• Feindlich verbündetLessing und die Neuen Erweiterungen der Erkenntnis und des Vergnügens

I. Eine Konstellation im literarischen Leben

Der Herausbildung des literarischen Lebens geht in den deutschsprachigen Ländern ein literarischer Geschmackswandel parallel: als es seit dem mittleren achtzehnten Jahrhundert zum Zusammenwirken von jenen Faktoren kommt, die das Grundmuster des “commercium litterarium” ausmachen (Berufsschriftstellertum, Verlagsbuchhandel, Buchkritik und Lese-Publikum), geschieht zeitgleich auch, nach Abschluß der Leipzig-Zürcher Kontroverse, der Orientierungswandel von klassizistisch französischen zu unklassizistisch englischen Vorbildern, die dem eigenen nationalen “Naturell” als verwandt verstanden werden.1 Zu den institutionellen Trägern dieses “sich so formierenden literarischen Lebens gehör[t] das Zeitschriftenwesen” in vorderster Linie,2 zu den personalen der aus der eigenen geistigen Substanz schöpfende Autor, der sich vom Mäzenatentum ebenso emanzipiert hat wie vom religiösen oder staatspolitischen Erbauungsauftrag. An Lessing denkt man da zuerst, während als repräsentiv einschlägige Zeitschrift die Leipziger Neuen Erweiterungen der Erkenntnis und des Vergnügens in Vorschlag zu bringen wären: ein Journal, das gleichzeitig mit dem ersten Band von Lessings gesammelten Schrifften auftritt und sein Erscheinen einstellt, als Lessing es mit den Literaturbriefen zum führenden Literaturkritiker gebracht hat (12 Bände in 72 Stücken, 1753–62).

Zugegeben: die Rolle dieser Zeitschrift in der Konstituierung des literarischen Lebens und der Artikulation der neuen geschmacklichen Leitvorstellungen liegt weniger auf der Hand als die Lessings, und sie ist auch bescheidener. Dennoch haben diese beiden Exponenten der Wandlungsvorgänge um die Jahrhundertmitte immerhin viel miteinander gemein: die Favorisierung der englischen Literatur, namentlich Drydens und Shakespeares, aber auch Otways, Thomsons, Steeles und anderer, das Eintreten für das als englischer Import aufgefaßte bürgerliche Trauerspiel, das Interesse am englischen Roman (Richardson, Fielding) als Gegenentwurf zum Heldenepos (das damals in Leipzig wie in Zürich noch die bevorzugte Gattung war). Nicht nur das: manches, was die Neuen Erweiterungen schon 1755 zum bürgerlichen Trauerspiel zu sagen haben, wirkt wie ein zustimmender Kommentar zu Miss Sara Sampson als der exemplarischen und [End Page 327] ersten Verwirklichung dieser neuen Gattung; und wo würde man wohl eine Äußerung wie die folgende suchen: die Übersetzung eines ganzen Shakespeare-Stücks würde bei “dem deutschen Geschmack” kaum Beifall finden:

Warum? Weil wir lieber das elendeste Stück, darinnen alle Regeln der drey Einheiten mit allen Unvollkommenheiten der tragischen Schaubühne genau verbunden werden, zu lesen gewohnt sind, als daß wir die Kühnheit eines erhabenen Genies, das keinen als seinen eigenen Vorschriften folgt, in allen seinen schönen Unvollkommenheiten bewundern sollten. Shakespear war zu groß, sich unter die Sklaverey der Regeln zu demüthigen. Er brachte dasjenige, was andere der Kunst und der Nachahmung zu danken haben, aus dem Ueberflusse seines eigenen Geistes hervor.

Bei Lessing würde man sie suchen; zu finden ist sie aber in den Neuen Erweiterungen, und zwar schon 1756, drei Jahre vor dem 17. Literaturbrief.3 Gesteigert wird das Erstaunen über solche Gemeinsamkeiten noch durch allerlei (nicht ganz vorbehaltlose, aber respektvoll bis begeisterte) Zustimmungen zu Lessing-Werken aus den fünfziger Jahren, die in den Neuen Erweiterungen intensiv diskutiert werden; auch diese Werke, die zwar mit englischer Literatur nichts zu tun haben, bezeichnen Schwerpunkte von Lessings literarischen Interessen in diesen Jahren. Überraschende Übereinstimmungen also nicht so sehr im Verfahren der Kritik oder in ihrem theoretisch-ideologischen Vorverständnis als im Themenregister der literaturkritischen Diskussion, die einen wesentlichen Sektor des sich eben erst entwickelnden literarischen Lebens ausmacht. Wie ist dieser Sachverhalt zu verstehen?

In den fünfziger Jahren, zunächst um 1755 (mit Lessings Rezensionen und anderen journalistischen Arbeiten) und dann a fortiori 1759/60 (mit seiner Mitarbeit an den Literaturbriefen) beginnt eine neue Epoche der Literaturkritik im deutschen Sprachraum, in der Lessing sich als der dominierende Machtfaktor profiliert.4 Schon in der ersten dieser beiden Phasen sucht Lessing sich “den bestehenden Parteien gegenüber … durchzusetzen”;5 mit dem Erfolg der Literaturbriefe hat dann die Konstellation Leipzig-Zürich ausgespielt im literarischen Leben, das Zentrum ist nach Berlin gerückt. Ob geachtet oder gefürchtet: “allen war [um die Mitte des Jahrzehnts] Lessings besondere Machtstellung klar”; “Lessings Polemik [in den Literaturbriefen] war wie eine Katharsis für das deutsche literarische Leben.”6 Daran ist nicht zu rütteln. So war es beabsichtigt, und so wurde es zeitgenössisch empfunden. Wie aber steht es mit dem davon inspirierten und in der Rezeptionsgeschichte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein leitmotivisch gewordenen Klischee von Lessing als dem “einsamen Kämpfer”?7

Inzwischen wissen wir: der sprichwörtliche “einsame Streiter” vieler Generationen und der ebenso einsame “Reformator,” der “erste Kunstrichter Deutschlands” (Herder) oder “Vater der deutschen Kritik” (Adam Müller)—“immer der erste” (Walter Jens) und von “einsamem Rang”:8 dieser Lessing war in den fünfziger Jahren in den deutschsprachigen Ländern nicht ganz so isoliert, wie das Klischee es will. Tatsächlich stammen z. B. längst nicht alle Lessing zugeschriebenen Rezensionen aus der frühen Zeit von ihm.9 Im Plural sprachen schon die Zeitgenossen von der spätestens durch die [End Page 328] Literaturbriefe geschaffenen neuen Konstellation im literarischen Leben bzw. in der Geschichte der Literaturkritik: “Die Verfaßer der Litteraturbriefe machten, daß Gottsched mit Bodmern vergeßen wurde; sie allein führen den Scepter und die übrigen Kunstrichter wurden entweder verlacht, oder sie beteten ganz andächtig die Aussprüche nach, welche ihre Befehlshaber dictirten.”10 Nisbet spricht denn auch mit Recht vom Erfolg Lessings und seiner “Mitarbeiter” an den Literaturbriefen (Nisbet 348), schon Herder sprach von “Gehülfen” (Herder 496)—an Nicolai und Mendelssohn vor allen wäre da zu denken. Lessing hatte also gleichgesinnte Zeitgenossen und Weggefährten. “Jede Interpretation, die das Innovatorische von Lessings Kritik herausstellt und mittels einzelner Theoreme belegt,” heißt es im Lessing-Handbuch à propos Literaturkritik, “ist dem Einwand ausgesetzt: die Einsichten, die Lessing formuliert, sind, für sich betrachtet, nicht originell” (Fick 159). Das klingt angesichts fehlender Nachweise bedenklich pauschal. Was der 17. Literaturbrief behauptet, stellt Nisbet fest, “traf mit der Zeitstimmung zusammen,” fügt aber umsichtig hinzu: “wenn nicht sofort, so doch sehr bald darauf” (Nisbet 341)—was immerhin in diesem oder jenem Punkt die Möglichkeit der Einsamkeit oder Originalität offen läßt. Berghahn nennt in der maßgeblichen Geschichte der deutschen Literaturkritik die von Lessing zu Unrecht in den Schatten gestellten “gleichberechtigten Mitstreiter der Aufklärung” in Sachen Literaturkritik: nicht weniger als ein gutes Dutzend aus den fünfziger und sechziger Jahren (Berghahn 48). Textlich nachgewiesen konnte solches Mitstreiten aber im gegebenen Kontext nicht werden; man wüßte auch gern mehr über Prioritäten, auf die doch viel ankommt, wenn es um die Frage geht, ob von einem dominierenden spiritus rector zu reden wäre oder von einem Kollektiv oder Netzwerk von ähnlich denkenden Zeitgenossen. Zu einem Ansatz zu solcher Analyse kommt es bei Berghahn nur im Falle Nicolais—der jedoch von Lessing abhängig ist, wie Nisbet betont.11 So bleibt der philologisch textnahe und extensiv detaillierte Nachweis von wirklichen oder scheinbaren zeitgenössischen Parallelen oder partiellen Parallelen zu Lessings Durchbruch in den fünfziger Jahren ein Desiderat. Und solange das der Fall ist, behält die Formel von dem “großen Einsamen” (Max Rychner)12 mindestens ihren Reiz. Von Fall zu Fall zu klären, wieweit es sich bei den zeitgenössischen “Mitstreitern” (in engem Zeitraum, gewiß) um Gefolgsleute oder Vorgänger handelt, wäre also indiziert: intellektuelle Durchbrüche—Freud ist das bekannteste Beispiel—pflegen innerhalb des Fluidums gleichlaufender Bestrebungen zu geschehen. Wissenswert wäre es daher, im einzelnen zu sehen, wieweit das auch für den Literaturkritiker Lessing zutrifft: für den Gesprächsfreudigen, den unermüdlichen Leser und Widerspruchsgeist—ein weites Feld, das zu beackern sich lohnte.

