In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

RAINER HILLENBRAND Das Denkmal der Lust: Amor und die Musen in Goethes 13. Römischer Elegie1 Die ewige Lüge von Verbindung der Natur und Kunst macht alle Menschen irre. (WA IV. 11:70) ii TCH LEBEjETZT wie eine Schnecke, eingezogen ins Haus," schreibt J. Goethe an Jacobi noch bevor er mutmaßlich mit dem Elegiendichten beginnt.2 Während der folgenden Monate betont er immer wieder seine gesellschaftliche Zurückgezogenheit, ja Isolation, z.B. an Herder: "Ich bin sehr einsam und fleißig"3; "Wir haben tiefen Schnee und gro- ße anhaltende Kälte, mitunter entsetzlichen Sturm. Ich habe mich in meinem Stübchen ganz eingepackt"4; "Ich habe mich schon wieder eingehamstert und bin wohl auch nach meiner Art recht vergnügt. Trutz Schnee und Himmelgrau laß ich mir das Beste von Natur und Kunst fürtrefflich schmecken, und habe meine ganze Einrichtung ad intus gemacht."5 Während in den Elegien das "nordische" Wetter für die poetische Uninspiriertheit steht, kam es ihrer Entstehung offenbar zugute, ein Umstand, der die stutzig machen sollte, die biographische und poetische Fakten gleich behandeln.' Natur und Kunst, Amor und die Musen, Christiane und die Erotica kamen also auf Kosten der Weimarer Gesellschaft gleichermaßen zu ihrem Recht. Ihr Verhältnis zueinander hat sich im Sinne der Fünften Elegie stabilisiert. Die Gef ährdung dieses Gleichgewichts wird von der 13. Elegie gestaltet. Goethes Umgebung hat die räumliche und innerliche Distanzierung durchweg übel vermerkt.7 In der Zweiten Elegie ist das Nichts-wissenund -hören-Wollen von "großen und kleinen Zirkeln" (5f.), von politisch -aktuellen Begebenheiten geradezu Programm.8 In der Zwölften Elegie ersetzen die beiden Liebenden ein ganzes Volk (8), d.h. sie 86 Rainer Hillenbrand sind sich selbst genug. Liebe macht asozial—ein Topos der abendl ändischen Literatur. Das Wissen um diese Problematik ist in den Elegien präsent und konstituiert, neben anderem, ihren "elegischen" Charakter. Auch andere Gefährdungen müssen erst überwunden werden: Mißverständnisse unter Liebenden, mögliche Untreue, Eifersucht, mißgünstige Verwandte und Nachbarn, sogar Hundegebell. All dies wird zwar im poetischen Augenblick der Fiktion vom lyrischen Ich bewältigt, gehört aber als das zu Bewältigende zum Erfahrungshorizont der Römischen Elegien , der keineswegs so "naiv" ist, wie immer behauptet wird.9 Überhaupt sollte man mit Etiketten wie "naiv," "sinnlich," "unmittelbar" gerade bei den vielschichtigen, beziehungsreichen und reflektierten Erotica Romana vorsichtig sein. Zu leicht sitzt man hier einer, auch mit Hilfe anderer betriebenen, Selbststilisierung Goethes auf. Es gibt aber keine "naive Dichtung"—sie selbst ist eine Naivität Schillers. Das Ideal der sinnlichen Unmittelbarkeit des Lebens im Liebesgenuß und der daraus gezogenen dichterischen Inspiration wird in den Römischen Elegien mit dem Bewußtsein seiner Problematik und aus der nötigen dichterischen Distanz heraus gestaltet. "Man bedenkt aber selten, daß der Poet meistens aus geringen Anlässen was Gutes zu machen weiß," sagt Goethe über die Römischen Elegien zu Eckermann.10 Trotz dieser Warnung ist die sonst so selbstverständliche methodische Trennung der Protagonisten einer Dichtung von ihren entstehungsgeschichtlich bedingten Vorbildern gerade hier nicht sehr weit verbreitet. Noch immer geistert die Weimarische Christiane durch Textinterpretationen und Kommentare," obwohl in den Elegien weder ein Fräulein Vulpius noch ein Herr Goethe vorkommt , sondern ein lyrisches Ich und seine römische Geliebte. Dieses in den Elegien sprechende und handelnde Ich wird als Dichter vorgestellt , und ein zentrales Thema ist seine Stellung zwischen Liebeserlebnis und Dichtkunst, zwischen Amor und den Musen. Dieser "Dichter" in den Elegien hat mit Goethe gerade soviel zu tun wie ein Ich-Erzähler mit dem Autor. Wenn im folgenden vom "Dichter" die Rede ist, ist immer das lyrische Ich gemeint. Überaus wichtig für das Verständnis der Römischen Elegien ist die Beachtung der in ihnen herrschenden zeitlichen Struktur. Jede Elegie greift einen anderen poetischen Augenblick heraus. Allen gemein ist ihre "römische" Gegenwart mit einer "nördlichen" Vergangenheit. Die Unmittelbarkeit des römischen Augenblicks, der "naive" Lebensgenuß ist das Resultat einer nachträglichen "elegischen" Vergegenwärtigung. Die Möglichkeit des Verlustes bleibt immer bewußt.12 Nimmt man an, es gehöre zur poetischen Fiktion, die Römischen Elegien selbst seien das Produkt des lyrischen...

pdf

Share