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BRIGITTE PRUTTI Sapphos Todessprung bei Grillparzer oder: Wie tötet man eine Diva? Come now, my holy lyre, Find your voice and speak to me.' Also hatt er lang gesprochen, Hatte höchste Not geklaget, Daß man ihm das Herz durchstochen, Und kein Rettungsmorgen taget. Da kams durch die Luft gezogen, Saitenklangs, vernehmlich kaum, Und sein Kummer war verflogen, Und sein Leiden war ein Traum.2 Mein Essay behandelt die Konzeption des Dramenschlusses und die Problematik des weiblichen Todes in Grillparzers Sappho (1817) auf der Folie der bekannten entstehungsgeschichtlichen Tatsache, daß Grillparzer mit seinem zweiten Trauerspiel ein explizites "Gegenstück [zu dem] tollen Treiben"3 in seinem erfolgreichen Erstlingsdrama, der Ahnfrau , plante. Werner Bauer zufolge lassen sich innerhalb der literarischen Bearbeitungen des Sappho-Stoffes zwei Schwerpunktbildungen ausmachen , die seiner Auffassung nach für die Gestaltung von Grillparzers Sappho gleichermaßen von Belang sind: Die eine betont in sensationell-galanter Weise den erotischen Dreieckskonflikt zwischen der alternden Frau, ihrem jugendlichen Liebhaber und einer jungen Nebenbuhlerin. Die andere sieht diese erotische Situation unter dem Vorzeichen des Widerspruchs zwischen Kunst und Leben, zwischen physischem Glück und Entsagung zugunsten dichterischen Ruhms. . . . Beachtet man die der Singspiel-, bzw. der Librettotradition angenäherte Struktur des Stückes und seine im Zusammenhang zwischen Dingsymbolik und Emblematik entwickelte Bildlichkeit, dann wird die elegisch-monologische Umsetzung dieser beiden Grundmotive als sinngebende Stilhaltung erkennbar, wozu Grillparzers Aussagen über das Stück ja passen. Goethe Yearbook XI (2002) 280 Brigitte Prutti In der literaturkritischen Diskussion des Stückes wurden die beiden hier umrissenen Konfliktdimensionen unterschiedlich gewichtet und beurteilt, und die Geister scheiden sich ebenso sehr in der Frage, wie der weibliche Tod in Grillparzers Trauerspiel zu deuten sei. Die Meinungen gehen im wesentlichen darüber auseinander, ob es sich bei diesem Selbstmord um eine prekäre Form der künstlerischen Selbstbehauptung handelt oder um ein radikales Scheitern angesichts der Unmöglichkeit einer Synthese von Sapphos künstlerischem Schaffen und ihrer Existenz als liebender Frau.5 Einige Grillparzer-Interpreten fassen die an den treulosen Geliebten gerichtete Aussage in der Schlußszene, mit der die Titelfigur hier ihre Selbstfindung deklariert (Ich suchte dich und habe mich gefunden!"6), also mit Roy Cowen als Indiz dafür auf, daß die Sappho dieses Stückes erst "durch Phaon . . . wahrhaftig den Weg zu sich gefunden"7 habe. Das soll besagen: zum Selbstverständnis einer begnadeten Künstlerin, die den in der antithetischen Konstruktion des Stückes angelegten und in der Figurenrede wiederholt evozierten romantischen Dualismus von Kunst und Leben als unaufhebbar akzeptiert und diese verspätete "Einsicht in das Göttliche ihres Amtes"8 durch ihren tödlichen Sprung besiegelt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Heinz Politzer in seiner tiefenpsychologisch ausgerichteten Lektüre des Stückes als einer "Tragödie der alternden Frau,"9 die nur im Hinblick auf den ob seiner theatralischen Qualitäten gerühmten Dramenschlu ß als "Künstlerdrama" gelten könne, denn "erst am Ende, wenn sie ihren Tod auf sich nimmt, vollendet sich diese Sappho als Dichterin und damit tragische Figur."10 Diese tragische Vollendung kommt Politzer zufolge aufgrund von Sapphos Einsicht in die narzißtische Qualität ihrer vermeintlichen Liebe zu Phaon zustande. Im Anschluß an Politzer spricht auch Helmut Bachmaier, der Herausgeber der neuen Klassikerausgabe des Grillparzerschen Oeuvres, in seinem interpretativen Kommentar zu Sappho von einer aus dem "narzißtischen Selbstbezug" der Titelfigur resultierenden "Selbstentdeckung" als Künstlerin." Seiner Auffassung nach handelt es sich dabei um eine Konfliktlösung, mittels derer die innerhalb der Dramenhandlung vollzogene "Verbürgerlichung des klassischen Kunstideals" am Ende des Stückes noch einmal zurückgenommen wird: "Sie [Sappho] war der Berufung zum Amt des Dichters gefolgt und war doch dem Leben verfallen. Ihr Ende bereitet die Rückkehr und ein Bekenntnis zum Ursprung, eine neue Vereinigung mit dem Göttlichen vor. Insofern widerruft ihr Tod die Säkularisierung des klassischen Kunstideals, das jedoch nur noch in der Negativität gegenwärtig bleibt."12 Konträr zu den bisher umrissenen Interpretationen des Dramenschlusses steht die Auffassung dieses weiblichen Suizids als des einzig möglichen Auswegs aus einer aporetischen Konfliktsituation, der je nach Deutungsansatz und Bewertungsmaßstab der Kritiker als schuldhaftes oder schuldloses Scheitern bestimmt wird. In seiner Strukturanalyse der Grillparzerschen Sappho und der das...

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