In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

HANS-WOLF JÄGER Goethes kleiner Vetter: Erinnerung an den Frankfurter Abenteurer Johann Konrad Friederich Konsultiert man die "Neue deutsche Biographie," so erfährt man dort in der Regel zuerst den Namen des oder der Gesuchten, danach den Beruf. Bei Friederich steht hinter dem Namen (und einigen Pseudonymen, wie sie bei bestimmten Leuten erwartbar sind): "Abenteurer und SchriftsteUer." Schon darum ist dem Mann, den wir hier metaphorisch Goethes Vetter nennen, unsere Aufmerksamkeit sicher. Unsicher sind wft aUerdings über seine wahre PersönUchkeit. Wir rätseln schon, wie er, der sich auch K. F. Fröhüch, Cleophas Wahrlieb, Adolf von Daßel und Karl Strahlheim genannt hat, in Wirklichkeit heißt: Johann Konrad Friedrich, wofür einiges spricht, oder, wofür noch mehr spricht, Johann Konrad Friederich. Am unsichersten aber ist, wie vieles von dem, was dieser "SchriftsteUer" Ui seinen voluminösen Lebenserinnerungen an Abenteuern berichtet, wahr ist und was Erfindung. "ZiemUch anrüchig und jedenfaUs vöüig unzuverlässig" nennt ihn 1908 der Historiker Veit Valentin,1 und aus derselben Zeit stammt diese Beurteilung Friederichs: "zwar ein Frankfurter Kind, aber sonst ein unglaubUcher Wüstung, Aufschneider, Schuldenmacher, Bohémien usw."2 Ein paar Jahre später indessen feiert der Südhesse Kasimir Edschmid ihn als den "toUsten Burschen, den Frankfurt neben Goethe hervorgebracht hat."3 Ob der dichtende Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann mit seinen bekannten "Struwwelpeter"Versenvon 1844 Der Friederich, der Friederich, das war ein arger Wüterich auf unseren Mann angespielt hat, lasse ich unentschieden. Seinen Namen gibt Friederich gerade in jenem Buche nicht preis, dem er seinen jahrzehntelangen Ruhm, den Titel eines "deutschen Casanova" und die Berufsbezeichnung "Abenteurer" verdankt: den "Vierzig Jahren aus dem Leben eines Toten," die—nach früheren TeüveröffentUchungen Ui Zeitschriften—1848 und 1849 dreibändig anonym bei Oslander Ui Tübingen erschienen sind und 1851 gefolgt wurden von "Noch fünfzehn Jahre aus dem Leben eines Toten." Er nennt sich "einen Toten"— vieUeicht hat Pückler-Muskau mit den "Briefen eines Verstorbenen" dabei Goethe Yearbook XII (2004) 242 Hans-WoUJäger Pate gestanden, möglicherweise Chateaubriand mit seinen "Mémoires d'outre-tombe." Ohne Friederich—oder sagen wir vorläufig und vorsichtig: ohne den "Toten"—hätte sich manches Ui der Weltgeschichte anders gestaltet. Papst Pius VII. wäre nicht so sicher gefangengesetzt worden, wie er es dann wurde; von Mozarts Opern oder von SchiUer hätte Südeuropa nichts erfahren; schlecht wäre es auch besteUt gewesen um den künstlerischen Triumph der großen Sängerin Catalani. Und andererseits: Napoleon hätte gewiss wieder ins Spiel der Mächte eingegriffen, wäre sein Tod nicht bedauerlicherweise seiner Entführung von St. Helena zuvorgekommen, die der "Tote" mit Hilfe eines Unterseeboots gerade ins Werk setzen woUte. Solchen Eindruck gewinnt, wer die Memoiren Uest. Aber das ist nur die halbe Sache und würde noch nicht den Übernamen eines "Casanova" rechtfertigen. Vielen Jungfrauen wäre die hastige Reifung zur Frau erspart, zahlreichen geretfteren Damen aus hohen und höchsten Kreisen manch galanter Genuss für immer vorenthalten gebUeben. Die französische Übersetzung der Lebenserinnerungen deutete mit ihrem Titel auf des Abgeschiedenen Doppelbegabung hin: "Mémoires d'un mort. Faits de guerre et exploits d' alcôves." Diese französische Ausgabe erschien Un Jahr 1913, sie war stark gekürzt, aber sie verschaffte der rund 60 Jahre davor gedruckten Lebensgeschichte neue Aufmerksamkeit. Kurz danach gab Ulrich Rauscher das Werk auf deutsch in 3 Bänden heraus, immer noch beträchtUch beschnitten; im "Börsenblatt" wurde sein Verfasser angekündigt als "Held des Alkovens und der Schlachtfelder,"4 und im Vorwort war etwas chauvinistisch von "deutschem Volksheer," "deutscher Herrschaft und deutscher Ausdehnung" die Rede—passend zum Erscheinungsjahr 1915.5 Rauscher identifizierte den "Verstorbenen" als "Friedrich. " Die wirkUche Stunde der Friederich-Forschung aber schlug 1918 mit dem Buch der zwei Frankfurter BibUothekare Friedrich Clemens Ebrard und Louis Liebmann, die mit einer bio-bibUographischen Kraftanstrengung ohne Beispiel diesen "Johann Konrad Friederich. Eni [en] vergessene [η] SchriftsteUer" der Vergessenheit entreißen und Ui den Frankfurter Parnass einrücken woUten.6 Ohne Frage befinde ich mich gegenüber den meisten der zum vorliegenden Heft beitragenden KoUeginnen und KoUegen Ui einer nachteUigen Situation. Sie sprechen über prominente Leute und...

pdf

Share