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  • Botschaft oder Störung?Eine Diskursgeschichte des "Rauschens" in der Literatur um 1800
  • Oliver Simons

Tell a girl: 'I love you.' No trouble with two-thirds of that, it's a closed circuit. Just you and she. But that nasty four-letter word in the middle, THAT'S the one you have to look out for. Ambiguity. Redundance. Irrelevance, even. Leakage. All this is noise. Noise screws up your signal, makes for disorganization in the circuit." [ . . . ] "Well, now [ . . . ] you're sort of, I don't know, expecting a lot from people. I mean, you know. Most of the things we say, I guess, are mostly noise.'1

Selbst ein Liebesgeständnis ist "wahrscheinlich meistens Rauschen." Zweifelsohne ist sich Thomas Pynchon nicht nur der literarischen Tradition des Rauschens bewusst, sondern auch seiner technischen Definition. Jede Nachricht, so Claude Elwood Shannon 1940 in Communication in the Presence of Noise, ist von Störungen begleitet; Nachrichten bedürfen eines Trägermediums, jedes Trägermedium aber hinterlässt Spuren in den Mitteilungen.2 Bemerkenswert ist jedoch, dass aus nachrichtentechnischer Sicht das Rauschen auch eine ideale Botschaft sein kann.3 Töne sind Sinuskurven, die das menschliche Ohr in einem begrenzten Spektrum wahrnimmt—jenseits davon sind Schallwellen für menschliche Ohren sinnlos. Sie lassen sich nicht als Töne isolieren und folglich auch nicht mit Bedeutung versehen. Technische Empfänger hingegen, die Töne nicht als Sinneinheiten, sondern als Schallwellen physikalisch registrieren, können aus dem diffusen Rauschen durchaus Informationen gewinnen, ideale Botschaften sogar, weil sich die Signale auf das gesamte akustische Spektrum verteilen.

Störung oder Botschaft—auch literaturgeschichtliche Nachschlagewerke verzeichnen jene beiden Bedeutungen, die das medientechnische Rauschen der Gegenwart konnotiert. Johann Christian Adelung etwa beschreibt 1794 in seinem Wörterbuch das Rauschen als Zischlaut, den wir an Bäumen, Winden, Quellen und Bächen vernehmen.4 Wasserfälle rauschen, aber auch üppige Kleider in einem Ballsaal. Jedwede Bewegung und Unruhe, so das Wörterbuch der Brüder Grimm, verursacht Rauschen. Neben den natürlichen [End Page 33] Phänomenen des Rauschens verzeichnen sie auch literarische Motive: Das Rauschen als Metapher für ein "bewegtes Leben" oder den Fortgang der Zeit;5 wie man in Klopstocks Messias nachlesen könne, rauschen Engelsflügel ebenso wie Gottesbotschaften und erhabene Erlebnisse.6 Den literarischen Motiven des Rauschens und ihrer Semantik zwischen Störung und Botschaft gilt die Aufmerksamkeit der nachfolgenden Seiten.

Niemals scheint es in der Literatur öfter zu "rauschen" als in der Romantik, in Eichendorffs Lyrik etwa, so Theodor W. Adorno, fast schon formelhaft,7 aber auch in philosophischen Traktaten, bei Jean Paul, Herder oder in Goethes Tagebuch ist vom Rauschen die Rede. Am lautesten ist dabei um 1800 zweifellos das Rauschen der Wasserfälle, eines jener Motive, das in literarischen und philosophischen Texten gleichermaßen zirkuliert. Johann Wolfgang von Goethe etwa schildert am Abend des 18. September 1797—er ist bereits zum dritten Mal in der Schweiz—seinen Ausflug an den Rheinfall in Schaffhausen:

Schaffhausen. Um 6½ ausgefahren. Grüne Wasserfarbe, Ursache derselben.

Nebel, der die Höhen einnahm. Die Tiefe war klar, man sah das Schloß Laufen halb im Nebel. Der Dampf des Rheinfalls, den man recht gut unterscheiden konnte, vermischte sich mit dem Nebel und stieg mit ihm auf.

Gedanke an Ossian. Liebe zu Nebel bei heftig innern Empfindungen. [ . . . ]

Teile der sinnlichen Erscheinung des Rheinfalls, vom hölzernen Vorbau gesehen. Felsen, in der Mitte stehende, von dem höhern Wasser ausgeschliffne, gegen die das Wasser herabschießt.

Ihr Widerstand; einer oben, und der andere unten, werden völlig überströmt. Schnelle Wellen. Locken Gischt im Sturz. Gischt unten im Kessel, siedende Strudel im Kessel. Der Vers legitimiert sich: Es wallet und siedet und brauset und zischt pp.

Wenn die strömenden Stellen grün aussehen, so erscheint der nächste Gischt leise purpur gefärbt.

Unten strömen die Wellen schäumend ab, schlagen hüben und drüben ans Ufer, die Bewegung verklingt weiter hinab, und das Wasser zeigt im Fortfließen seine grüne Farbe wieder.

Erregte Ideen.8

Goethe steht auf dem hölzernen Vorbau, über den Strudeln des Rheinfalls gelehnt. In weiteren Umschreibungen des Wasserfalls nimmt er auch andere Perspektiven ein, betrachtet die "ungeheure Erscheinung" aus einem Boot...

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