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HANS RUDOLF VAGET Review Essay. Albrecht Schönes Faust. Philologie, Exegese, Historie Die neue Edition von Goethes Faust im Rahmen der Frankfurter Ausgabe (FA) des Deutschen Klassiker Verlags hat bei ihrem Erscheinen im Herbst 1994 ein außerordentlich starkes und positives Echo gefunden. Die FeuÜletons der großen Zeitungen brachten ausführüche Besprechungen , in denen durchweg eine superlativische Rhetorik vorherrschte und die dem ahnungslosen Leser nichts Geringeres zu suggerieren versuchten, als daß von hier und heute eine neue Epoche sowohl der Faust-Phäolog^e als auch der Faust-Exegese ausgehe.1 Auf dem Uterarischen Markt jenes Herbsts wurde diese Edition, von der Verlagswerbung dazu ermuntert, aUenthalben als Sensation angepriesen. Seither jedoch hat der Weihrauch sich verzogen; der Bück ist frei geworden für eine kritische Würdigung: es gut, die durch das Medienereignis eher verdunkelte phüologische Leistung dieser Edition, aber auch ihre Problematik sowie ihren historischen Steüenwert, genauer ins Auge zu fassen.2 Das von Albrecht Schöne verantwortete phüologische Großunternehmen besteht aus einem gut 800-seitigen Text- und einem über 1100seitigen Kommentar-Band. Schon der Textbestand des ersten Teübandes erregt Verwunderung. Er enthält selbstverständüch den ersten und zweiten TeU der Tragödie sowie den sogenannten Urfaust, den Schöne jedoch umbenannt sehen wül zu "Faust. Frühe Fassung." Dafür werden sehr bedenkenswerte Gründe ins Feld geführt: wft haben es hier mit einer "baüadesken BUderreüie" (II, 828) zu tun, die eigentlich nicht als Vorstufe zu Faust I angesehen werden könne, wie umgekehrt der Tragödie erster Teü, streng genommen, nicht die Fortschreibung der frühen BÜderreihe darsteUe. Vielmehr sei der frühe Faust-Text als "eine für sich bestehende und aUein aus sich selbst zu verstehende Dichtung" (II, 828) zu lesen. Die Bezeichnung "Urfaust" ist in der Tat—wie Schöne ausführt—"haltlos und irreführend" (II, 83); sie paßte wohl besser auf das Faustbuch von 1587Ob sich aber dieser handüche und fest etabUerte Begriff aus der FaustDteratur wftd eliminieren lassen, scheint mir zweifelhaft. Was jedoch am meisten wundernimmt an diesem Text-Band, ist der Ausschluß von Faust. Ein Fragment, dem ersten von Goethe publizierten Faust-Text von 1790. Dies erscheint umso merkwürdiger, als wir dafür ein 272 Hans Rudolf Vaget "Walpurgisnacht" betiteltes Fragment vorgesetzt bekommen. Es handelt sich dabei um einen knapp 400 ZeÜen umfassenden Text, den Schöne selbst aus Teüen der "Walpurgisnacht," aus ParaUpomena, die vermutUch der Selbstzensur zum Opfer fielen, sowie aus einem Zahmen Xenion eigenm ächtig komponiert hat und den er präsentiert als "Vorschlag des Herausgebers für eine Bühnenfassung der Walpurgisnacht" (I, 737).3 Nicht ohne Koketterie beruft er sich dabei auf das prinzipieUe Recht des Bühnenbearbeiters , "aUe Grundsätze der Editionsphüologie" (J, 738) zu ignorieren. Man wftd in dieser angestrengten und einigermaßen verlegenen Erklärung ein halbes Eingeständnis erbücken dürfen, daß dieses WalpurgisnachtSzenar , streng genommen, gar nicht in diesen Band gehört. Die EÜminierung des Faust-Fragments von 1790 ist doppelt bedauerUch : von diesem Text ging bekanntüch die erste große WeUe der FaustWirkung aus; im übrigen repräsentiert er eine von Goethe autorisierte Textgestalt. Weder das eine noch das andere kann von Schönes Walpurgisnacht -Arrangement behauptet werden. Wer somit, wie biUig, aUe authentischen Faust-Texte Goethes in einem Band versammelt sehen wül, ist weiterhin auf andere Ausgaben angewiesen, in erster Linie die Berliner Ausgabe (BA) sowie die Artemis Gedenkausgabe (GA). Desweiteren bietet der Text-Band das gesamte, 200 Seiten umfassende Corpus der ParaUpomena nach der neuen, historisch-kritischen Ausgabe von Anne Bohnenkamp. Eine generöse Auswahl von Zeugnissen zur Entstehungsgeschichte und von Selbstkommentaren beschließt den Band. Letztere werden als "Leseanweisungen" (J, 815) ausgegeben, was jedoch insofern mißverständüch ist, als diesen brieflichen und gesprächsweisen Äußerungen Goethes erst durch den Herausgeber eine solche vom Autor nicht intendierte Bedeutung zugeschrieben wurde. SchÜeßÜch sind die Illustrationen zu erwähnen, darunter FacsünÜes einiger Handschriften sowie Goethes Skizzen für BühnenbÜder zu Faust. Hier findet sich überraschenderweise , zwischen dem "Prolog" und der Szene "Nacht," auch jener...

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