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MARLIS MEHRA Goethes Groß-Cophta und das zeitgenössische Lustspiel um 1790 ABGESEHEN VON EINIGEN Einleitungen in den umfangreicheren GoetheAusgaben , in die dieses Lustspiel aufgenommen worden ist, und kurzen Bemerkungen in den bekannten Goethebiographien und Kommentaren sind die kritischen Urteile über Goethes Groß-Cophta äußerst spärlich. Herausgeber und Kritiker werden durch die Existenz dieses mißlungenen Lustspiels in Verlegenheit gesetzt und übergehen es gewöhnlich mit wenigen schonenden Bemerkungen . Diejenigen Goetheforscher jedoch, die das Werk einer gründlichen Untersuchung gewürdigt haben, sind ohne Ausnahme zu einem negativen Urteil darüber gelangt. So nannte es die englische Germanistin Elsie [E.M.] Butler in ihrem Vortrag vor der Englischen Goethe-Gesellschaft über "Goethe und Cagliostro": "A great failure of a great man."1 Sie fand den Grund für Goethes Versagen vor allem in seiner herzlosen Behandlung Cagliostros, für dessen tragisches Schicksal er weder Verständnis noch Mitleid gezeigt und den er in seinem Lustspiel nur mit Hohn und Verachtung verspottet habe. Durch die herzlos-kalte Satire und den Mangel an Mitgefühl sei es Goethe zwar gelungen, den berüchtigten Hochstapler satirisch zu vernichten, aber gleichzeitig habe er dadurch auch die Wirkung seiner Komödie zerstört. Der englische Kritiker CP. Magill versucht in seinem Aufsatz "Der GroßCophta and the Problem of German Comedy" das Lustspiel in die Tradition der deutschen Komödie einzuordnen.2 Er behauptet, daß Goethe sich auch im Genre des Lustspiels versuchen wollte, obwohl er eigentlich kein Talent zur komischen Gestaltung besessen habe. Wie die Tragiker Kleist, Büchner, Grillparzer und Hauptmann, habe auch Goethe einen Streifzug auf fremdes Gebiet unternom- 94 GOETHE SOCIETY OF NORTH AMERICA men, sei dabei aber gescheitert. Seine Komödie habe etwas Beängstigendes, das sie in die Nähe des Tragischen rücke. Auch die bekannte Goetheforscherin Lieselotte Blumenthal betrachtet den Groß-Cophta als ein mißglücktes Kunstwerk, das zusammen mit dem Bürgergeneral und den Aufgeregten den Tiefstand von Goethes dichterischem Schaffen bezeichne.3 Doch scheint ihr die allgemeine Verurteilung zu weit getrieben zu sein, denn sie habe eine Erkenntnis verhindert, die der begrenzten Bedeutung des Werkes gerecht werde. Die bisherigen Forschungsergebnisse hätten nur gezeigt, was der Groß-Cophta nicht sei—nämlich ein gelungenes Lustspiel—aber nicht aufgedeckt, was er eigentlich sei. Durch eine gründliche Darstellung der Entstehungsgeschichte und einen ausführlichen Vergleich der beiden Fassungen, des Opernentwurfs und des Lustspiels, sucht sie dann zum besseren Verständnis des Werkes beizutragen. Fritz Martini führt die von Lieselotte Blumenthal erarbeiteten Ergebnisse weiter. In seinem Aufsatz "Goethes 'verfehlte' Lustspiele: Die Mitschuldigen und Der Groß-Cophta" kommt er zu der Schlußfolgerung, daß in beiden Fällen die Umarbeitung der ersten Fassung in die zweite die komische Wirkung abgeschw ächt und Unstimmigkeiten herbeigeführt habe.4 Durch die Kombination von zwei verschiedenartigen Lustspieltypen, der Commedia dell'arte in der ersten Fassung und des realistisch-moralischen bürgerlichen Lustspiels in der zweiten, hätten sich Zwiespältigkeiten ergeben. Der Opernentwurf folge der italienischen Opera buffa, die in Vorgangs- und Figurentypik mit der Commedia dell'arte zusammenhänge, und das Prosalustspiel stehe unter dem Einfluß der satirisch-moralischen Auffassung des Lächerlichen gemäß der sächsischen Lustspieltradition des 18. Jahrhunderts. Durch diese fatale Mischung zweier verschiedener Formintentionen sei das Werk verfehlt, da es konsequent weder Lustspiel noch Satire sei.5 Der Konsensus der Forschung läuft demnach darauf hinaus, daß Goethe die künstlerische Gestaltung seines Stoffes zum Lustspiel nicht gelungen sei, weil er weder die Anforderungen der Gattung erfüllt noch das Werk zum harmonischen Ganzen durchkomponiert habe. Lieselotte Blumenthal nennt daher den GroßCophta "ein Lustspiel, das keins ist," und Fritz Martini vermißt die conditio sine qua non der Komödie: die komische Spieldramatik.6 Der Maßstab, an dem Goethes Lustspiel gewöhnlich gemessen wird, ist die Spitzenleistung der deutschen Lustspieltradition des 18. Jahrhunderts, nämlich Lessings Minna von Barnhelm. Außerdem werden die Höhepunkte der englischen und französischen Lustspieldichtung sowie Goethes eigene Meisterwerke zum Vergleich herangezogen . Der Versuch, dieses "mißglückte Kunstwerk" in den Kanon der großen Meisterwerke einzureihen, ist natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt, da das Werk eigentlich zur Unterhaltungsliteratur gehört. Die...

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