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  • Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände—Konzepte—Institutionen. 3 Bände
  • Jochen Vogt
Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände—Konzepte—Institutionen. 3 Bände. Herausgegeben von Thomas Anz. Stuttgart: Metzler, 2007. 1500 Seiten + 20 s/w Abbildungen. €199,95.

Zum Selbstverständnis und Stolz der philologischen Wissenschaften gehörte es traditionell, ihren Wissensschatz und ihr methodisches Repertoire von Zeit zu Zeit, und man rechnete da großzügig in Jahrzehnten, in Form repräsentativer, systematisch oder auch historisch aufgebauter Werke, in "Grundrissen" oder "Handbüchern" darzubieten. Wer etwa in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der Bundesrepublik Germanistik studierte, musste zunächst den "Aufriß" (d.i. Deutsche Philologie im Aufriß, 2. Aufl., 1957ff.) und das "Reallexikon" (Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte , 2. Aufl., 1958ff.) kennen und benutzen lernen; konnte aber durchaus schon bemerken, dass diese monumentalen Sammelwerke auf manche damals neu auftauchenden Fragen keine Antwort hatten (und nicht einmal Raum für diese Fragen).

Dem Prozess der Gegenstandserweiterung, der methodischen Verunsicherung und Neubesinnung, der disziplinären und nationalen Entgrenzung, der dann die kommenden Jahrzehnte bestimmen sollte, waren diese Schatztruhen scheinbar gesicherten Wissens nicht mehr gewachsen. Einzelne Projekte, die noch Anfang der 1970er Jahre neu konzipiert wurden, erwiesen sich von vornherein als antiquiert. Denn dies war das Jahrzehnt der Theorie-"Reader" und Methoden-Revuen, oft sogar im Taschenbuch; sodann und bis heute die Zeit der "Einführungen." Sie reagieren vor allem auf das bildungspolitische Faktum, oder zumindest den nicht ganz abwegigen Verdacht, das Fach Germanistik werde inzwischen mehrheitlich "aus Irrtum studiert" (Heinz Schlaffer).

Zweifellos verfügen Studienanfänger seit den 1980er Jahren—stets auf die bundesdeutsche Situation bezogen—kaum noch über eine historische und literarische Vorbildung, die sie zur selbständigen Teilnahme am fachlichen Diskurs, und damit etwa auch zur Nutzung jener Großwerke befähigen würde (wie man das den vorhergehenden Generationen zumindest unterstellt hatte). Zugleich verstärken und beschleunigen sich die zentrifugalen Prozesse der Fachentwicklung kontinuierlich (bei gleichzeitig drohendem Funktionsverlust der Geisteswissenschaften insgesamt); die jeweils neu angesagten theoretischen "turns" bilden inzwischen eine wahre Slalomstrecke, auf der man sehr leicht aus der Spur getragen werden kann.

In solcher Gefahr wächst, so hoffen wir jedenfalls, das Rettende auch. Oder zumindest das Bedürfnis nach Orientierung. So kommt es um 2000 zu neuen Projekten der Bestandsaufnahme, und zwar vorerst—aus begründeter Skepsis gegen Systematik—in lexikalischer Form. Ich nenne exemplarisch zwei, die sich inzwischen als besonders hilf- und erfolgreich erwiesen haben: das neue dreibändige Reallexikon (eben [End Page 106] nicht mehr der Literaturgeschichte , sondern der Literaturwissenschaft ) von Klaus Weimar u.a., und das betont fachübergreifend konzipierte, aufgrund von Format und Preis auch bei Studierenden weit verbreitete Metzler Lexikon der Kultur- und Literaturwissenschaft —bezeichnenderweise von dem Anglisten Ansgar Nünning herausgegeben.

Langer Vorrede kurzer Sinn: In dieser Situation noch einmal, mit allen Konnotationen und Risiken dieses Titels, ein dreibändiges Handbuch Literaturwissenschaft zu planen, zu erarbeiten und zu publizieren, ist gewiss vertretbar, möglicherweise sogar überfällig, vor allem aber, angesichts jener neuen Unübersichtlichkeit, außerordentlich wagemutig.

Thomas Anz, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft in Marburg, kommt aus der Schule Walter Müller-Seidels, die für eine reflektierte Erweiterung des literaturwissenschaftlichen Gegenstandsbereichs ohne dogmatische Verhärtung oder Einseitigkeit steht. Er selbst hat fachübergreifend in Richtung Psychologie und Medizin gearbeitet und als Vorsitzender des deutschen Germanistenverbandes dessen letzte große Konferenz unter das Thema "Kultur-und Naturwissenschaften" gestellt. Zugleich war und ist Anz gern im Literaturbetrieb aktiv, derzeit etwa als Inspirator der vielbesuchten online-Zeitschrift literaturkritik.de. All dies sind keine Garantien, aber sicher gute Voraussetzungen für ein Unternehmen, das nicht nur entschuldigt, sondern durchaus und fast ohne Einschränkung gelobt werden darf!

Das Handbuch Literaturwissenschaft folgt in seiner Anlage dem im gleichen Verlag erschienenen Handbuch Kulturwissenschaft, das die Historiker Friedrich Jäger und Jörn Rüsen am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen entwickelt haben.

Band I präsentiert "Gegenstände und Grundbegriffe" einer Literaturwissenschaft, die zwar aus dem Blickwinkel der Germanistik perspektiviert ist, aber keineswegs an deren herkömmlichen Grenzen endet. (Insofern ist der scheinbar lakonische Titel des Werkes durchaus aussagekräftig.) Die Gliederung folgt einem Kommunikationsmodell des literarischen Lebens, beginnend beim Text—und zwar mit der hübschen Frage "Was ist Literatur...

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