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  • Kampf der GeschlechterEntfremdung und Lustmord in der expressionistischen Dichtung von El Hor/El Ha
  • Martina Lüke

"Sie gingen einen weiten Weg zusammen und sprachen kein Wort. Als sie an einem Platz ankamen, der dem Mann geeignet war, biß er ihr die Kehle durch." Mit diesen Worten endet die 1913 im Sammelband Die Schaukel erschienene Prosaskizze "Das Abenteuer" (El Hor/El Ha 25–26). Die unter den Pseudonymen El Hor und El Ha schreibende Autorin schildert darin ein grotesk-surreal anmutendes Aufeinandertreffen eines Mannes und einer Frau in einem Theater und bietet dadurch fesselnde Einblicke in die expressionistische Dichtung aus weiblicher Perspektive.

Dieser Artikel untersucht die ungewöhnlichen und bislang unbeachteten Beiträge einer Dichterin zu Themen des Expressionismus, insbesondere die (sexuellen) Spannungen zwischen Mann und Frau, Verwirrung der Gefühle, gegenseitige Anziehung, aber auch die Darstellung von Abstoßung, Ekel und Gewalt. So urteilt auch Ottmar Huber: "Der Zwiespalt von Ich und Welt, der die Mythenbildung des Expressionismus ursächlich bestimmt, prägt sich im Verhalten der Geschlechter zueinander mit besonderer Eindringlichkeit aus" (177). Entsprechende Analysen der Darstellungen von Kommunikationsstörungen, Entfremdungen, perversen und zerstörerischen Leidenschaften und Sexualität in Texten wie Oskar Kokoschkas Mörder, Hoffnung der Frauen (1910), Gottfried Benns Morque und andere Gedichte (1912), Franz Jungs Kameraden! (1913), Georg Kaisers Stationenstück Von morgens bis mitternachts (1916) oder Fritz von Unruhs Ein Geschlecht finden sich in nahezu allen Forschungswerken zum Expressionismus. Die konfliktgeladenen Auseinandersetzungen der Geschlechter als Teilaspekte einer sinn-losen Existenz und einer grundsätzlichen "Menschheitsdämmerung," im Sinne von Kurt Pinthus' gleichnamiger Anthologie (1920), werden hierbei zumeist abstrahierend dargestellt, indem sich Männer und Frauen, wie etwa in Mörder, Hoffnung der Frauen und Ein Geschlecht, als stereotype Figuren nahezu unver-söhnlich gegenüberstehen. Weiblichkeit wird dabei zumeist mit Passivität oder mit matriarchalen Urmythen verbunden, während Vitalität, Geist und Aktivität überwiegend mit Männlichkeit gleichgesetzt werden. Grundlegende Vorstellungen einer "notorische[n] 'Sprachkrise'" (Anz 70) sind vor allem auf eine korrelative Sprachinkompetenz von Männern und Frauen projeziert, was zu Verwirrungen und Frustrationen führt, die die (gewalttätigen) Differenzen häufig weiter anfachen. [End Page 112] Vielfach gipfeln diese Konstellationen eines Geschlechterkampfs – den Zeichnungen George Grosz oder Otto Dix sowie den literarischen Gestaltungen Alfred Döblins ähnelnd – in einer Ästhetisierung des Lustmords: "it becomes evident, that the representation of murdered women must function as an aesthetic strategy for managing certain kinds of sexual, social, and political anxieties and for constituting an artistic and social identity" (Tatar 6; siehe dazu Büsser; Hoffmann-Curtius; Lewis, Georg Grosz).

Wenngleich in den letzten Jahren Künstlerinnen des Expressionismus zunehmend die Aufmerksamkeit der literaturwissenschaftlichen Forschung erfahren (vgl. etwa Jürgs; Vollmer), haben Texte von Else Lasker-Schüler, Claire Goll oder Emmy Ball-Hennings bisher wenig Interesse in der gängigen Literatur über den Expressionismus und seine Autoren gefunden (vgl. Anz; Best; Eykman; Martini; Raabe und Hannich-Bode). Statt dessen werden Schriftstellerinnen des Expressionismus vor allem auf ihren biographischen Hintergrund untersucht. Stell-vertretend sei Christine Kanz zitiert, die betont, dass Autorinnen, die zwischen 1910 und 1920 geschrieben haben, "heute kaum oder gar nicht mehr rezipiert werden" (115).

Auch die Erforschung der unter Pseudonym schreibenden und damit bis heute unbekannt gebliebenen Autorin El Hor/El Ha steht noch aus. Hartwig Suhrbier hat bisher als einziger in akribischer Arbeit die Herkunft der mysteriösen Dichterin erforscht und ihre Werke erstmalig im Sammelband Die Schaukel. Schatten. Prosaskizzen zusammengestellt und veröffentlicht. Er urteilt über El Hors/El Has gegenwärtige literaturwissenschaftliche Erfassung: "Kein Lexikon deutsch-sprachiger Schriftsteller kennt sie. Keine Geschichte der deutschsprachigen Literaturen weiß von ihr. Nur in zwei, drei Spezialregistern, die Zeitschriften des Expressionismus erschließen, kommen ihre beiden Pseudonyme vor" (77). Tat-sächlich finden sich weder in den verbreiteten Nachschlagewerken noch in den Autorenverzeichnissen des Expressionismus Hinweise auf El Hor/El Ha. Dies mag nicht zuletzt dadurch begründet sein, dass über die Identität der Dichterin nahezu keine Informationen vorliegen.

Eine mühselige Recherche der Zeitschriften Saturn und Pan, eine Reihe von Indizien, etwa ein in Wien unterzeichneter Buchvertrag und südostdeutsche Ausdrücke wie der Gebrauch der Währungen "Kreuzer und Gulden" und des Diminuitivs "Katzerl," sowie die...

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