Einen aparten Akzent gewinnt diese Frage nach dem Ambiente des Durchbruchs überdies dann, wenn es nicht um “Mitstreiter” oder “Mitarbeiter” geht, sondern um ausgesprochene Gegner. Lessing war ja groß darin, sich Feinde zu machen, die es nicht auf Biegen und Brechen hätten sein müssen, vielmehr unter Umständen eher als Verbündete geeignet gewesen wären. So teilt er, worauf Nisbet neuerdings Wert gelegt hat, Interessenrichtungen, Projekte und Übereinstimmungen in der Sache sogar mit dem von ihm zum Erzfeind erklärten Gottsched.13 Und generell weiß man seit [End Page 329] geraumer Zeit: ein Desiderat der Lessing-Forschung ist die unvoreingenommene Inaugenscheinnahme der in den fünfziger Jahren von Lessing zu seinen Gegnern stilisierten Literaturkritiker.14

Damit kommen wir auf die Neuen Erweiterungen zurück. Angesichts der eingangs skizzierten Befunde von Parallelen (und das sind nicht die einzigen) würde man erwarten, daß Lessing und der Herausgeber der Neuen Erweiterungen, der gleichaltrige Johann Daniel Titius oder Tietz (gest. 1796), der Leipziger, seit 1756 Wittenberger Mathematiker, Physiker, Übersetzer (u. a. Montaignes und Steeles) und Verfasser von einer stattlichen Reihe von naturwisssenschaftlichen, philosophischen und schöngeistigen Veröffentlichungen schon damals,15 sich als gleichgesinnte Verbündete in den Querelen des literarischen Lebens der Zeit gesehen hätten. Das Gegenteil ist der Fall, jedenfalls von seiten Lessings, der die Neuen Erweiterungen verrissen hat, und vielleicht auch von seiten von Titius (wenn er nämlich wirklich der Verfasser jener Possen im Taschenformate sein sollte, die 1754 Lessings Schrifften parodierten, wie Lessing selbst, in seiner Rezension, nicht verborgen geblieben ist, obwohl er eher an Schönaich als Verfasser dachte).16 Gegner also—oder doch nicht?

Unbestreitbar ist auch nach der kritischen Revision des Kanons der anonymen Lessingschen Buchbesprechungen durch die Ausgabe der Werke und Briefe: kein anderer als Lessings ist 1753 der Verfasser der Rezension des ersten und zweiten und dann des sechsten Stücks der Neuen Erweiterungen, der Zeitschrift eines—in der Regel anonymen—Freundeskreises, der es an Vielseitigkeit und “Mannigfaltig”keit mit Lessing durchaus aufnehmen kann und mit ihm auch die Ambition teilt, die “Wissenschaften” und die “Wahrheit angenehm und den Geschmack allgemeiner [zu] machen,” wie es gleich im Vorbericht zum ersten Band heißt (NE 1.1:IV, VI, VIII). Auch die Verbindung von Dichtung und kritischer Prosa in den Neuen Erweiterungen dürfte Lessing im Prinzip kongenial vorgekommen sein. Statt dessen hakt er aber in seiner Beurteilung der Zeitschrift in der Berlinischen privilegirten Zeitung dabei ein, daß der Herausgeber im Vorbericht zum ersten Band verspricht, zwar Nachahmungen, aber keine Übersetzungen zu bringen (woran er sich jedoch schon bald nicht mehr halten wird): “Und in der Tat, kann sich der, welcher nur ein wenig eifrig für die Ehre seiner Nation ist, wohl erniedrigen ein Übersetzer zu werden, wenn er selbst ein Original werden kann?” meint der Übersetzer Lessing. Den Inhalt des ersten Stücks listet er pedantisch auf, befindet ihn aber zu leicht: zu wenig “gute Stücke”; das zweite Stück ist wenig besser (Werke und Briefe 2:503–4). Und über das sechste Stück, ebenfalls 1753: “Nicht einmal der Schatten von den Belustigern” (den gottschedtreuen Verfassern der Belustigungen des Verstandes und Witzes, die ebenfalls auf Übersetzungen verzichteten) seien die Autoren, “mittelmäßig” die Prosatexte, die poetischen nicht einmal dies, vielmehr “dem Elenden ziemlich nahe” (Werke und Briefe 2:536). Und noch ein ganzes Jahr später kann Lessing sich als Rezensent in anderem Zusammenhang nicht die Bemerkung verkneifen: “Nur Erweitrer können glauben, daß sie zum übersetzen zu groß sind” (Werke und Briefe 3:62). Titius selbst als den Herausgeber der Erweiterungen würdigt Lessing nicht einmal der Namensnennung, und auch außerhalb dieser Rezensionen setzt [End Page 330] er sich in seinen kritischen Äußerungen nicht mit ihm auseinander, außer daß er Titius’ Übersetzung des auch von ihm sehr geschätzten Montaigne zwar als “schön” “anpreis[t],” aber ohne den Namen des (auch im Titel ungenannten) Übersetzers zu nennen oder vielleicht auch zu kennen und sich damit auch einer weiteren Übereinstimmung mit Titius bewußt zu sein (Werke und Briefe 2:501–2, 554–55).17 So hatte Lessing sich also von Anfang an, 1753, deutlich sichtbar als Gegner der—sehr ungleichen und in den von Lessing besprochenen Stücken allerdings tatsächlich nicht eben brillanten—Neuen Erweiterungen exponiert; denn daß er es war, der in dieser Zeit die Rezensionen in der Berlinischen privilegirten Zeitung schrieb, war ein offenes Geheimnis. Und noch Anfang 1757, als er versucht, Nicolais Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste bei dem Verleger der Neuen Erweiterungen unterzubringen, hat er sein gespanntes Verhältnis zu den “Erweiterungen und ihren Verfassern” noch in Erinnerung und rät Nicolai, “diese Leute [in der Bibliothek] mit einem critischen Stillschweigen [zu] übergehen.”18

Nach Ausweis dieser Zeugnisse aus dem literarischen Leben der fünfziger Jahre wäre das Verhältnis von Lessing und den Erweiterungen also bei aller angedeuteten prinzipiellen Vereinbarkeit mancher ihrer Interessen und Zielvorstellungen eben eine der vielen literaturpolitischen Streitigkeiten mit klar geschiedenen Kampflinien, in die Lessing sein Leben lang nicht ohne Gusto verwickelt war. Oder trügt der Anschein? Wie sieht es aus, wenn man den Fall von der anderen Seite, von der der “Erweiterer,” in den Blick faßt? Dann wird die Konstellation erstaunlicherweise komplexer, unübersichtlicher und interessanter. Klare Fronten sind ja selten im literarischen Leben.

Schon die Position der Neuen Erweiterungen (eine in manchen ihrer Stücke in zweiter und dritter Auflage erscheinende und eine der langlebigeren unter den zahlreichen um die Jahrhundertmitte und bald danach aufkommenden Zeitschriften und damit “offensichtlich erfolgreich”)19 im Guerillakrieg zwischen Gottsched und den Schweizern ist nicht so eindeutig, wie es den Anschein hat, wenn man Schönaichs gern zitierte Entrüstung darüber in Erinnerung bringt, daß die Verfasser der Erweiterungen sich unterstünden, “mitten in Leipzig und vor den Augen der Magnifizenz” gegen Gottsched zu opponieren mit ihren Satiren auf seinen Kreis.20 Das—und Schönaichs Angriff auf Titius in seinem Mischmasch von 1756—hat den Eindruck erweckt, daß die Erweiterungen ein “Kampforgan” der Antigottschedianer gewesen seien. Das ist erst neuerdings zweifelhaft geworden: Titius hat Gottsched noch im Jahre 1756 mit ehrerbietiger Kollegialität behandelt, so daß beide sich in den mittleren fünfziger Jahren auch in den Neuen Erweiterungen offenbar zu einer Art taktischem Bündnis zusammentun konnten,21 und vor allem: die Neuen Erweiterungen haben unter Titius’ Regie nicht nur die Gottschedianer polemisch aufs Korn genommen, sondern auch die Schweizer, ja: beide zugleich 1754 in “Der Grenadir, oder Gustav Schnurbart, ein Heldengedicht, in zwölf Büchern.”22 Damit aber nimmt die Zeitschrift eine Stellung zwischen dem Zürcher und dem Leipziger Lager ein, die der vergleichbar ist, durch die Lessing sich in eben diesen Jahren zum führenden deutschsprachigen Literaturkritiker aufschwang, der die Gottsched-Bodmerschen Zwistigkeiten in Vergessenheit geraten ließ.23 [End Page 331]

Angesichts einer solchen literaturpolitisch unerwartet differenzierten Einstellung der Neuen Erweiterungen (die nicht ohne Grund in die Microfiche-Reihe “Deutsche Zeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts” aufgenommen wurden) dürfte es sich nahelegen, diese Zeitschrift selbst, statt nur Lessings Reaktionen auf sie, genauer in Augenschein zu nehmen im Hinblick auf eine sachgerechtere Bestimmung ihres Verhältnisses nicht zu Gottsched und Bodmer, sondern zu ihrem scheinbaren Antipoden Lessing. Wie haben sich die Neuen Erweiterungen zu Lessing, dem spektakulär aufgehenden Stern am Himmel der Literaturkritik, gestellt? Welche zukunftshaltigen Entwicklungen im literarischen Leben fördern oder begrüßen sie, und ziehen sie da nicht am selben Strick wie Lessing? Das sind Fragen, die sich, wenn man den Blick nur auf Lessing richtet, der die Neuen Erweiterungen nur sehr partiell zur Kenntnis nimmt und von daher geringschätzt, gar nicht erst stellen. Als fruchtbar erweisen sie sich aber dennoch. Vom Inhalt der Zeitschrift her gesehen, entfaltet sich das Bild einer literarischen Konstellation, ja: Koalition, die bisher nicht zur Kenntnis genommen und auch alles andere als selbstverständlich ist: die Gegner im Polemik-Getöse des literarischen Lebens entpuppen sich als Verbündete.

