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  • Fragen nach Kaspar Hauser. Entwürfe des Menschen, der Sprache und der Dichtung
  • Ulrich Struve
Fragen nach Kaspar Hauser. Entwürfe des Menschen, der Sprache und der Dichtung. Von Monika Schmitz-Emans. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2007. 283 Seiten. €36,00.

In ihrer groß angelegten Studie, die sich an ein literatur- und kulturwissenschaftli-ches Fachpublikum richtet, geht Schmitz-Emans aus metaphorologischer Perspektive zentralen Aspekten der Kaspar-Hauser-Mythe nach: der Produktion von Menschen-Bildern, der Thematik der Sprache als Medium der Selbst- und Weltverständigung sowie Entwürfen der Dichtung und des Dichters.

Inspiriert von Blumenbergs Höhlenausgängen untersucht die Autorin "exemp-larisch die Funktionen des Metaphorischen innerhalb der Wissensdiskurse" (16). Da-bei zeigt Schmitz-Emans wiederholt eindringlich und überzeugend, wie gerade die "Unschärfen metaphorischer Konzepte" (16) produktiv die Kreativität der Teilnehmer verschiedener Diskurse anregen, besonders intensiv nicht zuletzt in der Dichtung der Moderne.

Die nachfolgenden Kapitel grundierend, entfaltet Schmitz-Emans eingangs die Hauser-Mythe als Anlass, nachgerade als Motor für Entwürfe von Menschen-Bildern [End Page 104] anthropologischer wie literarischer Provenienz. Als Bedingungen dieser Produktivität der Hauser-Mythe betont Schmitz-Emans ganz zu Recht deren Unschärfe, die pri-mär aus den ungelösten und vermutlich letztlich unlösbaren Rätseln um die Herkunft des Findlings resultiert. Hinzu kommt in der Moderne das unhintergehbare Wissen um die Historizität eigener Ich- und Menschheitsentwürfe, so dass die Arbeit am Fall Hauser zumeist—und hier paraphrasiert die Autorin mit erkennbarer Sympathie Durs Grünbein—auch die "Produktion des jeweils zeitgemäßen Menschentypus" (39) beinhaltet.

Findling und Spukgestalt, gefangener Prinz, neuer Adam, messianische Figur, Kaspar als "Ossi" oder in der "freak show"—wer mit der literarischen Kaspar-Hauser-Tradition vertraut ist, den werden diese Figurenkonstellationen und Schlagworte wenig überraschen. Literarisch und kulturgeschichtlich vorgeprägt, kommen sie in der Hauser-Rezeption (wieder) zum Tragen. Schmitz-Emans behandelt sie ebenso routi-niert wie gekonnt anhand treffender Beispiele.

Neue Einsichten und Ausblicke bietet die Studie der ausgewiesenen Jean-Paul-Expertin in der Engführung der "heimlichen Prinzen" Jean Pauls von der Unsichtbaren Loge über den Hesperus bis zum Komet mit Jacob Wassermanns "Prinzen und neuem Adam" im Caspar Hauser- Roman. Als zentrales Konnotat des Motivs des verborgenen Prinzen macht Schmitz-Emans "die Idee einer verborgenen, wesenhaften, wenn auch der Enthüllung bedürftigen Identität" (65) aus. Dabei feiert sie an Jean Pauls Bil-dungsgeschichten den "Entwurf multipler Selbst-Bilder" (63) und dessen Werk damit letztlich als aktueller, radikaler und moderner denn Wassermanns an einer prinzipiell feststellbaren Identität festhaltenden Roman. Vor allem die symbolische Überhöhung des Findlings, ein weitestgehender Mangel an ironischer Distanz und ein idealistisches Beharren auf der Möglichkeit einer eruierbaren Wahrheit begründen in Schmitz-Emans' Urteil das Defizitäre an Wassermanns Text.

Schmitz-Emans' abschließende kluge Überlegungen über den Komet und Caspar Hauser als "Romane über das Sehen" (92) sind dagegen durchaus spannend. Niko-laus Marggraf, der Held des Komet, hält sich selber für einen verborgenen Prinzen. Mit Hilfe verschiedener Maler inszeniert er in einer Reihe von Porträts sein imaginiertes Selbstbild, ergo sich selber als Prinzen, in der Hoffnung, durch die Bilder seinen prä-sumptiven fürstlichen Vater auf sich aufmerksam zu machen. Die Autorin liest diese Porträtepisode des Romans als "eine subjektiv-perspektivische Variante" von Platons Anamnesis-Konzept (92): "Die Wiedererinnerung an die eigene Idee von sich selbst ist der entscheidende Schritt bei der Erkenntnis einer Wahrheit, die ihrerseits nicht anders denn als subjektive modellierbar ist. [ . . . ] Es gibt keine absoluten Urbilder, sondern es hängt von Interpretationen ab, was man für das Urbild, was für das Abbild hält" (92). Von Wassermanns bildhaften Betrachtungen von Landschaften und Traum-visionen greift die Autorin besonders jenen Moment auf, in dem Wassermanns Lehrer Daumer gemeinsam mit seinem Schützling die untergehende Sonne betrachtet, und arbeitet daran heraus, dass bei Wassermann "Blickmomente" (94) im wesentlichen mit Symbolhaftigkeit und tiefer Offenbarung verbunden sind, wie etwa in Caspars erster Begegnung mit seinem Spiegelbild. Pointiert Schmitz-Emans: "Was sich bei Wassermann als intuitiv-ahnungsvolle Erinnerung, als Anamnesis gestaltet, ist bei Jean Paul Konstruktion, Entwurf, Selbst-Entwurf" (94). Auch wenn die Autorin hier erneut der argumentativen Strategie folgt...

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