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  • Poetische Vernunft. Moral und Ästhetik im Deutschen Idealismus
  • Klaus L. Berghahn
Poetische Vernunft. Moral und Ästhetik im Deutschen Idealismus. Von Hans Feger. Stuttgart: Metzler, 2007. 630 Seiten. €79,95

Die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Kunst ist so alt wie die Antike, und doch wurde sie immer wieder neu gestellt, am grundsätzlichsten und folgenreichsten in der Ästhetik des Deutschen Idealismus. Hans Fegers umfangreiche Studie ist eine gründliche, gelehrte und auch leserfreundliche Rekonstruktion der moralischen und ästhetischen Entwicklung der Philosophie von Kant bis Kierkegaard. Sie versucht, eine Entwicklungslinie aufzuzeigen, in welcher das Verhältnis der Ästhetik zur Ethik, das bei Kant auf dem Autonomieanspruch der praktischen Vernunft beruht, bei Kierkegaard ins Gegenteil verkehrt wird, so dass die Ethik aus einer Ästhetik hervorgeht, die nun wesentlich eine negative ist. Wichtigstes Verbindungsglied in dieser Entwicklung ist der poetische Idealismus Schellings, der das Verhältnis von Ethik und Ästhetik einer Neubewertung unterzieht, in deren Folge die innere Freiheit des moralischen Anspruchs an eine ästhetische Erfahrung gebunden ist, der ein absoluter Vorrang gegenüber dem begriffl ichen Denken eingeräumt wird. In drei Teilen bringt Feger die philosophische, ästhetische und literarische Konstellation dieser Entwicklung in einen argumentativen Zusammenhang, in welchem die kontroversen Positionen ausführlich diskutiert werden.

Im ersten Teil, "Kritik der ästhetischen Erfahrung," wird aufgezeigt, wie die ästhetische Erfahrung bei Kant ihren autonomen Status dadurch erhält, dass sie zwischen subjektivem Urteil und objektiver Erkenntnis vermittelt und so eine Erkenntnis überhaupt erst ermöglicht, welche die Grenzen der begriffl ichen Erkenntnis überschreitet. Schiller und Reinhold knüpfen hier an, modifizieren aber die kantische Konzeption moralischer Autonomie, indem sie nachweisen, dass sie ohne die Vermittlungsleistung der ästhetischen Erfahrung realitätsfremd bleibt.

Der zweite Teil, "Metaphysik der ästhetischen Erfahrung," thematisiert im Kontext des Deutschen Idealismus die ästhetische Erfahrung als ein Moment der Einheitsstiftung. Spekulativ aufgewertet wird die ästhetische Erfahrung im Kunstabsolutismus Schellings, der zwei Traditionsstränge aufnimmt: zum einen das klassische Versöhnungsmodell, wie es Schillers Konzeption einer ästhetischen Erziehung zugrunde liegt, zum anderen das frühromantische Projekt der Entgrenzung der ästhetischen Erfahrung, das Feger bei Jacobi und Novalis expliziert.

Der dritte Teil, "Existenz und ästhetische Erfahrung," thematisiert schließlich den Bruch mit der Spekulation bei Kierkegaard als einen Neuansatz, der—von Schellings poetischem Idealismus vorbereitet—wesentlich in einer Ästhetikkritik begründet liegt. Die moderne Existenzphilosophie, die den Menschen nicht mehr als Spekulierenden, sondern als Existierenden erfassen will, verabschiedet die spekulative [End Page 275] Überforderung, welche die ästhetische Erfahrung noch bei Schelling hat. Dies wird für die Romantikkritik Kierkegaards wichtig. Kierkegaard weist der romantischen Ironie nach, dass in ihr die philosophische Spekulation nicht an ein Ende kommt, sondern sich ins Uferlose verliert. Nur als negative eröffnet die Ästhetik eine ethische Einsicht.

Die Koda, ein kurzes Adorno-Kapitel, verbindet die Arbeit überzeugend mit heutigen Diskussionen des Moral/Ästhetik-Problems. Das ist keine vorschnelle Aktualisierung, sondern diese Verknüpfung ergibt sich fast notwendig aus Adornos Habilitationsschrift über Kierkegaard. Adorno studiert an Kierkegaard, was es heißt, wenn Kunst selbst gegen ihren affirmativen Charakter Front macht. Bei Adorno wird das kantische Modell eines autonomen Handelns auf die ästhetische Erfahrung übertragen, die sich nunmehr durch negative Bestimmtheit auszeichnet.

Was Feger im Grunde behandelt, ist nicht weniger als eine "transzendentale Erzählung" des Deutschen Idealismus, deren Spannung darin besteht, dass sie eine intensive Auseinandersetzung mit Kants (und auch Fichtes) Subjektphilosophie ist—sozusagen lauter Kant/Fichte-Krisen.

Beim Untertitel der Arbeit überrascht, dass Feger nicht Kants Paragraph 59 der Kritik der Urteilskraft, "Von der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit," zum Anlass nimmt, um das komplexe Verhältnis von Moral und Ästhetik zu diskutieren. Denn dort hatte Kant, zumindest andeutungsweise, vorgeschlagen, beide durch einen Analogieschluss zu verbinden, obwohl er gleich hinzufügte, dass "dies Geschäft [des Symbolisierens] bis jetzt noch wenig auseinandergesetzt [sei], so sehr es eine tiefere Untersuchung verdient." Mag sein, dass Feger sich nicht darauf einließ, da er dieses Problem schon in seiner Dissertation (Die Macht der Einbildungskraft in der Ästhetik Kants und Schillers, 1995) ausführlich behandelt hatte; doch wäre eine Rekapitulation hier am Platze gewesen. Zwar spielen auch in der hier besprochenen Studie ästhetische Anschauung, Einbildungskraft und Darstellungsprobleme eine bedeutende Rolle, ja sie ziehen sich als roter...

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