Und zwar geht es dabei nicht lediglich um die Rekonstruktion eines Beziehungsgeflechts, das sachlich komplexer und historisch aufschlußreicher ist als das scheinbare Gegeneinander von zwei deutlich hörbaren Stimmen in der Entstehungsphase des literarischen Lebens in Deutschland. Darüber hinaus geht es im Fazit um die Ermittlung, daß Lessing auch in dieser Konstellation um die Jahrhundertmitte kein Rufer in der Wüste war (dem allenfalls noch der junge Nicolai mit seinen Briefen über den itzigen Zustand der schönen Wissenschaften in Deutschland [1755] zur Hilfe kam), daß er vielmehr ausgerechnet in den Neuen Erweiterungen in mancherlei konkret sachlichen Belangen eine unverächtliche Begleitstimme hatte weit über die bisher angedeuteten Gemeinsamkeiten hinaus (und trotz allem, was sie sonst, besonders in qualitativer Hinsicht, getrennt haben mag).

Zuerst also ein Blick auf die direkten Stellungnahmen der Neuen Erweiterungen zu Werken Lessings (Abschnitt 2), dann auf die konkreten Gemeinsamkeiten mit Lessing in ihrem Interesse für bestimmte, großenteils tonangebende neuere englische Autoren (Abschnitt 3) und schließlich auf gemeinsame thematische Schwerpunkte, nämlich das bürgerliche Trauerspiel und Shakespeare (Abschnitt 4). Was sich dann aus diesen Detailuntersuchungen über die Ermittlung von neuen Mustern im Mosaik der literaturkritischen Positionen hinaus ergibt, ist ein Bild Lessings im literarischen Leben bis zur Zeit der Literaturbriefe, das erkennen läßt, daß er in diesen Jahren nicht ganz der einsame “Kämpfer” war, als den man ihn, seinem Selbstverständnis folgend, gern stilisiert hat (Abschnitt 5).

II. Die Neuen Erweiterungen im Gespräch mit Lessing

Die Reaktionen der Zeitschrift auf Lessings Veröffentlichungen und damit seine Rolle im literarischen Leben sind keineswegs kategorisch pro oder contra. Sehr deutlich wird das aus einem Fall im zwölften Band [End Page 332] der Neuen Erweiterungen. Im 69. Stück steht dort 1760 ein unsigniertes “Sendschreiben über Herrn Leßings Sinngedichte” (NE 12.69:233–43),24 das auf eine unerbitt liche Verunglimpfung der lateinischen und der deutschen Epigramme hinausläuft. Wohl räumt der Kritiker ein: “Ich würde ungerecht handeln, wenn ich läugnen wollte, daß nicht sehr schöne Sinngedichte mit unter zu finden wären,” kommt dann aber gleich zur Sache mit dem Nachsatz: “Hingegen wird man auch mittelmäßige und schlechte genug finden” (NE 12.69:240), von denen dann ausschließlich die Rede ist. Und zwar sind sie darum ungenügend, “Schulübungen” mit “schlechten Einfällen” (NE 12.69:236), weil Martial das jeweilige Thema von Fall zu Fall besser gestaltet habe (wie ähnlich auch Catull das von manchen Lessingschen Liedern). Mehr noch als der Qualitätsunterschied jedoch ist es dem Schreiber ein Dorn im Auge, daß Lessing Martial nicht als Quelle genannt habe, wobei er selbst vor dem Vorwurf des “Plagiats” nicht zurückschreckt (NE 12.69:238). Das allerdings hätte Lessing, wenn er dieses Stück der Erweiterungen gelesen haben sollte, kaum getroffen, da er in Bezug auf geistiges Eigentum jedenfalls im Hinblick auf das Epigramm, wie viele seiner Zeitgenossen auch, noch ganz in der Tradition der Legitimation der Kunst als Variation von Mustern stand, wozu er sich in der Vorrede zum ersten Band seiner Schrifften (1753) auch unumwunden—und unter Nennung Martials—bekannt hatte (Werke und Briefe 2:604–5). Immerhin: eine Schadenbegrenzung steht schon in den Neuen Erweiterungen selbst, in dem direkt vorausgehenden, dem 68. Stück, nämlich das ebenfalls anonyme “Sendschreiben über des Herrn Leßings lyrischscherzhafte Gedichte” (NE 12.68:146–57)25—auf das das spätere sich expressis verbis als Entgegnung versteht. Diese frühere Kritik ist aber eine ebenso konsequente Lobrede auf Lessing wie die spätere ein Verriß. Und wie die spätere zwar ganz en passant im Nebensatz, wie gesagt, auch Gelungenes bei Lessing gefunden haben will, so wünscht die frühere, daß “gewisse” Lieder “weggeblieben” wären, weil sie ein zu ernsthaftes Thema scherzend behandeln (NE 12.68:155). Doch seitenlang wird pauschal wie auch detailliert analytisch betont, daß Lessing als “Liederdichter” einer der wenigen sei, denen “Meisterstücke” in deutscher Sprache zu verdanken seien: “Sie sollen itzt … eines der vorzüglichsten unter unsern lyrischen Genies kennen lernen” (NE 12.68:147). Bevor er zur Sache kommt, skizziert der Anonymus noch den größeren Rahmen: “bewunder[t]” werde Lessing bereits als Huarte-Übersetzer und als Autor von Miss Sara Sampson, Der Freigeist und Die Juden sowie der “schönen theatralischen Bibliothek” und eben diese Vielseitigkeit stehe gerade einem “Genie” wohl an: “Herr Leßing allein kan … belehren, daß es, in vielen Arten vortrefflich zu seyn, möglich ist” (NE 12.68:146–48)—womit der in den Titius zugeschriebenen Possen erhobene Vorwurf der Verzettelung förmlich zurückgenommen wird! Als Liederdichter insbesondere ist Lessing “ganz eigen,” das heißt im Zusammenhang: originell, und darunter wird vor allem verstanden, daß er seiner scherzhaften Lyrik den “Anstrich von Philosophie” zu geben verstünde und eben damit das “Komische” raffiniert kultiviere (NE 12.68:148–50). An der Interpretation von zwei solchen Gedichten demonstriert der Schreiber diese literarisch-philosophischen “Meisterzüge” dann im einzelnen, die u. a. auch das Philosophische an der Philosophiekritik durchblicken lassen [End Page 333] (NE 12.68:153). Ein Gespür hat dieser Beurteiler auch für gestalterische Kunstgriffe wie vor allem die “gutgewählten” Überschriften der Gedichte, die vom Inhalt nichts vorwegnehmen und so den gattungskonstitutiven Überraschungseffekt garantieren (NE 12.68:154–55). Ebenso ästhetisch sensibel und niveaubewußt gelingt es ihm dann auch, Lessings lyrische “Manier” durch den Vergleich mit der von Uz und Gleim noch präziser zu profilieren (NE 12.68:156–57).

Innerhalb von wenigen Wochen also erscheint Lessing, der unzweideutige Kritiker der Neuen Erweiterungen, dort auf Grund von verschiedenen, doch sachlich verwandten Texten unerwarteter Weise in einem durchaus zwiespältigen Licht—wobei das Lob überschwenglicher nicht sein könnte.—

Eine vergleichbare Unparteilichkeit legt die Zeitschrift bereits 1753 im zweiten Band an den Tag anläßlich der aufsehenerregenden Kontroverse Lessings mit Pastor Lange über dessen Horaz-Übersetzung.26 Schon die “Anmerkungen über Samuel Gotthold Langens Vertheidigung einiger in seiner Uebersetzung des Horaz getadelten Stellen” (NE 2.11:397–421) beanspruchen, “unpartheyisch” (398) zu sein in ihrer abgewogenen, philologisch, kulturhistorisch und textgeschichlich versierten Beurteilung von Langes Entgegnung im Hamburgischen Correspondenten auf Lessings ebenfalls dort veröffentlichte Kritik von Einzelstellen der Oden-Übersetzung (1752); doch tatsächlich stellen diese “Anmerkungen” sich in dem guten Dutzend der en détail aufgegriffenen Stellen mehr oder (sehr selten) weniger auf Lessings Seite, dessen Kritik sie z. T. noch verstärken, nicht ohne die Versicherung, daß sich über die von Lessing monierten Stellen hinaus “gewiß” “noch andere finden, die keine scharfe Probe halten möchten” (NE 2.11:398). Langes Versionen sind “wohl ungegründet,” ergeben “keinen sonderlichen Verstand,” Lange kann “unmöglich … recht haben,” hat “etwas versehen,” rechtfertigt sich “nicht hinlänglich,” schreibt überhaupt “unzählich schwache Stellen,” da er sich zu sehr “an die Worte des Grundtextes” klammert (NE 2.11:399, 402, 403, 407, 420). Nur einmal hält dieser Kritiker es “weder mit dem Herrn Pastor noch mit seinem Tadler” (NE 2.11:416), und nur bei einer Stelle akzeptiert er Langes Selbstverteidigung, “aber sie thut mir nicht Genüge” (418). Überhaupt findet er Langes Umgang mit Texten philologisch und sachkundlich schlampig, während er über Lessings, von Lange als “unhöflich” gebrandmarkten “Angrif” nicht urteilen will—was ihn aber im Resümee nicht hindert, Lange “stultitia” zu unterstellen und Lessing in positivem Sinne “einen der neuesten witzigen Köpfe” zu nennen (NE 2.11:421).

