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Reviewed by:
  • Orientdiskurse in der deutschen Literatur
  • Birgit Tautz
Orientdiskurse in der deutschen Literatur. Herausgegeben von Klaus-Michael Bogdal. Bielefeld: Aisthesis, 2007. 363 Seiten. €39,80.

Die vierzehn hier versammelten Aufsätze gehen, wie der Herausgeber in Vorwort und Klappentext deutlich macht, auf eine Tagung im Rahmen des "Euro-islamischen Dialogs" in Bielefeld zurück—eine institutionelle Einbindung, die entsprechend hohe Erwartungen produziert. Umso überraschender ist es daher, dass Bogdal relativ unkritisch die lange Zeit immer wieder zitierte, von Said selbst wie von anderen aber mehrfach präzisierte Prämisse übernimmt, wonach "das Orientbild in der deutschen Literatur [sich] deutlich von dem unterscheidet, das sich unter den Bedingungen kolonialer Herrschaft in der englischen und französischen Literatur herausgebildet hat" (8).

Trotzdem war ich natürlich gespannt darauf, wie Nuancen bzw. linguistische und (prä ) nationale Eigenheiten in den Einzelbeiträgen herausgearbeitet wurden und inwieweit die Aufsätze in den Dialog mit anderen Wissenschaftstraditionen und theorien treten, die sich im nicht-deutschsprachigen Raum der Orientalismuskritik widmen.

Angesichts der in den letzten Jahren vor allem im angloamerikanischen Raum erschienenen Neuansätze gerade zum Thema "Orientalismus" und "deutsche Kultur / Literatur" (z. B. Themenheft Reassessing Orientalism in German Studies in Seminar XLI.3 [2005]; Katherine Arens' "Said's Oriental Fantasies" in Herder Yearbook 2004) ist eine umfassende theoretische und wissenschaftshistorische Auseinandersetzung mit der Symbiose aus Motiv des Orients und institutionell-ideologischer Praxis des Orientalismus nicht nur wünschenswert sondern notwendig. Denn—und das sei hier nochmals ausdrücklich angemerkt—Symbiose bedeutet eben nicht automatisch Gleichsetzung. Während es Said und Nachfolgern immer um die Formation des Orientalismus als institutionelle Praxis ging, beschränken sich die Beiträge zu Orientdiskurse in der deutschen Literatur methodisch leider oftmals auf die Darstellung des Motivs des Orients—mitunter ohne die erkenntnistheoretischen, diskursiven, ideologischen und historischen Konsequenzen genügend zu reflektieren. Die Unterscheidung von Motiv und Ideologie wird zwar immer wieder angemahnt, deren Grenzen jedoch häufig verwischt. Zum Teil wird impliziert, dass Bild / Motiv nicht ideologisch sei. Das ist um so bedauerlicher, da aus einer methodisch-konzeptuellen Unterscheidung zwischen Motiv und Ideologie durchaus neue Forschungsansätze erwachsen könnten, die einen produktiven, historisch und disziplinär nuancierten Zugang zu den heterogenen Bildern, poetischen Verarbeitungen und Funktionen des Orients und den wie auch immer korrelierenden (bzw. nicht-korrelierenden) Orientalismen ermöglichen würden.

Jedem einzelnen der vierzehn Beiträge im Detail gerecht zu werden ist unmöglich; daher muss ein Überblick genügen. Die Aufsätze schlagen einen Bogen von der europäischen Kreuzzugsdichtung bis in die literarische Moderne, mit gelegentlichen Vorgriffen in die Nachkriegs-bzw. Gegenwartsliteratur und - kultur. Die meisten sind jedoch dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert gewidmet. Beiträge, die sich der sprachlich-poetischen Konstruktion bzw. Archivierung von "Orient" und "Orientalismen" widmen, stehen neben Aufsätzen, die einen Überblick über das Bild und die Funktion einer bestimmten, geographisch lokalisierbaren Kultur in der deutschen Literatur geben. Meinolf Schumacher zeigt anhand von Walthers "Palästinalied," wie Palästina zu einer "literarischen Topographie" (25) und somit das Heilige Land mittels einer funktionalisierten Kreuzzugsliteratur textuell, nicht geographisch, konstituiert [End Page 113] wurde (11–30). Kai Kauffmann kontextualisiert Herders Geist der Ebräischen Poesie in Sprach- und poeteologischer Theorie des achtzehnten Jahrhunderts (Rousseau, Herder, Lowth, Klopstock) und leitet daraus "Trennendes" in Bezug auf den "späteren Orientalismus" ab (31–48; hier 47). Andrea Polaschegg, deren Buch Der andere Orientalismus [Anm. d. Hrsg.: vgl. Monatshefte 99.4 (2007), 558–560] in zahlreichen Beiträgen angesprochen wird, verknüpft einen systematischen Überblick ihrer Thesen mit Beispielen einer "Gebrauchsgeschichte des deutschen Orientalismus" und zeigt, wie der Orient als Motiv im Rahmen nachfolgender poetologischer Theorien medialisiert und funktionalisiert wurde (49–80). Ähnliche Funktionalisierungen des Orients arbeiten die Aufsätze von Monika Schmitz-Emans und Hendrik Birus heraus: Schmitz-Emans analysiert die Nuancen eines Orients als Wissensarchiv, poeto lo gische und kulturelle Topographie bei Jean Paul (81–124), und Birus beschäftigt sich mit der Ent-Orientalisierung des Ghasels bei Goethe, Platen und Rückert (125–140). Ulrike Stamm untersucht den Zusammenhang von Rassen- und Geschlechterstereotyp (141–162); Wolfgang Behschnitt dagegen die unterschiedliche Instrumentalisierung einer Orientphantasie in der Konstruktion eines jeweils spezifischen Moments dänischer und deutscher Literaturgeschichte (163–182). Der Konstruktion spezifischer Orte, Nationen und Ethnien, die...

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