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KLAUS L. BERGHAHN Ein klassischer Chiasmus: Goethe und die Juden, die Juden und Goethe Goethe und die Juden1 ""T)ULDENHEIßTBELEIDIGEN,"LAUTETGoethesvielzitierte151. ■^^Maxime, nur unterschlägt man meist die dazugehörige Reflexion , die dem Merkspruch erst die lebenspraktische und auch poütische Würze gibt: "Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen" (HA 12:385). Mit diesem Motto wäre auch Goethes Verhältnis zu den Juden seiner Epoche schon fast hinreichend charakterisiert, wenn er sich selbst nur daran gehalten hätte. Im Kontext der ausufernden Toleranzdebatte des 18. Jahrhunderts ist Goethes Aphorismus eine Provokation. JedenfaUs paßt seine pointierte Bemerkung weder zur sanften, mitmenschüchen "Herzenstoleranz , " die das Fremde gönnerhaft duldet und sich Ui Krisensituationen doch nicht bewährt, noch zur strengen, obrigkeitsstaatüchen Variante, welche die Duldung der Minorität per Edikt von Oben erzwingt. Goethe verstand die Toleranz als eine bloß transitorische Gesinnung, die zu gegenseitiger Anerkennung führen muß. Als sekundäre Tugend wäre sie auf Dauer eine herablassende Geste und damit eine Beleidigung der Tolerierten. Aber sie soU mehr sein als das: Sie muß ein reflektierter WÜlensakt werden, der das Anderssein in seiner Besonderheit und Fremdheit erkennt, gelten läßt und die Toleranz schUeßüch obsolet macht. Sie mag geseUschaftiicher Nachsicht, Rücksichtnahme und Konvention entspringen, doch genügt diese passive, sanfte Toleranz nicht, ja sie ist kaum Toleranz zu nennen. Die reflektierte Toleranz ist eine doppelte Negation: Sie setzt sich mit dem Fremden auseinander, um es zu verstehen und um Vorarteüe und Intoleranz zu überwinden. Ihr Ideal wäre die Aufhebung der Gegensätze und damit eine Utopie der Gemeinschaft heterogener Mitgüeder. Dann würde Toleranz Ui Anerkennung aufgehoben und damit überflüssig. Das ist wie vieles bei Goethe groß gedacht und scharf formuüert, entspricht jedoch nicht ganz seiner Lebenspraxis. Dieser Widerspruch 204 Klaus L. Berghahn zwischen menschenfreundlicher Theorie und halbherziger Praxis wüd nirgends deutücher als in seüiem Verhältnis zu den zeitgenössischen Juden und zum Judentum. Gewiß verkehrte Goethe freundUch und auch freundschaftlich mit vielen Juden, die sein Interesse erregten oder ihm nützten—ansonsten hielt er sich fern von ihnen. So lobte er den "thät'gen Juden" Elkan Ui Weünar; er schätzte die Philosophie des Baruch Spinoza, dessen Ethik er wiederholt las und der seine Weltanschauung prägte; er lud den Maler Moritz Oppenheim in sein Haus am Frauenplan und steUte seine Werke dort aus; und über aUe Uebte er das Wunderkind FeUx Mendelssohn, den Enkel jenes berühmten Moses, der zwischen 1820 und 1830 sein häufigster und Uebster Gast war. Und dann gab es auch noch die Jüdinnen, die schon den Knaben Ui Frankfurt faszinierten. Sie waren nicht nur schön, klug und charmant, sie hatten auch den rechten Geschmack—nämUch für Goethes Werke. In den Berliner Salons von Henriette Herz, Rahel Levin und der Geschwister Sara und Marianne Meyer galten seine Werke als der Katechismus wahrer BUdung. Sie lasen und verehrten ihn, er traf sie seit 1795 oft und gern in den böhmischen Bädern. Nach echt Goethescher Manier verhebte er sich Ui Marianne von Eybenberg, geborene Meyer, die seine Leidenschaft nur mit größter Anstrengung auf eine Freundschaft zur ückstutzen konnte. AU seine Verehrerinnen überragte Rahel Levin, spätere Varnhagen von Ense, die Ui ihren beiden Berliner Salons den Goethekult einführte, dem sich selbst der junge Heme beugen mußte. Sie und ihr Mann sorgten dafür, daß Goethes Ruhm auch m dürftigen Zeiten nicht verblaßte. Es wäre Goethe nicht Ui den Sinn gekommen, sie als jüdische Bekannte oder Freunde zu tituUeren—außer dem "thät'gen Juden" Elkan, den Hofjuden.2 Goethes Verhältnis zum Judentum und zur Emanzipation der Juden ist komplexer, wenn auch zeittypisch. Wie die meisten Aufklärer verehrte er das Volk des alten Bundes. Mit den fünf Büchern des Alten Testaments war er von Kindsbeinen an vertraut und Uebte die alten Geschichten . Unterricht Ui Hebräisch und Jiddisch erbat er sich vom Vater aus Interesse, und Herder machte ihn Ui Straßburg auf die Schönheit der hebräischen Poesie...

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