Ist diese Vermittlung zwischen Lange und Lessing im sachlichen Ergebnis also doch nicht so “unpartheyisch,” wie sie vorgibt, sondern eher pro-Lessing, so demonstriert die Zeitschrift 1754 selbst jedoch ihre Aufgeschlossenheit, indem sie Lange gestattet, auf ihren Seiten rechthaberisch auf die “Anmerkungen” zu antworten (NE 3.13:64–73)—aber zugleich dem Verfasser der “Anmerkungen” erlaubt, zu dieser “Antwort” wiederum Anmerkungen anzubringen, die zahlreiche von Langes Behauptungen mit knapp formulierten Gründen als unhaltbar bezeichnen.—

“Rettung Luthers wider den Simon Lemnius” ist 1754 ein über zwanzig Seiten langer Artikel in den Neuen Erweiterungen überschrieben (NE [End Page 334] 4.19:64–85).27 Schon der Ausdruck “Rettung”—Lessings Stichwort für seine Rechtfertigungen zu Unrecht Verfemter—signalisiert die Polemik gegen Lessing, obwohl dessen acht “Briefe” über Luthers Gegner nicht schon in den Schrifften (II, 1753), sondern erst im dritten Teil der Vermischten Schriften (1784) den Titel “Rettung des Lemnius” bekamen. Erschien der Reformator bei Lessing als unduldsamer Tyrann, der den in Wirklichkeit gar nicht provokativen Dissidenten Lemnius mit seinen “Niederträchtigkeiten” und unbegründeten Rachegelüsten verfolgte, so wird in den Neuen Erweiterungen der Spieß umgekehrt: auch wenn Lemnius “niemanden persönlich [habe] beleidigen wollen,” habe er zweifellos “unbedachsam gehandelt” (NE 4.19:68); aber auch unter dieser Voraussetzung sei entgegen Lessings Behauptung nicht zu bezweifeln, daß er in seinen Sinngedichten “mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit” Zeitgenossen aufs Korn genommen habe, so daß die Empfindlichkeit des Reformators und seine Verleumdung des Lemnius nicht unverständlich gewesen seien (NE 4.19:68–72, 75). Die Quisquilien im einzelnen zu verfolgen lohnt sich nicht. Worauf es ankommt, ist die Unterstellung: der Mann der kritisch nachforschenden Rettungen (die Lessing sein kennzeichnendes aufklärerisches Profil im literarischen Leben der Zeit geben) sei “in vielen Stücken zu weit gegangen” (NE 4.19:64): er seinerseits verleumde die Gegner des Inschutzgenommenen und rufe damit eine gegenläufige Rettungsaktion auf den Plan. Nichts hätte Lessing empfindlicher treffen können als ein solcher Angriff auf seine Redlichkeit. Daher—und das ist vielleicht das Interessanteste an dieser “Rettung Luthers”—die Behutsamkeit, mit der sein Kritiker vorgeht: er hofft, seine “Bescheidenheit” in der Argumentation werde seinen Gegner nicht “aufbringen” (NE 4.19:64), “nur ganz etwas weniges” will er gegen Lessings geringe Meinung von Luthers Gelehrsamkeit sagen und erlaubt sich sogar die captatio benevolentiae, Lessing werde “selbst eingestehen …, daß ihn der Witz hier zu einer kleinen Hyperbel verleitet habe” (NE 4.19:83). Solche Behutsamkeit läßt nicht zuletzt auch durchblicken, welche gefürchtete Machtstellung Lessing bereits im literarischen Leben einnimmt, kaum daß die ersten Bände seiner gesammelten Schrifften auf den Markt gekommen sind.—

Auf diese gemäßigte Attacke auf Lessing in den Neuen Erweiterungen folgt eine ausdrücklich so genannte—und “unpartheyische”—Verteidigung. Ebenfalls im zweiten Band der Schrifften stand 1754 Lessings Samuel Henzi. Angesichts der Tatsache, daß es sich nur um ein Fragment handelt, ist es erstaunlich, daß die Neuen Erweiterungen dem Drama 1755 eine ausgiebige Erörterung widmen (NE 6.32:124–30). Der Anlaß ist die politische Auseinandersetzung darüber in der zeitgenössischen Presse, speziell eine Beurteilung im Hamburgischen Magazin (XIV, 6. Stück, 1755). Der dort erhobene Vorwurf, Lessing verstehe Henzi als eigennützig-unlauteren “Rebellen” und nicht als “Patrioten,” wird jetzt auf den Kopf gestellt: kein Rebell, vielmehr ein Patriot sei Henzi bei Lessing. Aber sofort schwenkt der Kontrahent in den Neuen Erweiterungen dann von der Politik und den, wie er weiß, unvermeidlich unzuverlässigen Berichten über die historisch tatsächlichen Vorgänge ab zur Poetik des tragischen Dramas: der Hamburger Kritiker kenne vielleicht die “Welt,” aber “die Absichten des Trauerspiels nicht, oder wolle sie nicht kennen,” nämlich die Funktion der hamartia: [End Page 335]

In keinem Trauerspiele muß ein vollkommen tugendhafter und weiser Mann umkommen. Ich muß ihn vorstellen, wie er durch eine Unvollkommenheit bey allen übrigen guten Eigenschaften unglücklich wird. Hr L. stellet den Henzi als einen großen Parioten vor, der aber zu weit geht; und eben darinn soll sein Fehler bestehen, daß er zu patriotisch ist, und die Empörung etwas eher anfängt, als er völlig gegründete Ursache hat.

(NE 6.32:126)

Dem hätte Lessing im Grundsätzlichen wie im besonderen Fall ohne weiteres zugestimmt. Doch lenkt der Kritiker in den Neuen Erweiterungen von diesem dramentheoretischen Punkt anschließend mit einem nonchalanten “übrigens” zu dem kontroversen Thema über, um das es ihm eigentlich geht: zur Beanspruchung des Samuel Henzi für die neue Gattung des “bürgerlichen Trauerspiels” (NE 6.32:129). Er verweist auf seine etwas frühere Feststellung in den Neuen Erweiterungen: nicht der zur “Mordgeschichte” tendierende Kaufmann von London von George Lillo verdiene die Bezeichnung “bürgerliches Trauerspiel,” da er keine “wirklichen Helden” vorstelle, wohl aber Samuel Henzi “und andere Stücke, die ihm ähnlich sind” (NE 5.26:155). Wegen dieser Auffassung sei er im 31. Stück “getadelt” worden; dort war, ebenfalls 1755, zu lesen gewesen: “Man wird mir vergeben, wenn ich das Gegentheil behaupte, und den Kaufmann von London, nebst dem Spieler [von Edward Moore], zu dem bürgerlichen, hingegen den Henzi zu dem heroischen Trauerspiele rechne.”28 Damit wird Lessing zum Stichwort für die Behandlung eines der dominantesten Themen der Neuen Erweiterungen: das bürgerliche Trauerspiel, das in der Jahrhundertmitte in den deutschen Ländern überhaupt erst durch Lessing—durch Miss Sara Sampson und Lessings sporadische gattungstheoretische Äußerungen dazu—zu einem Gesprächsgegenstand wird, an dem sich die Geister scheiden.

III. Gemeinsame Interessenrichtungen: Englische Literatur der Zeit

Mit Recht wird das bürgerliche Trauerspiel damals als Import aus England verstanden, von Lessing nicht anders als von den Neuen Erweiterungen in der eben zitierten anonymen Abhandlung “Vom bürgerlichen Trauerspiele.” Das Interesse am bürgerlichen Trauerspiel (und, damals damit nicht unvereinbar [s. u. S. 339], an Shakespeare) ist in den Neuen Erweiterungen jedoch ebensowenig wie bei Lessing der einzige Fall der Orientierung nach England hin. Ganz unverblümt sieht sich die Zeitschrift ja schon im Titel in der Nachfolge des Universal Magazine of Knowledge and Pleasure (NE 2:X). Diese anglophile Orientierung der Neuen Erweiterungen wie auch Lessings ist jetzt vorwegzunehmen, um den größeren Rahmen der bevorzugten Beschäftigung mit dem bürgerlichen Trauerspiel und dann mit Shakespeare (Abschnitt 4) abzustecken. Überraschend sind die Gemeinsamkeiten innerhalb dieser Orientierung, selbst wenn sie sich nicht monolithisch zu einem lückenlos kohärenten Programm zusammenschließen.

Während französische Literatur in den Neuen Erweiterungen nur sehr sporadisch zum Wort kommt, ist die Bevorzugung der englischen ausgesprochen demonstrativ (vgl. Anm. 38). So stand 1754 in den Neuen Erweiterungen die [End Page 336] erste deutsche Übersetzung der “Elegy Written in a Country Church-Yard” von Thomas Gray, den auch Lessing zu schätzen wußte—in einer Rezension, die zugleich gegen die Übersetzungsfeindschaft der Neuen Erweiterungen polemisiert.29 Ferner druckte oder besprach man in Titius’ Zeitschrift Werke von Addison, Cowley, Dryden, Fielding, Gay, Hogarth, Mary Molesworth, Richard Pearsall, Otway, Prior, Richardson, Rochester, Elizabeth, Nicholas und Thomas Rowe, Steele, Thomson, um von den vielen weiteren bloß en passant in Aufsätzen oder in Übersetzungstexten Zitierten wie vor allem Young und Isaac Watts abzusehen. Lessing teilt bekanntlich diese Ausrichtung auf die englische Literatur, und zwar besonders in den frühen Jahren. Darüber hinaus aber ist in manchen Fällen seine spezielle Übereinstimmung mit der sich in den Neuen Erweiterungen geltend machenden Präferenz auffällig. Der frappanteste Fall ist 1754 die zweieinhalb Seiten lange Ankündigung von Mylius’ Hogarth-Übersetzung, “Nachricht von einem neuen Abdrucke der Hogarthschen Zergliederung der Schönheit etc.” (NE 3.17:449–51). Mit derselben Überschrift und nur kleinen Abweichungen steht dieser Text bis heute auch in Lessing-Ausgaben (Werke und Briefe 3:59–61). Dort ist er zwar “Chr. Fr. Voß” signiert, das kann jedoch “nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Text nur von Lessing stammen kann” (Werke und Briefe 3:918), da Lessing immerhin (anonym zwar) die Vorrede zu dieser Ausgabe geschrieben (Werke und Briefe 3:350–55) und weiterhin außer dieser Berliner auch schon die vorausgehende Londoner Ausgabe ähnlich anpreisend besprochen hatte (Werke und Briefe 3:47–49, 56–57).—Zu einer weiteren erstaunlichen wörtlichen Übereinstimmung kommt es im Zusammenhang der Favorisierung des englischen Romans. Lessing, der sowohl Fielding wie Richardson hochschätzt,30 und die Neuen Erweiterungen in einem “Schreiben über einige englische Romane,” das Fielding Richardson wegen seiner Menschenkenntnis vorzieht (NE 5.28:332–36), beziehen sich beide auf Charlotte Lennox’ Roman Don Quixote im Reifrocke (1754) und übernehmen dabei aus dem Vorwort des Übersetzers das Urteil, “der beste Romanschreiber unserer Zeit” sei Fielding.31 Sie beziehen damit dieselbe Position in einer damals aktuellen Kontroverse (Stichwort: Shamela).

