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  • Käte Hamburger
  • Horst Turk

Kaum ein Theorieentwurf scherte so entschieden aus den Traditionslinien der philosophischen Ästhetik aus wie Käte Hamburgers Logik der Dichtung, kaum einer hat die Basiskategorien des poetischen Gattungssystems so maßgeblich geändert. Was ist die differentia specifica der poetischen Rede im Verhältnis zu anderen Reden wie zu anderen Künsten? Die mit Abstand umfassendste Antwort auf diese Frage fand sich bei Hegel, der die poetische Rede nicht nur zum wissenschaftlichen Diskurs, zur historiographischen, didaktischen, politischen und alltäglichen Sprachverwendung, sondern auch zu den Manifestationen des Schönen in der Malerei, Plastik, Architektur und Musik ins Verhältnis setzte. Die Späteren—Formalisten wie Phänomenologen—schränkten den Anspruch ein: Sklovski, Tynjanov und Jakobson, indem sie linguistisch allein die Abgrenzung von der Alltagssprache in den Vordergrund stellten, Ingarden, indem er erkenntnistheoretisch die Abgrenzung von der Wissenschaftssprache in den Blick nahm. Hamburger wählt ebenfalls den Zugang über die Sprache, geht aber linguistisch und „logisch" von einer anderen, pragmatisch konzipierten Sprachauffassung aus. Ihr Zugang ist das Bühlersche Organon-Modell der Sprache—die Sprache als intersubjektives Darstellungsmittel aufgefaßt und anhand typischer Verwendungssituationen aus der Deixis entwickelt. Die Deixis stellt nach Bühler über das primäre Darstellungsfeld: ich, du, er und vieles andere mehr, einen genuinen Bezug zur Lyrik, Rhetorik und Epik her und konvergiert im Sinn einer allgemeinen Darstellungstheorie mit der Logik (im weitesten Sinn). Indem Hamburger den Zugang über die Sprache nimmt, kommt auch bei ihr die Abgrenzung zu den anderen Künsten nicht zum Tragen. Indem sie, abweichend von Bühler, das System der Sprachfunktionen (der Ausdrucks-, Appell- und Darstellungsfunktion nach Bühler) mit dem System der literarischen Gattungen (Epik, Dramatik und Lyrik) zur Deckung bringt, verschiebt sich nicht nur [End Page 17] das Begründungsaufkommen von der Darstellung (in Übereinstimmung mit der Wirklichkeitsaussage) zur Erzeugung (in Abweichung von der Wirklichkeitsaussage), sondern kommt es auch zu einer Verdrängung der Rhetorik (als genuiner Sprachform der Appellfunktion) durch die Lyrik (als genuiner Sprachform der Ausdrucksfunktion). Indem Hamburger mit Bühler von Sprechhandlungen ausgeht, kehrt sich bei ihr das Bedingungsverhältnis zwar um, ist aber das Auftreten „der Handlung als Handlung [ ... ], als wirkliches Ausführen innerer Absichten und Zwecke" (Hegels Umschreibung der aristotelischen mimesis praxeos-Formel) mit bedacht. Seine Produktivität hat der Ansatz zunächst auf dem Gebiet der Narratologie als Theorie des Fiktionalen im Unterschied zum Faktualen (Martinez / Scheffel) unter Beweis gestellt.

Versucht man, die Position der Dichtung im Sprachsystem objektiv entlang dem Verhalten der Sprache nach grammatischen und logischen Kriterien zu bestimmen und faßt man das Sprachsystem mit Nicolai Hartmann wie mit Bühler—genau besehen aber auch mit Roland Barthes—als System von Wirklichkeitsaussagen auf, dann sei—so Käte Hamburger—bei der Poetik der Gattungen [ ... ] das Faktum zu berücksichtigen, daß erzählende und dramatische Dichtung uns das Erlebnis der Fiktion oder der Nicht-Wirklichkeit vermittele, während dies bei der lyrischen Dichtung nicht der Fall sei. Was aber als Erlebnis vermittelt werde, habe seine Ursache in den vermittelnden Phänomenen selbst. Die Darstellung—nach Bühler ein Hauptaspekt der Sprache überhaupt, nach der aristotelischen Poetik beim Epos wie bei der Tragödie als Nachahmung von Handlung (mimesis praxeos) zu qualifizieren—habe eine weitergehende Bedeutung: sie repräsentiere oder konstituiere nicht nur, wovon die Rede ist, sondern bringe das Besprochene (Weinrich) auch hervor, erzeuge ihre Welt, ihre Tatsachen—Ereignisse, Personen, Dinge etc. Die Darstellung (mimesis) wäre—anders als sonst im Sprachsystem—nicht geradezu gleichbedeutend (Hamburger) mit dem Machen oder Hervorbringen (poiesis), wohl aber dichter an die poiesis herangerückt als sonst und in dieser Komplexion aufs engste verknüpft mit dem dritten, in der Regel separierten Faktor sprachlicher Darstellung, Verhandlung und Gestaltung, der Erklärung (Barthes, Blumenberg), Interpretation oder Deutung. Es gehe—darauf legt Hamburger den größten Nachdruck—nicht um Befindlichkeiten (Staiger) oder Verhaltensweisen von Autoren, respektive Sprechern, oder Lesern, respektive Hörern, sondern um Befindlichkeiten oder Verhaltensweisen des Mediums, der Sprache: „Denn, um keinerlei Mißverständnisse aufkommen zu lassen," heißt es bei Hamburger gleich zu Beginn, „(bzw. bereits aufgekommenen zu begegnen), sei nochmals betont, daß dieses System und damit die Ordnung der Gattungen auf nichts anderes als auf das Verhalten der...

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