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  • „Schulinspektor“, ‚binary digits’ und „kulturelles Netzwerk“. Über einige Gemeinsamkeiten der Medien- und Kommunikationstheorie zwischen den 1930er und 1960er Jahren
  • Jürgen Fohrmann (bio)

I

Die Idee der Regulierbarkeit und in ihrer Optimierung auch das Konzept der Selbstregulation stellen zwei der zentralen Faszinosa der Theoriediskurse schon der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Neben Theorien des Organischen (damit verbunden einer kulturellen Semiose aus dem Vermögen irreduzibler Individualität1) und neben Konzepten elementarer (Zivilisations-)Beziehungen, die im Kontext und im Gefolge der Durkheim-Schule entwickelt wurden, stellt Regulation/Selbstregulation einen dritten Weg dar, mit dem nicht nur Gesellschaft beschrieben werden, sondern der alle Phänomene des ‚Seins’ in ihren gleichförmigen operativen Prozessen rekonstruierbar machen soll. Regulation/Selbstregulation übergreift dabei in ihrem Anspruch auch die drei großen medien- und kommunikationstheoretischen Ausrichtungen, die das 20. Jahrhundert prägen werden: Erstens [End Page 613] Theorien der Kommunikation, zweitens Theorien von Einzelmedien und drittens die Relevanzeinschätzung von ‚Kanaldifferenzen’2, die mit Ong, Havelock, Goody, McLuhan u. a. in eine sowohl allgemeine als auch vergleichende Medientheorie einmünden wird.3

II

Versucht man, wichtige der zwischen den 1930er und 1960er Jahren schreibenden (und rechnenden) (Medien- und) Kommunikationstheoretiker (Alan M. Turing, Gregory Bateson/Jürgen Ruesch, Vannevar Bush, Harold A. Innis, Marshall McLuhan) kulturwissenschaftlich zu lesen, so stellt sich bald insbesondere die Frage nach dem (gemeinsamen) Projekt, das verfolgt wurde, und nach dem (im weitesten Sinn) politischen Einsatz, der mit diesem Projekt verbunden war.

Insbesondere wäre zu beleuchten, auf welche Weise sich dieses Projekt kontextuieren lässt, d.h. wie es in die intellektuellen und wissenschaftlichen Strömungen der Zeit einzuordnen ist und welche Differenzen es zu markieren versucht.4 Dies kann an dieser Stelle natürlich nur sehr unvollkommen dargelegt werden—und ich werde eine solche Frage zunächst auch zurückstellen, um am Ende des Beitrags auf sie zurückzukommen.

III

Das athletische Unternehmen, das Alan M. Turing als Wettkampfläufer auf dem Titelbild von „Intelligence Service“ zeigt, besteht dabei auf eine signifikante Weise darin, den Menschen (insbesondere das Gehirn und das Nervensystem) als Referenzbereich der neuen Medien- und Kommunikationstechnologie nur insoweit zu denken, als dass und indem man ihn (zumindest in einem Punkt) zu überbieten versucht:

‚Man kann keine Maschine bauen, die für einen denkt.’ Das ist ein Gemeinplatz, der gewöhnlich fraglos akzeptiert wird. Es ist die Absicht dieses Aufsatzes, ihn in Frage zu stellen.5 [End Page 614]


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Ein Weg, unser Vorhaben, eine ‚denkende Maschine’ zu bauen, in Angriff zu nehmen, bestünde darin, einen Menschen als ganzen zu nehmen und zu versuchen, all seine Bestandteile durch Maschinen zu ersetzen. Er bestünde aus Fernsehkameras, Mikrophonen, Lautsprechern und ‚Servo-Gliedern’ ebenso wie aus einer Art ‚Elektronengehirn’.6

Der Vorschlag zum Bau einer solchen ‚Kreatur’—wir denken natürlich sofort an „Frankenstein“—wird, wenn er denn überhaupt ernst gemeint sein sollte, als nicht realisierbar verworfen, um dann auf den zentralen [End Page 615] Punkt zu kommen, der nicht das maschinelle Doppel des Menschen, sondern seine Überbietungsmöglichkeit anvisiert:

Gewiß hat der Nerv viele Vorteile. Er ist äußerst kompakt, verschleißt nicht (wahrscheinlich über hunderte von Jahren hinweg, sofern er in ein passendes Medium eingelegt ist) und verbraucht sehr wenig Energie. Gegenüber diesen Vorteilen besitzen elektronische Schaltkreise nur einen einzigen Vorzug, die Geschwindigkeit. Dieser Vorteil zählt jedoch in einem Maß, daß er die Überlegenheiten des Nervs vielleicht aufwiegen kann.7

Bei dieser Querelle—die nicht auf die unergiebige Dichotomie Humanismus/Antihumanismus hin betrachtet werden soll—wird, um einen Vergleichsmaßstab und die Möglichkeit zur Rekombination zu erhalten, ein Dispositiv (das dann wieder in ein Kompositiv mündet) entfaltet, das—zwischen Mensch und Maschine—als etwas Drittes gelten darf. Es führt—jenseits der wechselseitig zugeschriebenen oder erwünschten Vorbildfunktion: Der Mensch funktioniert wie eine Maschine, das zentrale Nervensystem ist zweiwertig organisiert; oder: die Maschine muss wie ein Mensch funktionieren, der selbst nicht als Maschine zu betrachten ist—zur Herausbildung eines formalen Modells (letztlich dreiwertiger Logik?), mit dem sowohl elektronische Verfahren als auch biologische und soziale Abläufe verstanden werden sollen. So breit angelegt, ist es folgerichtig, dass Turings Bemühungen (nicht nur aus mathematischen Gründen...

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