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  • "Es sind vortreffliche Italienische Sachen daselbst": Louise von Göchhausens Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790
Louise von Göchhausen, "Es sind vortreffliche Italienische Sachen daselbst": Louise von Göchhausens Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790. Ed. Juliane Brandsch. (Schriften der Goethe-Gesellschaft 72.) Göttingen: Wallstein, 2008. 520pp., 7 illustrations.

Das Tagebuch, das Louise von Göchhausen (1752–1807) als erste Hofdame der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807) während deren Italienreise führte und das hier erstmals ediert vorliegt, ist ein wichtiges Dokument für die Biographien beider sowie für Italienreisen und deren Kontext im 18. Jahrhundert. Die Edition war lange ein Desiderat. Eine Unmenge editorischer Arbeit steckt in dieser schönen Buchusgabe. Es bleibt ihr ein großes Echo zu wünschen. Das Manuskript, betitelt "Tagebuch der Hofdame Louise von Göchhausen über ihre Reise nach Italien" (21), ist aus Göchhausens Nachlaß im Goethe-Schiller-Archiv überliefert, obwohl sie alle privaten Dokumente vernichtete.

Die gediegene, gewichtige Edition von Juliane Brandsch erfüllt alle Wünsche, das Dokument möglichst originalgetreu und präzise zu präsentieren. Das heißt in diesem Fall nicht nur Beibehaltung der oft abenteuerlichen Schreibung, sondern sichtbarer Wechsel zwischen deutscher Kurrentschrift und lateinischer Schreibschrift in zwei verschiedenen Schrifttypen, und sogar Streichungen und Einfügungen wurden wiedergegeben, Abkürzungen aber in der Regel aufgelöst. Das sieht dann in einem typischen Eintrag so aus:

Den 15 [November 1798] Wir fuhren Nachmittag nach den Pausilipo, Tisbein, Chevalier Gioene und General Salis kamen den Abend, lezterer blieb so lange daß wir erst zu Ende des ersten Acts in Teatro nuovo kamen. Wir sahen den nachmittag einen schönen Regenbogen aus ‹über› den Meer der den Vesuv und die Stadt umfaßte und mir aus dem Meer zu steigen schien.

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Der letzte Teilsatz ist typisch für die Zurückhaltung, mit der Göchhausen Details und subjektive Reflexion einfließen ließ.

Orginalschrift oder normalisiert? Diese Frage muß jede Herausgeberin eines Dokuments des 18. Jahrhunderts zuerst entscheiden. Eine kritische Ausgabe mit allen Finessen der Editionskunst für wenige Spezialisten oder eine Ausgabe, die "es nun einer breiten Leserschaft ermöglichen [soll], den gesamten Text selbst kennenzulernen und zu beurteilen" (16), wie die Herausgeberin in ihrer gelungenen knappen Einleitung schreibt? Brandsch versuchte beides, aber Nicht-Spezialist/innen fänden eine normalisierte Edition sicher lesbarer. Wieviel ist zu kommentieren, um den Zugang zu erleichtern, aber ohne daß der Kommentar das Original erdrückt? In dieser Ausgabe stehen 148 Seiten Tagebuch etwa 270 Seiten "Sachkommentar" und weiteren 75 Seiten "kommentiertem Personenregister" gegenüber, die manches Italienbuch und biographische Nachschlagewerk ersetzen. Ein Instrumentarium, das den spröden Text erschließt, aber zugleich verdeutlicht, daß das Tagebuch über weite Strecken eine Art Stichwortliste ist, die dem späteren Erinnern und Erzählen dienen konnte und die entsprechend zu füllen ist. Brandsch beschreibt den Text zutreffend: "ein Faktenjournal […], das tagtäglich z.T. mit relativ genauen Zeitangeben den jeweiligen Aufenthaltsort, die Reiseetappen, Ausflüge von Rom oder Neapel aus, Besuche in Museen, Kirchen, Galerien, Konzerten und Opern, Begegnungen mit Personen unterschiedlichen Standes, Briefeingänge, auch oft Anmerkungen zum Wetter, zur Qualität der Wege und Herbergen, zum Essen, zur Gesundheit usw. [End Page 400] festhält" (10). Jeder Tag der zweijährigen Reise ist so abgedeckt, aber persönliche Elemente wie Beschreibungen und Urteile (von der Landschaft bis zum Volkscharakter) sind knapp gehalten und eingestreute Anekdoten sind selten, ausgesuchte sprachliche Formulierungen und Witz nicht das Hauptinteresse der Schreiberin. Aufgrund der Tatsache, daß es all dies immerhin gibt, wendet Brandsch sich gegen bisherige Forschungsmeinungen, die das Tagebuch als für die Herzogin geschrieben und deshalb als deren amtliches Dokument (Sandra Dreiser-Beckmann) oder ein Bedienstetentagebuch (unveröffentlichte Magisterarbeit von Dorothee Müller, Marburg 2005) in Ergänzung zum privaten Tagebuch der Herzogin einordnen. Die Herausgeberin argumentiert dagegen, es handle sich bei dem Tagebuch um "ein privates Schriftstück, das seine Spezifik gegenüber anderen zeitgenössischen Tagebuch- und autobiographischen Texten aus der sozialen Existenz seiner Schreiberin, einer im Dienste an ihrer Fürstin aufgehenden Hofdame, gewinnt" (11). Bei Nichtspezialist/innen erweckt der Titel sicher falsche Vorstellungen, denn spannend zu lesen ist dieses Diarium nicht.

Das Titelzitat ist nicht glücklich gewählt, stammt es doch vom Besuch des Antikensaals im Münchner Herzogsschloß (am 25. August 1788, 25), thematisiert also nur die Vorfreude auf Italien. Passendere Aussagen finden sich zuhauf, gerade in ihrer Schlichtheit, das der häufige Vermerk "Abends in die Oper" oder "Den ganzen Vormittag Visiten" (16. April 1790, 142); "Das Meer sah ich nie prächtiger" (8. Februar 1789, 65), "Früh um 9 Uhr von Rom ab" (19. April 1790, 142), "Vormittag in die Sixtinische Capelle" (10. April 1789, 76), "Abends zeichneten wir mit Tisbein" (21. März 1789, 72) oder "Auf keinen Theater in Neapel wird geküßt" (30. August 1789, 99), wenn denn ein Stichwort Italien oder Kunstinteressen vermitteln soll.

Waltraud Maierhofer
The University of Iowa

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