In anderen Fällen sind nicht solche wörtlichen Übereinstimmungen, aber doch Berührungspunkte zu konstatieren. Manche der genannten englischen Autoren werden von Lessing sehr geschätzt und mehr oder weniger häufig in den fünfziger und sechziger Jahren zur Sprache gebracht, aber nicht mit den in den Neuen Erweiterungen hervorgehobenen oder übersetzten Werken. Das gilt für Addison (Der Feldzug/The Campaign) (NE 7.38:97– 118), Cowley (Brutus) (NE 11.63:257–60), Nicholas Rowe (Tamerlan) (NE 10.57:175–276), den Lessing für “einen der größten englischen Dichter” hält (Werke und Briefe 4:653), und den in der Zeitschrift oft mit seinen Gedichten erscheinenden Prior, dessen scherzhafte Muse Lessing mit einer verbleibenden Vorliebe für Rokoko und Anakreontik zu würdigen weiß, ohne wiederum die Sprache speziell auf die nicht wenigen Gedichte zu bringen, die die Neuen Erweiterungen übersetzen.32 Bei Gay ist Lessing von den Fabeln angetan, wie es auch die Neuen Erweiterungen sind (NE 11.66:501–7), doch spricht er nicht von denen, die die Zeitschrift in Übersetzung bringt, wie man an Hand des Registers der Lachmann-Munckerschen Ausgabe leicht feststellen kann. [End Page 337] Mit Otway, dessen Don Carlos die Neuen Erweiterungen 1757 übersetzen (NE 9.51:175–275), hat Lessing sich gerade auch in der frühen Zeit mehrfach kritisch und produktiv, als Übersetzer, auseinandergesetzt, aber nicht mit Don Carlos.33 Im Zeichen Steeles begegnen sich Lessing und Titius’ Zeitschrift 1755 anläßlich derselben, eben erschienenen (nach Meusel von Titius herausgegebenen anonymen) Übersetzung des Tatler, Der Schwätzer, die beide begeistert willkommen heißen als “Sittenschrift,” wie sie beide sagen.34 Eine Konvergenz ergibt sich auch im beiderseitigen Interesse für die damals nicht zuletzt auch in Deutschland vielgelesene Erbauungsschriftstellerin Elizabeth Rowe.35 Ihre Totengespräche Friendship in Death (1728) behauptet Lessing 1753 zu kennen (Werke und Briefe 2:561), von ihren Devout Exercises of the Heart (1737) übertrug er die ersten Seiten, um dann den Rest der Geheiligten Andachts-Übungen (1754) Christian Felix Weiße zu überlassen (LM 5:373; 22:360–61). Die Neuen Erweiterungen bringen 1756 gleich zu Beginn des achten Bandes einen embarras de richesse an Roweana: Elizabeths Nachruf auf ihren Gatten Thomas Rowe, zwei todessüchtige, offenbar von diesem Todesfall veranlaßte “Selbstgespräche” und ein in Prosa übertragenes Trauergedicht auf sie von ihrem Bruder Theophilus (NE 8.43:3–18), dem im zwölften Band, im 72. Stück, 1762 noch ihr Schäfergedicht “Liebe und Freundschaft” folgt, “aus Priors Werken übersetzt” (NE 12.72:425–29). Mit dem Leben und besonders den Dramen von James Thomson, von dessen Coriolanus die Zeitschrift 1756 eine vollständige Übersetzung von “J.F.C.” (Johann Friedrich von Cronegk?) liefert (NE 7.40:285–356), hat Lessing sich gerade in den fünfziger Jahren bekanntlich intensiv, auch als Übersetzer, und mit größter Hochachtung beschäftigt; seine bedeutsame Vorrede zu den von einer Stralsunder gelehrten Gesellschaft übersetzten Trauerspielen, die er zum Anlaß für grundsätzliche Bemerkungen zum bürgerlichen Trauerspiel nahm, kam in eben dem Jahr heraus, und darin lenkt er seine Aufmerksamkeit nachdrücklich auf die Tragödie Coriolanus, die er auch unabhängig von dieser Edition kennt, da er sich nämlich die Mühe macht, deren in den Trauerspielen weggelassenen Prolog in eigener Übersetzung nachzuliefern.36

Interessant ist auch die Berührung Lessings mit den Neuen Erweiterungen à propos Dryden. In der Zeitschrift stand 1753 im ersten Stück des ersten Bandes ein—von Lessing in seiner Rezension vermerkter und offensichtlich auch gelesener (“Der Verfasser versichert uns… .”)—umfänglicher Aufsatz “Leben John Drydens, eines grossen englischen Dichters des siebenzehnten Jahrhunderts” (NE 1.1:52–65);37 er ist aus allerlei englischen Quellen zusammengestoppelt, nicht zuletzt aus Theophilus Cibbers Dryden-Kapitel im dritten Band seiner Lives of the Poets of Great Britain and Ireland, die im selben Jahr erschienen waren und eigens erwähnt werden (NE 1.1:54). Zu einer Dryden-Biographie setzt Ende 1756 auch Lessing an im zwar erst 1759 erschienenen vierten Stück der Theatralischen Bibliothek (“Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken”), und was er sich dafür von Nicolai ausbittet, ist Cibbers Lives (Werke und Briefe 11.1:153), die er schon 1754 für seine Thomson-Biographie in der Theatralischen Bibliothek benutzt hatte (Werke und Briefe 3:282). Von den biographischen Daten spricht er aber nur auf knapp einer halben Seite, um gleich zum Referat und zur Übersetzung des Essay of Dramatick Poesie überzugehen, dem weiteres [End Page 338] Biographische folgen sollte, aber nicht folgte, weil aus der am Schluß für das nächste Stück versprochenen “Fortsetzung” nichts wurde (ein fünftes Stück der Theatralischen Bibliothek hat es nicht gegeben). Daß die Neuen Erweiterungen und Lessing jedoch die hohe Einschätzung Drydens und seines Œuvres geteilt haben, ist aus dem vorliegenden Lessingschen Text ohne weiteres deutlich (Werke und Briefe 4:130–79). “Eben so viel Feuer und Einbildungskraft, als Beurtheilung und Scharfsinnigkeit”: so zieht der Artikel in der Zeitschrift die Summe (NE 1.1:65)—was könnte Lessings literarischen Wertkriterien genauer entsprechen! Vor allem aber führt die Zeitschrift ihren Dryden-Artikel ein mit einer für die deutsche Situation bemerkenswerten, geradezu aggressiv Lessingischen pro-englischen und implicite anti-französischen dramenkritischen Programmerklärung,38 die ihre Parallele im Dryden-Bild des Artikels selbst wie auch in der Grundthese von Drydens Essay of Dramatick Poesie hat. Eine weitere Parallele aber hat sie in Lessings literarhistorischer Orientierung in diesen Jahren nicht erst in seiner rückhaltlosen Zustimmung zu Drydens Essay in der Theatralischen Bibliothek, sondern schon seit der ganz ähnlich programmatischen Einführung zu den Beyträgen zur Historie und Aufnahme des Theaters (1750) und dann noch im 17. Literaturbrief (1759), der Anregungen von Dryden aufgreift (s. u. Anm. 48). In allen drei Fällen ist die anti-französische Spitze unübersehbar und ebenso die Bevorzugung des die “Regeln” ignorierenden “Geschmacks der Nation und des Volkes,” wie die Neuen Erweiterungen es ausdrücken (NE 1.1:57). Speziell profiliert werden dabei in Drydens Essay (und entsprechend in Lessings Paraphrase und Übersetzung) wie auch in den Neuen Erweiterungen vor allem die volkstümlichen statt klassizistischen Dramen Shakespeares.

Damit ist der Übergang gegeben zu jenen literaturkritischen Themen, die in literarhistorischer Sicht die zukunftshaltigen Schwerpunkte darstellen, die Lessing und den Neuen Erweiterungen gemeinsam sind: das “unregelmäßige” Drama Shakespeares und das bürgerliche Trauerspiel, das zeitgenössisch wegen seines Bruchs mit der hohen, heroischen Tragödie seinerseits weithin als exemplarisch “unregelmäßig” verstanden wurde39—wie umgekehrt auch Shakespeares Stücke in Deutschland als mehr oder weniger bürgerliche Dramen rezipiert wurden (Paradebeispiel: Weißes “bürgerliches Trauerspiel” Romeo und Julia).40

IV. Gemeinsame Schwerpunkte: Bürgerliches Trauerspiel, Shakespeare

Lessings “main concern with England was tragedy, and especially the bourgeois tragedy,” heißt es in dem Standardwerk zu Lessings Verhältnis zur englischen Sprache und Literatur.41 Dieses Urteil hat zweifellos seine Berechtigung; Lessing gilt von der Thomson-Vorrede (1756) bis zu den zu Tode zitierten Äußerungen im 14. Stück der Hamburgischen Dramaturgie in Theorie und Praxis als der Exponent der neuen Gattung, über deren englische Vorläufer er keinen Zweifel läßt. Und wie das erste im Untertitel als bürgerliches Trauerspiel ausgewiesene Drama, eben Miss Sara Sampson (1755), schon im Titel und Personenverzeichnis nach England hinübernickt, so auch das zweite, Johann Gottlob Benjamin Pfeils Lucie Woodvil. Dieses [End Page 339] aber erschien, im Jahr nach Miss Sara Sampson, ausgerechnet in den Neuen Erweiterungen (NE 7.42:449–571).

