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  • Alle Tage, and: Nebelland, and: Anrufung des Grossan Bären, and: Exil, and: Böhmen liegt am Meer
  • Ingeborg Bachmann (bio)

Alle Tage

Der Krieg wird nicht mehr erklärt,sondern fortgesetzt. Das Unerhörteist alltäglich geworden. Der Heldbleibt den Kämpfen fern. Der Schwacheist in die Feuerzonen gerückt.Die Uniform des Tages ist die Geduld,die Auszeichnung der armselige Sternder Hoffnung über dem Herzen.

Er wird verliehen,wenn nichts mehr geschieht,wenn das Trommelfeuer verstummt,wenn der Feind unsichtbar geworden istund der Schatten ewiger Rüstungden Himmel bedeckt.

Er wird verliehenfür der Flucht vor den Fahnen,für die Tapferkeit vor dem Freund,für den Verrat unwürdiger Geheimnisseund die Nichtachtungjeglichen Befehls. [End Page 42]

Nebelland

Im Winter ist meine Geliebteunter den Tieren des Waldes.Dass ich vor Morgen zurückmuss,weiß die Füchsin und lacht.Wie die Wolken erzittern! Und mirauf den Schneekragen fällteine Lage von brüchigem Eis.

Im Winter ist meine Geliebteein Baum unter Bäumen und lädtdie glückverlassenen Krähenein in ihr schönes Geäst. Sie weiß,dass der Wind, wenn es dämmert.ihr starres, mit Reif besetztesAbendkleid hebt und mich heimjagt.

Im Winter ist meine Geliebteunter den Fischen und stumm.Hörig den Wassern, die der Strichihrer Flossen von innen bewegt,steh ich am Ufer und seh,bis mich Schollen vertreiben,wie sie taucht und sich wendet.

Und wieder vom Jagdruf des Vogelsgetroffen, der seine Schwingenüber mir steift, stürz ichauf offenem Feld: sie entfiedertdie Hühner und wirft mir ein weissesSchlüsselbein zu. Ich nehm's um den Halsund geh fort durch den bitteren Flaum.

Treulos ist meine Geliebte,ich weiss, sie schwebt manchmalauf hohen Schuh'n nach der Stadt,sie küsst in den Bars mit dem Strohhalmdie Gläser tief auf den Mund,und es kommen ihr Worte für alle.Doch diese Sprache verstehe ich nicht.

Nebelland hab ich gesehen.Nebelherz hab ich gegessen. [End Page 44]

Anrufung des Grossen Bären

Grosser Bär, komm herab, zottige Nacht,Wolkenpelztier mit den alten Augen,Sternenaugen,durch das Dickicht brechen schimmernddeine Pfoten mit den Krallen,Sternenkrallen,wachsam halten wir die Herden,doch gebannt von dir, und misstrauendeinen müden Flanken und den scharfenhalbentblössten Zähnen,alter Bär.

Ein Zapfen: eure Welt.Ihr: die Schuppen dran.Ich treib sie, roll sievon den Tannen im Anfangzu den Tannen am Ende,schnaub sie an, prüf sie im Maulund pack zu mit den Tatzen.

Fürchtet euch oder fürchtet euch nicht.Zahlt in den Klingelbeutel und gebtdem blinden Mann ein gutes Wort,dass er den Bären an der Leine hält.Und würzt die Lämmer gut.

‚s könnt sein, dass dieser Bärsich losreisst, nicht mehr drohtund alle Zapfen jagt, die von den Tannengefallen sind, den grossen, geflügelten,die aus dem Paradies stürzten. [End Page 46]

Exil

Ein Toter bin ich der wandeltgemeldet nirgends mehrunbekannt im Reich des Präfektenüberzählig in den goldenen Städtenund im grünenden Land

abgetan schon langeund mit nichts bedacht

Nur mit Wind mit Zeit und mit Klang

der ich unter Menschen nicht leben kann

Ich mit der deutschen Sprachedieser Wolke um michdie ich halte als Haustreibe durch alle Sprachen

O wie sie sich verfinstertdie dunklen die Regentönenur die wenigen fallen

In hellere Zonen trägt dann sie den Toten hinauf [End Page 48]

Böhmen liegt am Meer1

Sind hierorts Häuser grün, tret ich noch in ein Haus.Sind hier die Brücken heil, geh ich auf gutem Grund.Ist Liebesmüh in alle Zeit verloren, verlier ich sie hier gern.

Bin ich’s nicht, ist es einer, der ist so gut wie ich.

Grenzt hier ein Wort an mich, so lass ich’s grenzen.Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder.Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.

Bin...

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