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Reviewed by:
  • "Flaschenpost": German Poetry and the Long Twentieth Century
  • Gerrit-Jan Berendse
Karen Leeder, Hrsg. "Flaschenpost": German Poetry and the Long Twentieth Century. Spec. issue of German Life and Letters 60.3 (2007): 277–466. ISSN 0016-8777 (print), 1468-0483 (online).

In den Beiträgen dieser Sondernummer der britischen Fachzeitschrift wird das Spannungsfeld zwischen lyrischen und sonstigen Diskursen als Energiequelle literarischer Dialoge herausgearbeitet und in diversen Kontexten gedeutet. Die Literaturwissenschaftler und Literaturwissenschaftlerinnen offerieren ein breites Spektrum an Kommunikationsangebote mit Lyrik. Hinzu kommt, und das macht den Mehrwert der Sondernummer aus, dass die wissenschaftlichen Leistungen in direktem Dialog mit den Produktionen zweier zeitgenössischer Lyriker stehen, die mit ihren hier abgedruckten Gedichten ebenfalls zum Gelingen der Veröffentlichung beigetragen haben.

Neun Gedichte von Ulrike Draesner und Michael Krüger rahmen neun literaturwissenschaftliche Essays renommierter Lyrikexperten ein. Robert Vilain (Royal Holloway, London) eröffnet die Reihe mit einem wahrlich europäischen Beitrag, in dem er die deutschsprachige Lyrik aus den engen Gefilden holt und in einen breiteren Kontext platziert, der das lyrische Gespräch zwischen Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Paul Celan und Paul Valéry verfolgt und auswertet. Im grenzenlosen Feld bekommen die einzelnen Stimmen eine kräftige Resonanz, auch wenn nie die Rede von einem Unisono war. Trotz Wahlverwandtschaft, reger lyrischer Korrespondenz und Übersetzungsarbeit erkennt Vilain nämlich eine Anomalie im Verhältnis der Deutschsprachigen zu dem Franzosen: je stärker die Anziehung und reger die produktive Rezeption, [End Page 181] desto weiter entfernen sie sich von einander, und die Rede von Valéry als "Vorsprecher" erübrigt sich letztendlich.

Einen anderen Erweiterungsvorschlag des lyrischen Gesprächs versucht Georgina Paul (St Hilda's College, Oxford), wenn sie die weibliche Handschrift in der deutschsprachigen Lyrik thematisiert, die sich zwar von der männlichen Dominanz emanzipiert hat, gleichzeitig dem Dialog mit ihr nicht aus dem Weg geht. Der Weg zur Emanzipation hat sich, so zeichnet Paul nach, als äußerst holprig ergeben, insbesondere weil das weibliche Schreiben sich oft in der Form der Mimikry entwickeln konnte. Viele Lyrikerinnen konnten sich erst im späteren Alter von den männlichen Vorlagen entfernen, um ein eigenes œuvre aufzubauen. Dabei, so Paul weiter, fällt auf, dass die neuen Stimmen, die aus diesem Prozess hervorggangen sind, selbst Vorbild für andere Kollegen und Kolleginnen werden. Die Ambivalenz der Emanzipationstendenzen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa hielt Anna Achmatowa 1958 in ihrem "Epigramm" fest.

Katrin Kohls (Jesus College, Oxford) Essay erweitert das Denken über die Funktion der Metapher "Flaschenpost" in ihrem eindrucksvollen literaturtheoretischen Essay und hebt hervor, wie sich die Metapher (und ihre Auslegung) über Jahre und Jahrzehnte hinweg verändert hat: "Metaphern vermögen Vorstellungen von Sprache zu vermitteln, die auch das Unausgesprochene und in Worte nicht Fassbare miteinbeziehen – eine Funktion der Metapher, die schon die Mystiker auf vielfältigste Weise nutzen" (344). Dabei geht sie den oft vertrackten und als hermetisch gescholtenen Kommunikationswege von u.a. Ernst Jandl, Friederike Mayröcker und Ulrike Draesner nach und versucht so das Verständnis der poetischen Rede zu ergründen. Michael Eskin (Columbia) geht ebenfalls tiefer auf die Rede von der "Flaschenpost" ein, indem er das von Bertolt Brecht und Osip Mandelstam angereichte Bild in Texten ihrer Nachfolger bzw. Schüler, Paul Celan, Joseph Brodsky und Durs Grünbein findet und neu deutet. Dabei kommt Eskin zu dem überraschenden Ergebnis, dass die Lyriker sich zwar bemühen, eine Flaschenpost auszusetzen, in der Hoffnung, in einen Dialog zu treten, aber oft nicht über den Status des Monologischen hinausgehen wollen. Letztendlich, so Eskin, ist der Adressat nicht Ansprechpartner, sondern der Adressant selbst, der seiner Rolle als "einsamer Robinson Crusoe" frönt.

Zwischen den sehr erkenntnisreichen Beiträgen von Judith Ryan (Harvard) zum etwa in der Tradition von T. S. Eliot entstandenen langen Gedicht und Hermann Korte (Universität Siegen) zu den epigrammatischen Formen in Texten von u. a. Erich Fried, Arnfrid Astel, Günter Bruno Fuchs und Rainer Malkowski, sind die Gedanken von Wolfgang Emmerich (Universität Bremen) zur Lyrik nach Auschwitz als Generationsproblem zu lesen. Es ist schade, dass solch ein wichtiger Beitrag zur zeitgenössischen Lyrik auf diese Weise eingekeilt wurde, andererseits ragt Emmerichs Text dadurch im Heft hervor, weil...

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