Doch nicht nur das: die Neuen Erweiterungen sind auch der Ort, an dem die erste theoretische Erörterung des bürgerlichen Trauerspiels als aktueller literarischer Gattung stattfindet, noch im Jahr vor Lessings Worten über Lillos London Merchant in der Thomson-Vorrede und vor seinem Briefwechsel mit Mendelssohn und Nicolai über das (bürgerliche) Trauerspiel. (Der nächste Höhepunkt dieser Diskussion ist dann erst um 1768.)42 Schon erwähnt wurde anläßlich von Samuel Henzi, daß das Thema “bürgerliches Trauerspiel” 1755 im 26. und im 32. Stück der Neuen Erweiterungen angeschlagen wird. Im “Heumonath” (Juli) 1755 steht in den Neuen Erweiterungen im 31. Stück die ebenfalls bereits im Zusammenhang mit Samuel Henzi erwähnte, in den letzten Jahren stark beachtete und mehrfach wiedergedruckte Abhandlung “Vom bürgerlichen Trauerspiele” (s. o. Anm. 28), die in deutscher Sprache die erste zusammenhängende und über ein paar Sätze hinausgehende Erörterung der namentlich so genannten Gattung darstellt. Sie wird heute einstimmig, nicht zuletzt auf Grund einer Notiz an versteckter Stelle in dieser Zeitschrift selbst (NE 8.43:44), dem eben genannte Pfeil zugeschrieben. Das Erscheinungsdatum ist bemerkenswert: noch vor dem Erstdruck von Pfeils “bürgerlichem Trauerspiel” Lucie Woodvil, aber nach der Veröffentlichung von Miss Sara Sampson “zur Ostermesse” 1755 (LM 2:265)—bemerkenswert, weil in der Abhandlung weder das eine noch das andere Stück genannt wird, wohl aber deren auch in Deutschland mittlerweile bekannter Vorläufer, Lillos London Merchant, wie auch Moores Gamester. Daß die beiden deutschen Stücke gattungsmäßig zusammengehören, ist den Neuen Erweiterungen, wie aus einer etwas späteren Stelle zu entnehmen ist, jedoch ein durchaus vertrauter Gedanke; was dort nur noch fehlt, ist der Ausdruck “bürgerliches Trauerspiel” für “Trauerspiele … in diesem Geschmacke,” vermutlich weil der sich mittlerweile von selbst versteht (NE 8.48:525). Mit diesen vier theoretischen Texten, von denen “Vom bürgerlichen Trauerspiele” mit seinen 25 Seiten der weitaus substantiellste ist, der substantiellste auch im ganzen achtzehnten Jahrhundert, ist das Eintreten der Neuen Erweiterungen für das neue Genre jedoch noch nicht erschöpft: es folgt noch 1756 im achten Band ein vier Seiten langes (im Titel an den jungen Lessing erinnerndes) Lehrgedicht “An den Verfasser der Gedanken vom bürgerlichen Trauerspiele” (NE 8.43:41–44), in dem die Abhandlung “Vom bürgerlichen Trauerspiele” in allen Punkten rückhaltlos begrüßt wird.

Die theoretischen Äußerungen der Neuen Erweiterungen zu der neuen Gattung und die beiden bis dahin vorliegenden deutschen “bürgerlichen Trauerspiele” reden keineswegs aneinander vorbei. Da Pfeil der Verfasser der Abhandlung und der Lucie Woodvil ist, wären bei ihm natürlich keine Widersprüche zu erwarten; aber auch auf Miss Sara Sampson lassen sich die meisten der 16 Paragraphen von “Vom bürgerlichen Trauerspiele” anwenden. Denn so verschieden sind die beiden ersten ausdrücklich so genannten bürgerlichen Trauerspiele deutscher Sprache schließlich nicht.43 In beiden geht es, wie es die Abhandlung verlangt, um die Erregung von “Schrecken und [“sanftem”] Mitleiden,” um die empfindsamen “Thränen” über das Unglück von “Privatpersonen” “unseres” “Standes,” um die Darstellung der [End Page 340] Tugend als “liebenswürdig” und des Lasters als “verabscheuungswürdig,” vermittelt durch jene, mit dem Mitleiden gleichgesetzte bessernde “Rührung” des “Herzens,” die im bürgerlichen Drama “weit stärker” ist als im heroischen, weil die “Unglücksfälle” der Mittelstandsgestalten vom Publikum nachempfunden werden können (§ 2, 3, 4, 9). Selbst eine Andeutung von Lessings Furcht als auf uns selbst gewendetes Mitleid findet sich in dieser Abhandlung in den Neuen Erweiterungen (§ 9). Mehr noch: die gedanklich reichhaltigste deutschsprachige Behandlung des Themas der poetischen Gerechtigkeit, erschienen 1757 im 53. Stück der Neuen Erweiterungen (NE 8.53:370–408), geht zwar aus von Richardsons Ablehnung der poetischen Gerechtigkeit à propos Clarissa, entwickelt sich aber rasch zu einer Apologie dieses Prinzips im Trauerspiel. Speziell geschieht das im Zusammenhang seiner Affekte “Schrecken und Mitleiden,” wobei “Schrecken” dem “Mitleiden” untergeordnet, ja integriert wird—wie bei Lessing der erst als “Schrecken,” dann als “Furcht” übersetzte phobos in der Hambuirgischen Dramaturgie (NE 8.53:396–97). Voraussetzung ist da expressis verbis die Lessingsche Identifikation des Zuschauers mit der bemitleideten Dramengestalt und ihrer “unvollkommnen Tugend” (NE 8.53:392, 397). Derart wird aus dieser Apologie des Trauerspiels (wie ähnlich aus Lessings Äußerungen im gleichzeitigen Briefwechsel über das Trauerspiel) im Handumdrehen im Effekt eine Apologie des bürgerlichen Trauerspiels Lessingscher Prägung, ohne daß (wieder wie im Briefwechsel mit Mendelssohn und Nicolai) die neue Gattung beim Namen genannt würde. Eine Stelle vor manchen anderen dieses “Versuchs von der poetischen Gerechtigkeit” nimmt sich geradezu wie ein Kommentar zu Sara Sampsons Sterbeszene aus:44

Ist Gott ungerecht, wenn er die Tugend auf der Welt unglücklich werden läßt? Werden sich nicht Vernunft und Billigkeit wider diesen Schluß empören? … Ist denn die Tugend unter der göttlichen Haushaltung jemals unglücklich? … Man wird die … Frage mit großer Zuversicht verneinen können… . Der Märtyrer stirbt, aber er genüßet übernatürlicher Erquickungen, die sein äußerliches Leiden übersteigen. [So] ist die Vorsehung gerechtfertigt. Man kann es indessen nicht läugnen: zuweilen kann die Tugend sich nicht vor ihrem Ende aus dem Staube erheben. Aber hat sie deswegen keine Belohnung zu gewarten? Giebt es keine andere Welt? Und war nicht eben diese nothwendige Belohnung der Tugend schon vielen heydnischen Weltweisen einer der stärksten Beweise für die Unsterblichkeit der Seelen?

(NE 8.53:386–87)

Nicht daß der Verfasser—“I.” nennt er sich—ein zweiter Lessing wäre; aber ein Gespräch der beiden und Pfeils über Gemeinsames und speziell über das bürgerliche Trauerspiel wäre schon ein akademischer Wunschtraum.

Ein zweiter solcher Wunschtraum wäre ein Gespräch zwischen Lessing und jenem anonym gebliebenen Mitarbeiter an den Neuen Erweiterungen, von dem die beiden ausführlichen Hinweise auf Shakespeare von 1753 und 1756 stammen.45 Man wäre versucht, sie auf Lessings Konto zu setzen, wenn man nicht wüßte, daß er gerade in dieser Zeit als Rezensent an den Neuen Erweiterungen sein Mütchen gekühlt hat.

Schon vor über drei Jahrzehnten gelang der Nachweis, daß der erste dieser Texte, die “Lebensbeschreibung,” in seinen biographischen Partien bis ins [End Page 341] Wörtliche hinein abhängig ist von Popes Bearbeitung des “Account of the Life etc. of Mr. William Shakespear. Written by Mr. [Nicholas] Rowe” in Popes zweiter Shakespeare-Ausgabe (1728) und in der anschließenden, drei Seiten umfassenden Würdigung Shakespeares als halbgelehrtes Naturtalent beeinflußt ist von Popes Vorwort zu der genannten Ausgabe sowie, im letzten Drittel, von einer 1751 erschienenen deutschen Übersetzung “Herrn Voltaire Versuch von epischen Gedichten. Zweytes Capitel.”46 Das ist also ein hand-greiflicher Fall der “deutschen Verspätung” in der Literaturkritik des achtzehnten Jahrhunderts,47 aber für Deutschland nichtsdestoweniger etwas Neues, während für den zweiten Text, die Einleitung zur Übersetzung von Szenen aus Richard III., aus dem bereits zitiert wurde (s. o. S. 328), keine ausländischen Quellen bekannt geworden sind. Zusammengenommen stellen die beiden Texe eine für die Zeit beachtlich gehaltvolle Würdigung Shakespeares dar, mit der sich keine der früheren deutschen Äußerungen an Umfang, Substanz und kritischem Urteil auch nur im entferntesten vergleichen könnte—wohl aber Lessings Äußerungen 1759 im 17. Literaturbrief (deren Echo noch in der Hamburgischen Dramaturgie zu hören ist).48

“Ein dramatischer Dichter,” so die Neuen Erweiterungen, “muß dem Volke gefallen” (293), sich dem “Geschmacke der Nation und des Volkes” anschließen (s. o. S. 339) oder, wie es im 17. Literaturbrief heißt, sich an den “Geschmack” seiner Nation, seines “Volkes” halten (in den Beyträgen von 1750 war es das dem englischen verwandte deutsche “Naturell” (Werke und Briefe 1:729). “Dazu thut … die Kunst weniger als eine natürliche Geschicklichkeit” (293). Natur ist das Stichwort in den Neuen Erweiterungen: Shakespeare, “entfernt von erlernter Kunst, folgte der Natur” [“ließ sich nur durch die Natur leiten,” “weil ihn nur der Trieb der Natur bloß allein zu regieren fähig war”]; denn diese sprach mehr durch ihn, als er nach ihr” (278, 290, 292–93), womit, Pope wortwörtlich aufgreifend, und noch Goethes Shakespeare-Rede vorwegnehmend, das Naturnachahmungsprinzip zumindest eingeschränkt wird zugunsten des Genies als Naturkraft, als Teil der schaffenden Natur. Die “Kunst” sind natürlich die klassizistischen “Regeln” der “Alten,” unter deren “Sklaverey” Shakespeare sich nicht “demüthige” (278, 194). Diese hätten ihm nur schaden können (278). Denn das “Genie … folgt keinen als seinen eigenen Vorschriften” und bringt auf diese Weise seine un”regelmäßigen” “Schönheit[en]” hervor (278, 294), “schöne Unvollkommenheiten” “aus dem Ueberflusse seines eigenen Geistes”—es ist ein “Erfinder” und als solcher “eine reiche Zeugung der Natur” (193, 294). Soweit die Neuen Erweiterungen.

