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CHRISTOPH E. SCHWEITZER Wallensteins Verrat, Egmont, Phèdre und die Pferde Wenn man von Wallensteins Verrat in Schillers Drama spricht, so bezieht man sich ausschließlich auf seinen Abfall von Ferdinand IL, seinem Kaiser.1 Selbstverständlich spielt dieser Aspekt der Handlung eine zentrale Rolle im Stück, betrifft jedoch nur den homo politicus, nicht den humanus, wie Dieter Borchmeyer die beiden Wesenszüge der Wallensteinschen Persönlichkeit bezeichnet.2 Der Wert des Menschen beruht bei Schiller letzten Endes auf dem Humanen, und das ist der Bereich, auf den sich die folgende Interpretation konzentriert. Ich stimme mit Borchmeyer überein, wenn er Wallenstein jegliches "glaubwürdiges, das reine Machtkalkül transzendierendes politisches Ziel" abspricht.3 Im Folgenden sehe ich im Gegensatz zu Borchmeyer und vielen anderen davon ab, eine Deutung des Dramas aus Wallensteins Sternenglauben abzuleiten, und gehe statt dessen von seinem Verhältnis zu Max Piccolomini aus, das ohne jegliche Beziehung zu Wallensteins Betrachten der Konstellationen entstanden ist. Im Prager Winterlager, also im November 1620, war der halberfrorene kleine Max, der seine Fahne nicht loslassen wollte, von Wallenstein betreut worden. Wallenstein spielte zuerst die Rolle von Maxens Mutter, dann die des Vaters, daraufhin die des Freundes und schließlich auch die des bewunderten Feldherrn und des verherrlichten charismatischen Genies. Max erinnert Thekla ausdrücklich an sein intimes, langjähriges Verhältnis zu Wallenstein, dem er so viel verdanke ("Denk, was der Fürst von je an mir getan" T 2329)4 und von dem er auch das Einverständnis zu ihrer Heirat erwartet ("Es sieht ihm gleich, / Zu überraschen wie ein Gott" P 1706-07) ? Zwischen Wallenstein und Max besteht somit zu Beginn des Dramas ein erprobtes Verhältnis gegenseitigen Vertrauens, das durch Wallenstein in dem selben Augenblick zerstört wird, in dem Max "mündig" (T 711) wird. Es handelt sich um einen Zeitpunkt, in dem dieser gerade ein neues derartiges Verhältnis eingegangen ist, seine Liebe zu Thekla. Das Freundschaftsverhältnis zwischen Wallenstein und Max sowie die Liebe zwischen diesem und Thekla beruhen auf völligem, gegenseitigem Vertrauen.6 In diesem Sinne läßt sich Theklas überraschende Antwort auf die Frage der Gräfin Terzky, ob Thekla Max 194 Christoph E. Schweitzer gesehen hätte, verstehen: "Ich hab ihn heut und gestern nicht gesehn" (T 1287). Thekla verneint dann, auch nur von ihm gehört zu haben. Es fällt einem schwer, sich einen Max vorzustellen, der in dieser Situation, also kurz nach dem ersten Kuß, nicht alles daran gesetzt hätte, mit der glücklichen Geliebten zusammenzukommen. Schiller will eben durch Theklas Bemerkung und Ruhe das völlige, gegenseitige Vertrauen der beiden deutlich machen. Gegenseitiges Vertrauen kennzeichnet auch das Verhältnis zwischen Wallenstein und Max. So meint Wallenstein zum Beispiel, als er bemerkt, daß auf der Loyalitätserklärung seiner Offiziere die Unterschrift von Max Piccolomini fehlt: "Es braucht das nicht, er [Max] hat ganz Recht" (T 125). Wallenstein wird sich aber der Bedeutung Maxens erst nach dessen Tod völlig bewußt. Daß Wallensteins Verhältnis zum Kaiser nicht auf Vertrauen aufgebaut ist, das wird im Stück immer wieder betont. Nachdem der Kaiser seinen siegreichen General ungerechterweise auf das Drängen der Fürsten hin in Regensburg hatte fallen lassen — die Herzogin bezeichnet dieses Ereignis als den "Unglückstag zu Regenspurg" (T 1402) — konnte das gegenseitige Vertrauen nie wieder hergestellt werden. Ebensowenig ist das Verhältnis zwischen Wallenstein und seiner Armee und seinen Offizieren auf Vertrauen aufgebaut. Alle hat er sich durch dauerndes Geben zu verpflichen versucht. Über diese materielle Basis seines Verhältnisses zu den Soldaten und Offizieren ist sich Wallenstein völlig im Klaren. Bezeichnend hierfür ist seine Reaktion auf die Nachricht, daß Isolani ihn verlassen hat: "Ich zog ihn gestern erst aus seinem Elend. / Fahr hin! Ich hab auf Dank ja nie gerechnet" (T 1619-20). (Natürlich gibt es Ausnahmen. Auf Octavio und die Pappenheimer komme ich weiter unten zu sprechen.) Aber sogar Mitglieder seiner Familie hängen entweder völlig von ihm ab (seine Frau, die Herzogin) oder identifizieren sich mit seinem Ehrgeiz (seine Schwägerin, die Gräfin Terzky) oder erwarten persönlichen Vorteil von seinen Erfolgen (deren Mann). Sogar sein Verhältnis zu dem einzigen Kind, zu...

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