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JOHANNES ANDEREGG "... wenn ich dir es nicht mittheilen könnte"1: Zu Goethes Briefen an Charlotte von Stein auf der Reise nach Rom GOETHES REISE NACH UND IN ITAUEN 1786-1788 ist eingehend kommentiert, seine Italienische Reise ist vielfach interpretiert worden, und die Briefe, die diesem Werk zugrunde Uegen, hat man unter verschiedensten Gesichtspunkten auszuwerten versucht. Auch die folgende Arbeit befaßt sich mit Goethes Reise nach Rom, mit den Briefen , die er auf dieser Reise—vorwiegend an Charlotte von Stern—geschrieben hat, und mit der Publikation von 1816—aUerdings in einer von unmittelbar biographischen und interpretatorischen Vorhaben abweichenden Weise. Im Zentrum des Interesses steht das Medium Brief, und gefragt wüd, welche Funktion oder Leistung dem Medium Brief bzw. der Briefform—etwa Un Gegensatz zu Tagebuch oder Reisebericht —Ui einer bestimmten historischen Situation zugeschrieben werden kann. Dabei zeigt sich, daß die spezifische Frage nach der Funktion eines Mediums oder einer Gattung auch Ui weitergespannten Uteraturgeschichtlichen Zusammenhängen fruchtbar werden kann. I ud 3 Sept früh 3 Uhr stahl ich mich aus dem Carlsbad weg, man hätte mich sonst nicht fortgelassen. Man merckte wohl daß ich fort woUte . . ." (10). Goethes sorgfältig geplanter,2 aber von aUen,3 auch vor den Nächststehenden geheimgehaltener Aufbrach nach Itaüen hat die GeseUschaft erstaunt, die Freunde verwirrt und die Freundin, Charlotte von Stern, tief verstimmt, ja verletzt. Viel dürfte damals gerätselt und geredet worden sein über Anlaß und Ziel von Goethes Reise—wohin die Reise ging, teUte Goethe auch seinem Herzog Carl August erst mit, als er Rom erreicht hatte—und noch heute lassen sich Goethes Biographen durch das, was er gesagt, und mehr noch durch das, was er verschwiegen hat, zu weitreichenden Interpretationen anregen. Gründe für seine Reise hat Goethe selbst Ui verschiedenen Zusammenh ängen genannt; dabei wird nicht selten eine ungeschützte EmotionaUt ät spürbar, die auch dann noch erstaunt, wenn man bedenkt, Goethe Yearbook 85 daß diese Äußerungen an Charlotte oder an Carl August, an engste Vertraute also, gerichtet waren. Während seines Venedig-Aufenthalts rechtfertigt er sich gegenüber Charlotte von Stein mit dem Hinweis auf seine ItaUensehnsucht, die zur "Kranckheit" geworden sei: Hätt ich nicht den Entschluss gefaßt den ich jetzt ausführe; so war ich rein zu Grunde gegangen und zu aUem unfähig geworden, solch einen Grad von ReUe hatte die Begierde diese Gegenstände mit Augen zu sehen m meinem Gemüth erlangt. (116) Daß es dabei um mehr ging als um übUches Fernweh, macht vor aUem die drastische Wortwahl deutlich, die Goethe übrigens Ui der Italienischen Reise4 wiederholt. Mit einer ähnüch radikalen FormuUerung wübt er Ui einem Brief aus Rom bei Charlotte um Verständnis: "Verzeih mir ich kämpfte selbst mit Todt und Leben und keine Zunge spricht aus was Ui mir vorging . . ." (23- 12. 1786, S. 199). Und nur wenig später antwortet er einmal mehr auf Vorwürfe Charlottes, die ihm weder die Reise noch deren Geheimhaltung verzeihen konnte: Dazu kann ich nichts weiter sagen als: ich habe nur Eine Existenz, diese hab ich diesmal ganz gespielt und spiele sie noch. Komm ich leiblich und geistlich davon, überwältigt meine Natur, mein Geist, mein Glück, diese Krise, so ersetz ich dir tausendfältig was zu ersetzen ist. — Komm ich um, so komm ich um, ich war ohne dies zu nichts mehr nütze. (20. 1. 1787, S. 229) Goethes Äußerungen lassen erkennen, daß seine ItaUenreise der Versuch war, einer grundlegenden Krise Herr zu werden,5 die ohne Zweifel vielerlei Ursachen hatte. Daß die müiisterieUen Aufgaben und Verpflichtungen, die Goethe Ui aU den Jahren sehr ernst genommen hatte, den Spielraum für den Dichter und Künstler immer enger werden ließen, ist schon von Freunden bemerkt und von Biographen immer wieder dargelegt worden. Aber zermürbender dürfte Goethes Erfahrung gewesen sein, daß er als Minister nicht oder nur Ui unzureichendem Maße verwirkUchen und durchsetzen konnte, was Not tat; die geseUschaftlichen Strukturen hatten Goethe schon früh zu schaffen gemacht—davon zeugt etwa sein Brief an Knebel vom 17. April 1782— und die finanzieUen und personeUen Verhältnisse setzten Grenzen, die er als zunehmend...

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