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  • Augen-Spiel. Jean Pauls optische Metaphorik der Unsterblichkeit
  • Wulf Koepke
Augen-Spiel. Jean Pauls optische Metaphorik der Unsterblichkeit. Von Sabine Eickenrodt. Göttingen: Wallstein, 2006. 391 Seiten. €46,00.

Deise Habilitationsschrift trägt eine schwere Fracht von Informationen, Gelehrsamkeit, Gedanken und neuen, meistens polemisch ausgedrückten Einsichten. Jean Pauls Werk eignet sich ganz besonders für postmodernes Denken und verwickelte Gedankengänge, wie sie hier gezeigt werden. Der Ausgangspunkt der Arbeit ist dabei verblüffend einfach: "Die Forschung"—wer auch immer dazu zählen mag—spricht gern vom Gegensatz des Augen-Menschen Goethe und des musikalischen Jean Paul, der durch das Gehör lebte: von der Lust am Improvisieren am Klavier bis zur Verliebtheit in Töne, die seinem Werk Atmosphäre geben, genau wie die Musik und die Musiker. Ohne Vults Flöte wären die Flegeljahre nicht vorstellbar. (Übrigens war Goethe keineswegs unmusikalisch und sehr an Musik interessiert.) Nun weist aber Sabine Eickenrodt darauf hin, dass es bei Jean Paul ständig um die Augen geht: Blindheit, Augenoperationen und ein Wald von optischen Metaphern geben seinen Texten das Gepräge. Besonders das Starstechen faszinierte ihn, wie auch viele seiner Zeitgenossen, nur dass bei Jean Paul das Sehen und die Blindheit in den Bedeutungsumkreis der Unsterblichkeit geraten—dies wiederum eine Vorstellung, die man bei Jean Paul eine Obsession nennen kann, die ihn spätestens seit seiner Todesvision im November 1790 nicht mehr los ließ, und der er noch sein letztes unvollendetes Werk Selina widmete.

Sabine Eickenrodts Arbeit geht diesen Komplex von drei Punkten aus an: zuerst handelt sie von den Implikationen der Blindheit und des Starstechens in der Unsichtbaren Loge, dann folgt ein Teil über "Sinesische Sprachgitter," der sich auf den Hesperus bezieht, und als drittes eine Erörterung der "Himmelfahrt," die vom Kampaner Tal und dem "Seebuch" des Luftschiffers Giannozzo (im "Komischen Anhang" zum Titan) ausgeht. Die Arbeit schließt mit einem "Ausblick ins Spätwerk." Das sind nur Teilaspekte des Gesamtwerks von Jean Paul, aber es ist schon eine ganze Menge, und ein Vorstoß in weitgehend unbekanntes Gebiet. Ohnehin sollten wir wohl davon abkommen, bei Jean Paul einzelne Sinne zu privilegieren; er war ein Mensch, der sozusagen mit allen Sinnen lebte und schrieb: auch mit dem Gefühlssinn oder Tastsinn, mit dem Geruch und dem Geschmack. Das betrifft gerade die Erfahrung des Unendlichen und des Ewigen. Denn welche Sinne können uns einen Zugang zu dieser "anderen Welt" verschaffen, wenn nicht alle gemeinsam?

Es geht jedoch nicht so sehr um Sehen oder Hören als solches, sondern, meine ich, um die Art des Sehens. Wie sieht ein Mensch wie Jean Paul und wie "übersetzt" er das in seinen Texten, und was will und kann er sehen—oder hatte Schiller recht, der ihm den Blick auf die Realität absprach?

Sabine Eickenrodt zeigt am Komplex des Starstechens, wie eine neue medizinische Prozedur der damaligen Zeit Eingang in die Texte findet, von der Thematik zur Metaphorik und zur Rückbeziehung auf den Erzähler als vom Star Befallenen und Starstecher zugleich. Eine gewisse Ironie liegt darin, dass Jean Paul selbst am Ende seines Lebens erblindete. Bei den Texten, zunächst Die unsichtbare Loge und Hesperus, ist daran zu denken, dass der Erzähler "Jean Paul" eine Kunstfigur ist, wenngleich er dauernd von Lesern und Leserinnen, zur Freude des Autors, mit diesem verwechselt oder ineins gesetzt wurde. Sabine Eickenrodt geht es bei ihrer Untersuchung vornehmlich um eine weitere Dimension: die "Erfassung" und Gewissheit der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, also das Thema "Tod und Auferstehung," das in der Tat [End Page 147] überall im Text erscheint, auch wo man es nie vermuten würde, was sie an der Analyse einiger Textstellen demonstriert. Die unsichtbare Loge ist nicht umsonst eingeteilt nach den Sonntagen des Kirchenjahres.

Der zweite, kürzere Abschnitt, "Sinesische Sprachgitter," führt von der Erörterung dessen, was für Jean Paul "chinesisch" bedeutet, zum Sprach-Gitter, zum "Sprachdenken." Die Implikationen sind weitreichend. Goethes polemisches Gedicht "Der Chinese in Rom" bietet einen geeigneten Ausgangspunkt. Aber die geschichtliche Konstellation ist nicht eigentlich Sabine Eickenrodts Interesse. Sie bringt die leibnizsche Rezeption der chinesischen Sprache und besonders der chinesischen Schriftzeichen in den Kontext von Jean Pauls Semiotik und Kritik an der...

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