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Goethe Yearbook 443 Matthias Richter, Die Sprache jüdischer Figuren in der deutschen Literatur (1750-1933): Studien zu Form und Funktion. Göttingen: Wallstein, 1995. 351 pp. Mit dieser leicht überarbeiteten Göttinger Dissertation hat der Verfasser ein Standardwerk vorgelegt, das jedem Germanisten als Pflichtlektüre zu empfehlen ist, denn trotz der Anerkennung des Jiddischen als eigenständiger Umgangs- und Literatursprache herrscht immer noch viel Verwirrung, besonders hinsichtlich des deutschen Sprachraums. Richter stellt die beiden Begriffe Jüdischdeutsch bzw. Westjiddisch als die philologisch und historisch geltenden Bezeichnungen der jüdischen Umgangssprache im deutschen Sprachraum heraus. Dieses Westjiddisch ist zu unterscheiden vom Ostjiddisch, das sich zur selbständigen Nationalsprache der Juden in Osteuropa entwickelte. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß Westjiddisch "in vielen Bereichen weder umfassend erforscht noch gar 'handbuchm äßig' beschrieben [ist], so daß das Wissen über diese Sprache vielfach lückenhaft und vage ist" (21). Bei jedem Sprachdenkmal sei erneut zu überprüfen, wie Richter ausführt, ob es mehr Gemeinsamkeiten mit dem Jiddischen (dem zeitgleichen und dem späteren [Ost]-Jiddischen) aufweist oder mit dem Deutschen " (22). Dazu wird Erika Timm zitiert, die von der sprachlichen "Zwischenstellung des Westjiddischen zwischen dem Deutschen und Ostjiddischen'' gesprochen hat (22). Ab 1750 erfolgte im deutschen Sprachraum der Sprachwechsel vom Jiddischen zum Deutschen, zum Teil aufgrund von Regierungsanordnungen, die die Führung von Geschäftsbüchern in deutscher Sprache zur Pflicht machten. Der zweite Motivationsfaktor war die Emanzipation der Juden, bei der das Deutsche entscheidend wurde, indem seine Rolle als Fremdsprache zur Internsprache aufgewertet wurde. Moses Mendelssohns hochdeutsche Pentateuchübersetzung in hebräischen Buchstaben von 1780-83 bildete den Markstein dieses Übergangs zum Deutschen im Kembereich jüdischer Religion und Kultur. Die Verwendung hebräischer Schriftzeichen war die "Brücke," die den jüdischen Lesern den Zugang zum Deutschen erleichtern sollte. Die jüdische Freischule, gegründet 1778 in Berlin, folgte diesem Prinzip bei ihren deutschen Lesebüchern. Die "Brücke" wurde eingerissen, sobald sich die Kenntnis der deutschen bzw. der Lateinschrift weit genug verbreitet hatte. Mit der Durchsetzung der deutschen Sprache als Sprache der Juden im 19. Jahrhundert wurde das Brücken-Prinzip der Reformer zum Ausdrucksmittel der Konservativen. Im letzten Drittel des 19- Jahrhunderts waren vorwiegend nur noch Reste von Jiddisch vorhanden. Westjiddisch als Vollmundart existierte nur noch in einigen ländlichen Sprachinseln, besonders auf alemannischem Gebiet. Das Prestige des Jiddischen nahm radikal ab. Dazu trag nicht nur die Vernachlässigung des Jiddischen durch die Sprachwissenschaft bei, sondern besonders die von Richard Wagner ausgehende antisemitische Bewertung des jüdischen Idioms. Aber auch bei den jüdischen Vertretern des Assimilationsgedanken verlor das Jiddische an Prestige, weil das durch die hochdeutsche Schriftsprache vermittelte Wissen als "Bildungselement ersten Ranges" (Jacob Katz) galt (82). Für die literaturwissenschaftliche Untersuchung führt Richter den Begriff des Literaturjiddisch ein, um deutlich zu machen, daß es sich bei dem in fiktionalen 444 Book Reviews Texten verwendeten Jiddisch keinesfalls um exakte Wiedergabe des gesprochenen Jiddisch handeln muß, sondern um eine Vielfalt von Variationen, die nichts oder oft nur wenig mit dem tatsächlichen Sprachgebrauch von Juden zu tun hatten, aber die Signalwirkung von Jiddisch besaßen. Anhand von neun Texten, von denen zumindest fünf kanonischen Rang besitzen, untersucht Richter die verschiedenen Funktionen des Literaturjiddisch. Zu den unbekannteren Autoren gehören Gottlieb Stephanie d. J. (Die abgedankten Offiziers, eine Minna von Barnhelm-lmitation von 1770), Karl Bonomäus Sessa (Unser Verkehr von 1813) und Julius von Voß (Euer Verkehr von 1816). Außerdem wird Artur Dinters Sünde wider das Blut (1918) behandelt, das mit einer Auflage von 260 Tausend bis 1934 einen der erfolgreichsten Titel der antisemitischen Agitationsliteratur darstellte. Bei Stephanie dient das Literaturjiddisch einer ambivalenten Sprachkomik, die die vorteilhaft dargestellte jüdische Figur zwar nicht denunzierte, aber doch den Protest von Markus Herz hervorrief. Bei Sessa dagegen handelte es sich um antijüdisches Ressentiment, das sich im literaturjiddischen Dialog abreagierte. Der Gegenangriff von Julius Voß, der die Entlarvung der christlichen Umwelt zum Thema hat, verzichtete jedoch nicht auf das Literaturjiddisch, das hier das Stigma fehlender Bildung besitzt. Bei Freytags Soll und Haben spricht Richter von "diskriminierender Merkmalsverteilung," bei A. Bernsteins Vögele der Maggid von "sprachlicher Unterweisung" in jiddischen und jiddisch-hebräischen Ausdrücken. Im...

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