Für Lessing im 17. Literaturbrief (Werke und Briefe 4:499–501), mit dem sein Umsturz der Regelpoetik einsetzt, ist Shakespeare ein “Genie …, das alles bloß der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket,” worunter natürlich wieder die “Regeln” zu verstehen sind. Das Genie hat vielmehr “die Probe aller Regeln in sich,” “das, was es aus sich selbst, aus seinem eigenen Gefühl, hervor zu bringen vermag, macht seinen [des “Genies”] Reichtum aus,” heißt es im 96. u. 34. Stück der Hamburgischen Dramaturgie (Werke und Briefe 6:657, 347). Und wenn Lessing im 17. Literaturbrief folgert, das sei der Grund für Shakespeares “Gewalt über unsere Leidenschaften,” so mag das noch erinnern an das Bekenntnis in den Neuen Erweiterungen: es sei “unmöglich,” [End Page 342] bei Shakespeares Stücken “unempfindlich zu bleiben” (294). Selbst das “Grosse” und “Schreckliche” Shakespeares, das Lessing dem französischen “Artigen” und “Zärtlichen” entgegensetzt, begegnet hier schon in Gestalt von “Ungeheurem” und zum “Schaudern” “Bewegen[dem],” von “Ungestüm,” “Ausschweifung,” “Schrecken und Verwunderung” (294, 292, 278, 291); “grausam seyn, und zärtlich seyn, halten sich fast immer die Waage” in Henry VI (291). Allerdings: “es würde thöricht seyn, ihn [Shakespeare] von allen Fehlern frey zu sprechen” (294). Aber auch das hätte Lessing unterschrieben, der im 17. Literaturbrief immerhin einige bescheidene Veränderungen für nötig hielt, bevor Shakespeares “Meisterstücke” ihre Wirkung in deutschen Landen ausüben könnten.

V. Lessing im literarischen Leben bis zu den Literaturbriefen: Der einsame Kämpfer?

Bei den im vorausgehenden angestellten Detailermittlungen handelt es sich auf den ersten Blick lediglich um das Verrücken von Steinchen im Mosaik der literaturkritischen Positionen. Auf den zweiten jedoch zeichnet sich ein Bild Lessings im literarischen Leben der Zeit ab, das nicht ganz so auf den einsamen Kämpfer, um nicht im Stil der Zeit zu sagen: den Herkules im Stall des Augias, abgestimmt ist, wie Generationen von Beurteilern ihn, seinen eigenen Stichworten folgend, gesehen haben. Zugegeben: die Ermittlung von Übereinstimmungen zwischen Lessing und den Neuen Erweiterungen stellt nur einen bescheidenen Beitrag dar, aber immerhin einen Beitrag zu der Erkenntnis, daß Lessings oft streitlustig vorgetragene Anschauungen kaum isolierte Phänomene waren. Wohl ist, wie schon angedeutet, längst bekannt, daß quasi alle seine einzelnen Anschauungen vorgebildet waren in Positionen der Literaturkritik bis zurück zur Renaissance. Doch hier geht es statt um historische Wurzeln um ein Muster, eine synchronische Konstellation im literarischen Leben der fünfziger und frühsten sechziger Jahre, also bis zum durchschlagenden Erfolg der Literaturbriefe. Da aber zeigt sich, daß Lessing nicht allein auf weiter Flur stand. Ähnliche, verwandte, identische Bestrebungen gab es zeitgenössisch auch neben Lessing im deutschsprachigen Raum, und eine Stimme in diesem konfusen Konzert ist die der Neuen Erweiterungen. Und die anderen Stimmen in den fünfziger Jahren? In dem jungen Nicolai, dem Verfasser der anonymen (und von manchen anfangs Lessing zugeschriebenen) Briefe über den itzigen Zustand der schönen Wissenschaften in Deutschland (1755), hatte Lessing unausgesprochen einen Verbündeten (s. o. Anm. 18 u. S. 329), in Mendelssohn, nicht nur in philosophicis, selbstverständlich einen weiteren. Ähnlich- oder Gleichgesinnte hatte er aber auch in Haller (in den Göttingischen gelehrten Anzeigen), in dem Batteux-Übersetzer und -Kommentator Johann Adolf Schlegel, zeitweise sogar in Gleim und in der Regel auch in den Mitarbeitern an der Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste (1757ff.), die besonders die pro-englische Orientierung teilte und sich hinsichtlich der “Geschichte des deutschen Theaters” als Ergänzung zur Theatralischen Bibliothek des hochgeachteten Lessing verstand (Bibliothek 1.1:11–12). Und Johann Elias Schlegel kam ihm von den frühen bis späten vierziger Jahren in mancherlei [End Page 343] Hinsicht knapp zuvor, besonders in den 1747 entstandenen, aber erst mit dem Druck von 1764 zu breiterer Wirkung gekommenen “Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters” (J. A. Schlegel zitiert 1751 in seinem Batteux-Kommentar einen langen Passus daraus).49

Solche Hinweise auf Parallelen, die also—im einzelnen noch systematisch und ins einzelne gehend zu untersuchende—Rahmenbedingungen für die hier textnah en détail ermittelten Gemeinsamkeiten mit den Neuen Erweiterungen andeuten, schmälern natürlich Lessings Verdienst ebensowenig wie die oft betonten Vorwegnahmen mancher seiner Anschauungen in der europäischen Literaturkritik. Es sind—dazu hat Armand Nivelle schon 1977 das Wesentliche gesagt50—vielmehr Lessings Neukombinationen solcher Anschauungen, seine Formulierungen und situationsgerechten Zuspitzungen, seine kritische und poetologische Konsequenz, die seinen Äußerungen ihren Rang und ihren durchschlagenden Erfolg im literarischen Leben gesichert haben. Daran wollen auch die Bemerkungen über seine “feindliche Verbündung” mit den Neuen Erweiterungen keinen Zweifel anmelden. Aufschlußreich bleibt jedoch, wie damit eine Konstellation im literarischen Lebens in Licht tritt, die zur Kenntnis zu nehmen sich lohnt. Es dürfte kaum die einzige dieser Art gewesen sein.

Karl S. Guthke
Harvard University

Anmerkungen

1. Zum Begriff des literarischen Lebens s. Eva D. Becker u. Manfred Dehn, Literarisches Leben (Hamburg: Verlag für Buchmarktforschung, 1968), bes. 8–9; Karl S. Guthke, Literarisches Leben im achtzehnten Jahrhundert in Deutschland und in der Schweiz (Bern u. München: Francke, 1975) 9–17, bes. 10–11; rezipiert bei Jürgen Wilke, Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts (Stuttgart: Metzler, 1978) 1:64–65.

2. Wilke, 1:65.

3. Neue Erweiterungen der Erkenntnis und des Vergnügens (Frankfurt und Leipzig bey Friedrich Lankischens Erben), 7.39 (1756): 194. Verweise auf die NE erfolgen mit Band-, Stück- und Seitenzahl. Benutzt wurde die Microform-Ausgabe in der Reihe Deutsche Zeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts (Hildesheim: Olms, 1994–1999).

4. Klaus L. Berghahn in Geschichte der deutschen Literaturkritik (1730–1980), hg. v. Peter Uwe Hohendahl (Stuttgart: Metzler, 1985) 38 (über die frühen fünfziger Jahre); Wolfgang Albrecht, Gotthold Ephraim Lessing (Stuttgart: Metzler, 1997) 35 (über die Literaturbriefe).

5. Monika Fick, Lessing-Handbuch (Stuttgart: Metzler, 2000) 100. Vgl. Anm. 23.

6. Hugh Barr Nisbet, Lessing: Eine Biographie (München: Beck, 2008) 151, 348.

7. Zitat: Gunter E. Grimm über Heines Lessing-Bild in Lessing: Epoche—Werk—Wirkung, hg. v. Wilfried Barner u.a., 5. Aufl. (München: Beck, 1987) 395 (Hervorhebung von mir); vgl. über das Klischee vom (sinngemäß solitären) "Kämpfer": Jürgen Schröder, "Der 'Kämpfer' Lessing: Zur Geschichte einer Metapher im 19. Jahrhundert," Das Bild Lessings in der Geschichte, hg. v. Herbert G. Göpfert (Heidelberg: Schneider, 1981) 93–114, sowie über das Klischee vom tapferen "großen Einsamen": Horst Steinmetz, Lessing—ein unpoetischer Dichter (Frankfurt: Athenäum, 1969) 32–35. [End Page 344]

8. Steinmetz 32, 20; Herder, Sämtliche Werke, hg. v. Bernhard Suphan (Berlin: Weidmann, 1888) 15:496 (ähnlich Unzer und Mauvillon: s. Steinmetz 24); Steinmetz 226 (Müller); Steinmetz 35 (Jens), 34.

9. Dazu Guthke, Literarisches Leben, 24–71, und Guthke, Der Blick in die Fremde: Das Ich und das andere in der Literatur (Tübingen: Francke, 2000) 351–92, rezipiert in Lessing, Werke und Briefe in zwölf Bänden, hg. v. W. Barner u. a. (Frankfurt: Deutscher Klassiker Verlag, 1985–2003) 1:1291 und 2:738. Im folgenden wird diese Ausgabe mit Band- und Seitenzahl zitiert, die Lachmann-Munckersche als LM: Sämtliche Schriften, hg. v. Karl Lachmann, Dritte auf's neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker, Bd. 1–22 und ein Registerband als Bd.23 (Stuttgart/ (ab Bd. 12) Leipzig, 1886–1924).

10. Friedrich Just Riedel, Über das Publicum (Jena: Cuno, 1768)169. Ähnliche Stimmen: Guthke, Literarisches Leben, 29–30.

11. Nisbet (Anm. 6) 234. E. J. Engel sah einen Einfluß Mendelssohns auf den Stil von Lessings Rezensionen, s. "Young Lessing as Literary Critic (1749–1755)," Lessing Yearbook 11 (1979): 69–82.

