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  • Johann Michael von Loen und Christoph Heinrich Korn: “Die Redlichen am Hofe”--Zur Frauenliteratur des achtzehnten Jahrhunderts.
  • Lieselotte E. Kurth-Voigt

Ihrem Bestand an seltenen Büchern des achtzehnten Jahrhunderts fügte die Milton S. Eisenhower Bibliothek der Johns Hopkins Universität unlängst drei weitere Bände (eine Schenkung) hinzu: Des Herrn von Loen redlicher Mann am Hofe oder die Begebenheiten des Grafen von Rivera. Mit einer critischen Beurtheilung und schönen Kupfern versehen, und mit einem Anhang “Freye Gedanken von der Verbesserung eines Staats zur Ausfüllung und Erläuterung der im vor-hergehenden Werk befindlichen Vorschlägen” (Ulm, Frankfurt und Leipzig: auf Kosten der Gaumschen Handlung, 1760), 20, 512 und 36 S.; und ferner: Christoph Heinrich Korns zweibändigen Roman Die tugendhafte und redliche Frau am Hofe in der Geschichte der Henriette von Rivera (Frankfurt und Leipzig: August Lebrecht Stettin, 1770), 300 und 190 S.

Johann Michael von Loen (Leben und Werk) ist in Fachkreisen bekannt. 1694 in Frankfurt am Main geboren, seit 1729 mit Katharina Sibylla Lind-heimer, der Schwester von Goethes Großmutter Textor, verheiratet, war er als Rechtsgelehrter tätig (zeitweise—wie später Goethe—am Reichskammerge-richt in Wetzlar), stand als Staatsbeamter im Dienste Friedrichs des Großen und war als Schriftsteller in weiten Kreisen geachtet. Seine Gesammelten [End Page 590] Schriften (vier Bände, 1749–52) enthalten einflußreiche Essays zu Religion und Politik sowie kritische, zum Teil satirische Darstellungen von Adel und Bürgertum, die maßgebliche Einsichten in die Geschichte der Kultur und Gesellschaft der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts bieten.

Von Loens Roman Der redliche Mann am Hofe (1740) wurde bei seinem Erscheinen mit großem Interesse aufgenommen und von der späteren Forschung vielfach beachtet. Von der ersten Fassung wurden vier Auflagen gedruckt, und 1760 erschien eine zweite, veränderte Ausgabe, die in vielen Zügen, vor allem in der Darstellung der Frauengestalten, die neuen Werte der Empfindsamkeit spiegelt, insgesamt eine Umgestaltung, die noch der sorgfältigen Untersuchung bedarf. 1778 wurden “Die Begebenheiten des Grafen von Rivera” als Auszug und Zusammenfassung der Erzählung im ersten Band der Bibliothek der Romane veröffentlicht, und zwar mit der Be-gründung, daß von Loens Roman, wie die Werke Richardsons und Fieldings, zu den “vorzüglichsten Schriften” der Zeit zähle und sein Verfasser “eine ansehnliche Stelle” unter den Lehrern des Volkes einnehme. In Dichtung und Wahrheit (1. Teil, 2. Buch) erinnert Goethe seine Leser an die günstige Re-zeption des Romans und erläutert dessen Beliebtheit: Dieses Werk, “ein didaktischer Roman,” wurde “gut aufgenommen, weil es auch von den Höfen, wo sonst nur Klugheit zu Hause ist, Sittlichkeit verlangte.” Die germanistische Forschung hat dem Roman einen festen Platz in der Geschichte der Gattung verschafft. Für die Reihe ausgewählter Texte des 18. Jahrhunderts besorgte Karl Reichert 1966 einen Neudruck des Werkes. In ihrer Geschichte des deutschen Romans (1972) behandelt Hildegard Emmel von Loens Roman als ein dem Inhalt nach “modernes Werk,” als “Aufklärungsroman”, der die gemischte Natur des Menschen und seine Bildsamkeit beweise, der sowohl die Reformierung der Gesellschaft als auch die Vervollkommnung des Staats-wesens als realistische Möglichkeit sehe (1:59; 73–81). Und 1992 veröffentlichte Christiane Büchel die “kleine Forschungsgeschichte” Johann Michael von Loen im Wandel der Zeiten. Sie bietet einen analytischen Überblick über die Rezeption des Romans und erfaßt über hundert kritische Beiträge, wovon mehr als sechzig in den letzten drei Jahrzehnten erschienen.

Die Struktur des Romans folgt dem Vorbild des kompliziert verschachtelten Barockromans, der vielfach die abenteuerlichen Lebensläufe einiger der in das Geschehen eingreifenden Figuren als Icherzählungen wiedergibt. Insgesamt, so erläutert von Loen es in seinem Vorbericht von 1769 (6 Seiten) und den einführenden theoretischen Betrachtungen “Die vertheidigte Sitten-lehre durch Exempel” (14 Seiten), ist das Erzählte als realistische Darstellung der empirischen Wirklichkeit zu deuten: “Der Verfasser beschreibet hier die Menschen, wie sie heut zu Tage sind, und wie er selbsten hat Gelegenheit gehabt, sie kennen zu lernen.” Das Werk soll, wie die späteren Romane von Wieland, Goethe und Moritz, psychologische Einsichten vermitteln, des Lesers Kenntnis der Welt fördern und ihn dadurch besser unterrichten, als es “künstlich...

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