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IRMGARD ELSNER HUNT Mignon: Eine Erzählung Rasant diese reisen, luftsprünge, Schachzüge, Flüge. Sogar PapuaNeuguinea steht auf dem Plan. Auch Peru hat Mignon bereist, beraten und selbst besungen, aber war sie wirklich dort? Fünf Jahre umkreist Mignon schon den Globus. Ich kenne sie. Viele Male ist sie auf Tage oder Wochen mit Sack und Pack in mein Haus gekommen, hat Kleidung und Stöße von Papier ausgepackt und um sich her ausgebreitet, hat ihren laptop gestartet, hat Texte geschrieben und e-mails geschickt, hat eines nachts wieder eingepackt, in letzter Minute vor Abreise morgens um 4 Uhr 30, und ist verschwunden . Schwierig, zu ermitteln, wann Mignon ankommt und abfahrt. Unter Druck gesetzt, kommt etwa heraus: Am 1. Mai in USA-Mitte, am 6. Mai nach Washington, am 10. nach Italien, am 25. wieder in USA, am 1. Juni Manila. Ein anderes Mal ist es eine ganz andere Reiseroute, der Stil aber bleibend, typisch. Sie reist jedesmal an einen Ort weiter, von dem sie nicht hergekommen war. Ein Wanderleben, bunt und aufregend. Irgendwann kommt eine Nachricht aus dem Virtuellen, mein Komputerschirm zeigt im Winzigzeichen rechts oben, daß ihre Worte jetzt aus dem Universum in meinen Bereich eingestreut werden, man weiß aber nicht, von wo. Ich kenne Mignon, aber gibt es sie? Ich in meinem Haus, seßhaft, zuhause. Nachdenkend über die Fahrende , Fliegende. Meine Mignon-Geschichte muß literarisch, nicht wissenschaftlich sein. Gesehen habe ich an Gerhart Hauptmanns "Mignon," daß er Goethe- und Selbstkult betreibt, auch die Mode des Okkultistischen seiner Zeit berührt, und daß des Schlesiers sogenannte Novelle, die am Lago Maggiore spielt, mit Mignon wenig zu tun hat. Nicht über sie schreibt er, sondern über Männer. Er hat in der Stadt am Lago eine Mignon gesehen oder sie sich aus Reise-, womöglich sogar Exotikzauber, eingebildet ; wohl hat sie ihn zum Schreiben inspiriert, aber er kennt sie nicht. Es war einmal ein kleines Mädchen, das wurde schon als Wickelkind von einem Land ins andere getragen. Danach wohnte es immer wieder in einem anderen Haus und faßte niemehr irgendwo festen Fuß. Goethe Yearbook XI (2002) 378 Irmgard Eisner Hunt Mignon möchte ich gem ihre Geschichte schenken. Nicht Kult betreiben , sondern ins Leben rufen. Festhalten auf Papier, was nicht festzuhalten ist. In ihr Enigma eingebettet, ist Mignon schön. In ihrer Aura weile ich gem. Ist meine Mignon Phantasie? Mignon kommt und geht. Gibt es sie? In jedem Fall: Ich kenne sie. Sie ist von heute wie von eh. Mit Handy und laptop zieht Mignon durch die Länder, gehört zu den modernen Nomaden , die hier eine Hotelwohnung haben und dort eine. Das Notwendigste muß als Leichtgewicht, im Kleinformat, oder am besten elektronisch mit ihr reisen. Sie ist Agranomin und verhandelt in den Ländern , durch die sie wandert, an höchster Stelle, um Entwicklungsgelder fließen zu lassen. Umweltbewußt forscht und handelt sie als Fachexpertin . Insgeheim liebt sie neben der Wissenschaft ganz anderes, und die Politik liebt sie nicht. Das Ende des Jahrtausends verbringt Mignon bei Freunden, privat. Die Hausfrau bäckt Würziges für die Festtage, und es kommt ein Tag, an dem das Honigkuchenriechen stattfindet. Mignon hüpft vor Freude durch die Küche, weil der Honigkuchen wie etwas Himmlisches aus der Kindheit herüberduftet, sie freut sich, weil draußen ein paar dünne Schneeflocken fliegen und im nächsten Augenblick der Mehlstaub in der tiefstehenden Wintersonne, die ins Haus flutet, über dem Backbrett schwebt, "wie Schneien," ruft Mignon, hüpft, sie kann bewundernswert Kind sein. Sie hat, wie Tausende von jungen und älteren Frauen vor ihr, soeben eine Bmstuntersuchung hinter sich, Knoten, Schneiden, Tests auswerten, Resultate abwarten, Streß abbauen—o ja, Mignon ist von heute. Auch deswegen hüpft Mignon, alle Ergebnisse sind gut, nichts Böses ist gewachsen . Sie hüpft und mit ihr das Haar, kurz, dicht, kraus, es leuchtet auch in schwacher Sonne wie die Farbe, die man sich unter "rotes Gold" vorstellt. Damals wüteten Kriege, das Kind war bei Bombenalarm geboren worden, und bald danach mußte die Gebärerin fliehen. Sie floh aus der Vaterheimat des Kindes zu den Ihren, aber die Mutterheimat wurde der Kleinen kein Zuhause, sondern...

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