert der aufklärerische Dualismus von K...

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