12. Nach Steinmetz (Anm. 7) 33.

13. Nisbet (Anm. 6) 42, 44, 140–43, 145, 339. Ähnlich Fick (Anm. 5) 160–61, mit Nachweis einschlägiger Studien.

14. Fick (Anm. 5)162; ebda 172: Lessing war es, der für die in den Literaturbriefen geschaffenen Feindbilder verantwortlich war.

15. Johann Georg Meusel, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen deutschen Schriftsteller (Leipzig: Fleischer, 1815) 14:74–81; darauf fußend Nachschlagewerke wie Allgemeine Deutsche Biographie (1894) 38:380; Deutsches Literatur-Lexikon, Dritte Auflage, (2003) 23:78–79; und Deutsche Biographische Enzyklopädie (1999) 10:51.

16. Zuschreibung der Possen an Titius: Otto Deneke, Lessing und die Possen 1754 (Heidelberg: Weissbach, 1923); als fraglich bezeichnet in Lessing, Werke und Briefe, 3:930 u. 1567. Lessings Rezension: ebd., 3:72–73 u. 84–86; vgl. dazu den Kommentar 930 und 940.

17. Ein paar weitere Erwähnungen von Titius bzw. seinen Werken sind nichtssagend; s. das Register bei LM.

18. Lessing, Werke und Briefe, 11.1:157 (4. Jan. 1757); s. dazu den Kommentar S. 772; auch Nicolai hatte die Erweiterungen oder doch ihre Theaterkritik scharf negativ beurteilt in seinen Briefen über den itzigen Zustand der schönen Wissenschaften in Deutschland (1755), was 1757 in der Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste referiert wurde (1.1:118); darauf bezieht sich Lessing in seinem Brief an Nicolai vom 19. Feb. 1757 (Werke und Briefe 11.1:169–70).

19. Wilke (Anm. 1) 2:58.

20. Zitat nach Gustav Waniek, Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit (Leipzig: Breitkopf u. Härtel, 1897) 587. Zum gleich folgenden Satz (Zitat) ebd. u. (zu Mischmasch) 609.

21. Vgl. Karl S. Guthke, Das Abenteuer der Literatur (Bern und München: Francke, 1981) 75–77; resümiert von Wilke (Anm. 1) 2:57–58.

22. NE 3.18:455–92. Vgl. Deneke, S. 61.

23. Zu Lessing s. Guthke, Literarisches Leben, 24–71. [End Page 345]

24. Abgedruckt bei Julius W. Braun, Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen (1884), (Reprint Hildesheim: Olms, 1969) 1:151–58, dann wieder in Lessing, Werke und Briefe 2:1211–17 (Auszug).

25. Braun, Lessing im Urtheile (1897) 3:27–33; Lessing, Werke und Briefe 2:1205–11.

26. Zu dieser verwickelten Affäre vgl. Lessing, Werke und Briefe 2:1141–43 u. 3:956– 76. Ein knapper Auszug aus dem Text der Neuen Erweiterungen ist in den Werken und Briefen 2:1274–75 abgedruckt.

27. Ein eine Seite langer Auszug steht in Lessing, Werke und Briefe 2:1262–63.

28. Zitiert nach dem Wiederabdruck der Abhandlung "Vom bürgerlichen Trauerspiele" (NE 6.31:1–25) in Lessing, Miss Sara Sampson, hg. v. Karl Eibl (Frankfurt: Athenäum, 1971) 175 (§ 3); abgedruckt auch in Johann Gottlob Benjamin Pfeil, Lucie Woodvil, hg. v. Dietmar Till (Hannover: Wehrhahn, 2006) 95–109. Werke und Briefe, 1:1208–13, 1213–18 bringt die Texte aus dem Hamburgischen Magazin und aus dem 32. Stück der Neuen Erweiterungen.

29. Vgl. dazu Karl S. Guthke, Erkundungen (New York, Frankfurt am Main, Bern: Lang, 1983) 179–84; NE 6.36:550–54; Lessings Rezension: Werke und Briefe 3:62.

30. Curtis C. D. Vail, Lessing's Relation to the English Language and Literature (New York: Columbia UP, 1936) 99, 125, 116, 139 u. Register.

31. NE 5.28:336; Lessing, Werke und Briefe 2:540 u. 1122. Zu Lessing vgl. Guthke, Der Blick in die Fremde (Anm. 9) 357–58 und 378–80.

32. Werke und Briefe 2:539 und 4:546–47. Vgl. Spiridion Wukadinovic, Prior in Deutschland (1895) (Reprint Hildesheim: Gerstenberg, 1976).

33. Vgl. LM, Register, und Vail (Anm. 30), Register.

34. Lessing, Werke und Briefe 3:426–27; NE 6.34:363–364, Textproben bis S. 375.

35. Vgl. Louise Wolf, Elisabeth Rowe in Deuschland, Diss. Heidelberg 1910 (Heidelberg: Zoller).

36. Lessing, Werke und Briefe 3:759–61; zu Lessings Beschäftigung mit Thomson s. 3:1451–52, und Vail, Register, bes. 120–22, 140–42.

37. Entgangen ist er dem Standardwerk von Milton D. Baumgartner, "On Dryden's Relation to Germany in the Eighteenth Century," University Studies (Univ. of Nebraska), 14. 4 (1914): 289–375.

38. "Engelland hat in der Poesie und den freyen Künsten überhaupt grosse Geister hervor gebracht, daß man billig in Erstaunen geräth, wenn man die häufige Anzahl derselben vor Augen siehet. Jedoch, es scheinet bey nahe ein beständiges Schicksal der Gelehrten zu seyn, daß, wenn sie in ihrem Vaterlande zahlreich sind, die Ausländer von ihnen eben nicht zu viel wissen, und daß je eifriger sie auf der einen Seite die Gelehrsamkeit, die Künste, und den Geschmack bey ihnen ins Aufnehmen zu bringen suchen, desto mehr andere daran arbeiten, daß entweder mit ihrem Untergange ihr Andenken verlöschen möge, oder daß sie wenigstens den Ausländern nicht als Sterne der ersten Grösse erscheinen. Wir wollen für diesmal bey den englischen Dichtern und den witzigen Köpfen ihrer Nation stehen bleiben. Werden wir wohl von vielen etwas umständliches zu sagen wissen? Werden uns wohl von den grösten ihrer Nation, vom Addison, vom Rochester, Milton, Pope, und vom Shackespear, ausser ihren Namen, und, wenn es hoch kömmt, ihren Schriften, noch einige besondere Lebensumstände bekannt seyn? Gleichwohl ist es nicht unnütze, den Nachruhm groser Männer auch den Auswärtigen bekannt zu machen" (NE 1.1:52). [End Page 346]

39. Siehe Richard Daunicht, Die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels in Deutschland (Berlin: de Gruyter, 1963).

40. Karl S. Guthke, Wege zur Literatur (Bern u. München: Francke, 1967) 109–32.

41. Vail (Anm. 30) 142.

42. Siehe die Bibliographie der theoretischen Äußerungen in Karl S. Guthke, Das deutsche bürgerliche Trauerspiel, 6. Aufl. (Stuttgart: Metzler, 2006) 58–59. Dazwischen liegt nur der 13. der Vermischten critischen Briefe (Rostock: Röse, 1758).

43. Daß Lucie Woodvil auf die Abschreckungs-, Miss Sara Sampson hingegen auf die Mitleidsästhetik verpflichtet sei, ist die These von Cornelia Mönch, Abschrecken oder Mitleiden: Das deutsche bürgerliche Trauerspiel im 18. Jahrhundert (Tübingen: Niemeyer, 1993); s. bes. Kap. 2. Vgl. die Kritik, speziell auch unter Berufung auf "Vom bürgerlichen Trauerspiele" bei Guthke, Das deutsche bürgerliche Trauerspiel (Anm. 42) 54–55, 61–63; daß Mönchs Auffassung, daß das bürgerliche Trauerspiel generell der Abschreckungsästhetik verpflichtet sei, historisch, auf Grund der Rezeption des bürgerlichen Trauerspiels unhaltbar ist, dokumentiert meine Studie "Rührstück oder 'Schreck-Spiel'?" Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, 2008, 1–80.

44. Dies im Unterschied zu Mönch (Anm. 43) 39–41, wo diese Stelle als "unvereinbar" mit der "Mitleidsdramaturgie" verstanden wird. Daß diese Abhandlung tatsächlich die substantiellste zum Thema "poetische Gerechtigkeit" ist, entnehme ich Mönchs Übersicht über das Thema im deutschsprachigen Raum (S. 33–48).

45. "Merkwürdige Lebensbeschreibung des Herrn William Shakespears" (1753) NE 1.4:275–97; Einführung zu "Versuch einer Uebersetzung einiger Stellen aus Shakespears Richard dem III." (1756) NE 7.39:193–223 (Einführung: S. 193–94); S. 193 wird auf den vorausgegangenen Artikel verwiesen; er dürfte vom selben Verfasser stammen.

46. Vgl. Guthke, Das Abenteuer der Literatur 77–78.

47. Karl S. Guthke, Die Entdeckung des Ich (Tübingen: Francke, 1993) 39–53.

48. Die Texte sind abgedruckt bei Guthke, Das Abenteuer der Literatur 84–93. Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden auf den Originaldruck; sie sind im Abdruck ebenfalls angegeben. Daß der 17. Literaturbrief Drydens Essay of Dramatick Poesie viel verdankt, ist seit langem bekannt. Mir geht es jedoch nicht um Einfluß, sondern um Vergleichbarkeit mit den Texten der zeitgleichen Neuen Erweiterungen. Zu Analogien zwischen dem 17. Literaturbrief und der vorausgehenden englischen Shakespeare-Kritik (Dryden u.v.a.) vgl. die in Anm. 47 genannte Studie. Roger Paulin äußert sich zur Qualität der Übersetzung aus Richard III. in The Critical Reception of Shakespeare in Germany 1682–1914 (Hildesheim: Olms, 2003) 79–80.

49. Johann Adolf Schlegel, Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz (Leipzig: Weidmann, 1751) 316–17.

50. Armand Nivelle, "Lessing im Kontext der europäischen Literaturkritik," Lessing in heutiger Sicht, hg. v. Edward P. Harris u. Richard E. Schade (Bremen: Jacobi, 1977) 89–112. Vgl. auch Anm. 47. [End Page 347]

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