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  • “Ich träume lieber Fritz den Augenblick . . .” Der Briefwechsel zwischen Goethe und F. H. Jacobi
  • Ehrhard Bahr
Max Jacobi Hrsg , “Ich träume lieber Fritz den Augenblick...” Der Briefwechsel zwischen Goethe und F. H. Jacobi. Neu hrsg. von Andreas Remmel und Paul Remmel. Hildesheim: Weidmann, 2005. 291 pp.

In seinem Goethe-Lexikon hat Gero von Wilpert diesen Briefwechsel “zu den wertvollsten Korrespondenzen Goethe” gerechnet, denn er gibt Aufschluß über wichtige Phasen im Leben und Werk des Dichters. Goethe lernte den Kaufmann, Schriftsteller und Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, genannt Fritz (1743–1819), auf seiner Rheinreise 1774 kennen. Er war zu Gast bei Jacobi in Düsseldorf und reiste anschließend mit ihm über Bensberg nach Köln. Die beiden begegneten einander in der Werther-Stimmung, der Jacobi in seinem Roman Aus Eduard Allwills Papieren (1775/76) Ausdruck zu geben suchte. Doch schon damals zeigte sich, wie unterschiedlich die beiden waren, die sich tief zu verstehen glaubten. In Goethes Werther und seinen Briefen zeigt sich ein Realismus, der Jacobi völlig fehlte. Dieser verstand sich lediglich auf die Konventionen der Empfindsamkeit. Dass ein sensationslüsterner Journalist glaubte, von der empfindsamen Sprache auf ein homosexuelles Verhältnis schließen zu können, war ein historisches Mißverständnis (K. H. Pruys, Die Liebkosungen des Tigers: Eine erotische Goethe-Biographie [Berlin 1997]). Zwischen Goethe und Jacobi kam es zum ersten Bruch, als der Dichter den empfindsamen Roman seines Freundes mit dem Titel Woldemar (1777) in einem spöttischen Standgericht im August 1779 in einer Hofgesellschaft in Ettersburg parodierte und das Buch an eine Eiche nagelte. Diese “Kreuzerhöhung” kam Jacobi zu Ohren und er beklagte sich bitterlich in einem Brief an Goethe vom 15. Sept. desselben Jahres. Goethe antwortete erst drei Jahre später, “damit wir wenigstens in Friede scheiden,” doch verlor er kein Wort über die Sache. Man braucht nur die letzten Seiten des Woldemar zu lesen, um zu verstehen, warum Goethe nicht der Versuchung widerstehen konnte, Jacobis Roman zu parodieren. Der nächste Zusammenstoß erfolgte anläßlich des Spinoza-Streits von 1780, als Jacobi Eiferer dem alternden Lessing ein Bekenntnis zu Spinoza entlockte und ihn damit als Atheisten anzuprangern versuchte. Goethe protestierte gegen die Verwendung seiner Prometheus-Hymne dabei, die Jacobi anonym und ohne seine Billigung in seiner Schrift über Die Lehre des Spinoza (1785) veröffentlicht hatte. Herder fand es lustig, dass Goethe “bei dieser Gelegenheit mit Lessing auf Einen Scheiterhaufen zu sitzen” kam (Brief vom 11. Sept. 1785). Doch damit war der Streit nicht behoben, denn Goethe nannte Spinoza im Gegensatz zu Jacobi “theissimum und christianissimum” (9. Juni 1785). Im Sommer 1793 berichtet Goethe aus dem Feldlager über die Belagerung von Mainz und über seine Gegensätze zu Newton in Fragen der Farbenlehre. Der Kapitulation der französischen Besatzung von [End Page 235] Mainz ist ein extra Brief vom 27. Juli 1793 gewidmet, wobei er sich mißfällig über die deutschen Revolutionäre äußerte und ihre Gefangennahme begrüßte: “Das Unheil das diese Menschen angestiftet haben ist groß.” Zwischen 1793 und 1795 studierte Jacobis dritter Sohn Max Medizin in Jena und Goethe betreute den jungen Studenten, der 1846 den Briefwechsel herausgeben sollte. Sowohl Goethe als auch Jacobi versuchten die zunehmende Entfremdung zu überbrücken, aber es kam noch einmal zur Konfrontation, als Goethe negativ auf Jacobis Schrift Von den göttlichen Dingen (1811) reagierte und darauf mit dem Gedicht “Groß ist die Diana der Epheser” antwortete, weil er sich von keinem Apostel einen “formlosen Gott” aufdrängen lassen wollte. Er könne sich nicht mit einer Denkweise begnügen: “Als Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist als Naturforscher” (6. Jan. 1813). In einem Briefentwurf vom November 1815 sah Jacobi den wesentlichen Unterschied darin, dass er ein Christ sei, Goethe aber ein Heide. Doch habe er Goethes Heidentum dem von Goethe verhaßten Christentum vorgezogen.

Dieser Abriß mag genügen, um die Bedeutung dieses Briefwechsels in Erinnerung zu rufen. Die Ausgabe von 1846 ist schwer zugänglich, und deshalb ist die Neuausgabe mit Personen-, Orts-, Werk- und Briefregister, zu begrüßen. Allerdings fehlt ein Kommentar, so dass die Neuausgabe nicht als Leseausgabe zu empfehlen ist. Den Kommentar könnte man in einem zweiten Band nachliefern...

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