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  • Das Polenbild in den Werken Arno Surminskis
  • Herman Ernst Beyersdorf (bio)

Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, eine allgemeine Übersicht über das Polenbild in Deutschland oder in der deutschen Literatur auch nur ansatzweise geben zu wollen. Der interessierte Leser wird auf die einschlägige Literatur hingewiesen, wobei Hubert Orłowskis Untersuchung mit dem programmatischen Titel “Polnische Wirtschaft”: Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit wohl am ausführlichsten das in Deutschland weit verbreitete Stereotyp untersucht. Er stellt fest: “Der deutsche Polendiskurs der auslaufenden Frühen sowie der Späten Neuzeit wird beherrscht sowie hierarchisch und syndromatisch strukturiert von der Stereotypie polnische Wirtschaft” (7). Dieses Stereotyp wird von Franciszek Ryszka folgendermaßen definiert:

“Polnische Wirtschaft” ist Chaos, Leichtsinn, Verschwendung, gleichzeitig aber auch – Unsauberkeit, Rückständigkeit, Ignoranz. Die Kombination dieser Merkmale konnte verschiedenartig vorgenommen werden. In den reicheren Schichten glaubte man Verschwendung und Leichtsinn, im “einfachen Volk” – Unsauberkeit und Ignoranz zu entdecken.

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Ohne das implizite Polenbild der überwiegend deutschen Leserschaft von Arno Surminskis Werken mit dem Stereotyp der “polnischen Wirtschaft” gleichzustellen wird in diesem Beitrag argumentiert, dass in den Werken Surminskis die gängigen Stereotypen nicht lediglich widergespiegelt werden, sondern dass sie auch kritisch reflektiert oder sogar überwunden werden, indem er auch das Schicksal und die Leiden der Polen behandelt und die oft schwierigen Beziehungen zwischen Deutschen und Polen darstellt.

Mit wenigen Ausnahmen gehören Surminskis Werke zur Kategorie der sogenannten “Vertreibungsliteratur.” Diese Literatur befasst sich hauptsächlich mit dem Verlust der deutschen Ostgebiete (Ostpreußen, Schlesien, Pommern), der Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus diesen Ostgebieten und anderen deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa und der oft schwierigen Integration dieser Flüchtlinge und Vertriebenen in die Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Außerdem beinhaltet die Vertreibungsliteratur auch oft das Motiv des Besuchs von Mitgliedern der Erlebnisgeneration oder auch deren Nachfahren in der “alten Heimat.” Louis Helbigs Buch Der ungeheure Verlust [End Page 209] (1988) war der erste ernsthafte Versuch, Vertreibungsliteratur als separate Gattung zu untersuchen. Wie Helbig bemerkt “existiert ein umfangreicher Korpus von teilweise erstrangigen belletristischen Werken aller Genres zum Thema ‘Flucht und Vertreibung’” (41). Diese Vertreibungsliteratur, insofern sie sich auf die ehemaligen deutschen Ostprovinzen bezieht, die laut dem Potsdamer Abkommen 1945 größtenteils an Polen übergeben wurden, hat dann oft mit den Beziehungen zwischen Deutschen und Polen zu tun, entweder während des Krieges, wo viele polnische Zwangsarbeiter in Deutschland beschäftigt waren, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als oft selbst aus dem östlichen Polen vertriebene “Neusiedler” in den ehemaligen deutschen Ostgebieten ankamen, oder in der Nachkriegszeit, wo viele Deutsche auf Besuch in ihre “alte Heimat” kamen.

Surminskis umfangreiches und auflagenstarkes Gesamtwerk, obwohl in Zeitungsrezensionen überwiegend positiv besprochen, ist bisher von der Literaturwissenschaft relativ wenig beachtet worden. Abgesehen von Dissertationen gibt es meines Wissens nur eine umfassende Darstellung seines Gesamtwerkes, nämlich die des Autors dieses Artikels mit dem Titel Erinnerte Heimat, Ostpreußen im literarischen Werk von Arno Surminski (1999). Es gibt allerdings eine größere Anzahl von kürzeren Untersuchungen, die sich, oft im Rahmen der Vertreibungsliteratur allgemein, mit einzelnen Werken Surminskis befassen. In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch anzumerken, dass Surminskis Werke insbesonders in der jüngeren polnischen Germanistik eine positive Resonanz gefunden haben.

In Surminskis Erstlingswerk Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland? (1974), das die Zeitspanne 1934 bis 1945 umfasst, kommen Polen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Roman kaum vor. Abgesehen vom Schneidergesellen “Heinrich aus Masuren,” der noch auf masurisch flucht (9), werden die deutschen Bewohner des Dorfes Jokehnen, das zweifelsohne die fiktive Entsprechung von Surminskis Heimatort Jäglack ist, vor allem als deutschnational dargestellt. Erst 1939 erscheinen Polen im Bild dieser Dorfbewohner in Gestalt von polnischen Kriegsgefangenen. Hier kommt es bald zu einem Riss zwischen dem propagandistischen Feindbild und der Wirklichkeit des alltäglichen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens:

Schneller als gedacht, gewöhnte sich Jokehnen an die fremden Menschen. Die Kinder verloren als erste die Scheu. Anfangs hatten sie in den Holunderbüschen gesessen und “Pollack” gerufen, aber bald wurde das langweilig. Sie kletterten auf die Rübenwagen, auch wenn die Polen die Zügel führten. Man kannte sich bald mit Namen, und von den Eltern hatte niemand etwas dagegen, wenn die Kinder mit...

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