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  • Bibliographie für Jean Paul
  • Thomas Schestag (bio)

Ist, wer ein Buch in die Hand nimmt, es aufschlägt, in ihm liest, ein Mensch? Ergänzt und vervollständigt das Buch den sprechenden Menschen zum lesenden, in Schriften lesenden — gesetzt, er liest im Buch —? Oder entstellt und bedroht das Buch die Figur und Freiheit des Menschen — homo liber —, seine Fassung zum sprach-, nämlich sprechbegabten animal rationale, das sich und seinesgleichen sprechen hört, im Sich-sprechen-hören zu sich, zu seinesgleichen und zu Stand zu kommen? Veranschaulicht das Buch die Hemmung, die die Sprache auf dem Weg zum Inbegriff des Menschen aufhält, und die Gestalt des Menschen teilt? Denn das Sich-sprechen-hören bleibt, so sehr der Zusammenstand des Hörenden mit dem Sprechenden, des Sprechenden mit dem Gesprochenen, des Gehörten mit dem Hörenden, von Gesprochenem und Gehörtem versprochen scheint, Anzeichen von Ferenzen, die Überbrückung und Unterbrechung eigentümlich mischen. Zwischen mir und mir, mir und dir, zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Gott, Raum lassen. Mit einem andern Wort: das Buch.

Die Frage nach dem Da und Dasein des Menschen als zoon logon echon hat, zwischen Aristoteles und Heidegger, vor dem Buch immer Halt gemacht. Obwohl diese, unter andern Fragen, im Buch zur Sprache kam und zur Diskussion stand. Die Scheu, das Buch in Fragen miteinzubeziehen, die die ontotheologische Verfassung des Menschen betrafen, erinnert Emmanuel Levinas im Vorwort zu einer Sammlung von Talmudstudien, Au-delà du verset, 1982. Niemals sind das Buch, noch die religiöse Beziehung zum Buch, noch auch der [End Page 465] Lesende in den Rang einer für die Bedingung — oder Unbedingtheit — des Menschlichen unabdingbaren philosophischen Modalität erhoben worden, wie etwa Sprache, Denken, und téchne. Als wäre, so Levinas, das Lesen nur eine unter andern Randerscheinungen im Austausch von Informationen, und das Buch Ding unter Dingen, das als Handbuch — nicht anders als der Hammer — seine Handhabbarkeit bezeugt. 1 Als liefe der Wille, mit der Fassung des Menschen — durch Sprache —, im Satz, zu Rande und zu Stand zu kommen, durch Einbeziehung des Lesens und des Buches in den Aufriß der Gestalt des Menschen Gefahr, außer Rand und Band, Verbindlichkeit und Stand zu geraten.

Wendung zum Buch und Abkehr vom Buch, vor dem Hintergrund eines Buchs der Bücher, findet sich irritierend, zwischen den drei großen, rivalisierenden Monotheismen — Judentum, Christentum und Islam —, an einer Stelle jenes Buchs aus Büchern, von Franz Rosenzweig: Der Stern der Erlösung. Zwischen Bibliophobie und Bibliophilie führt Rosenzweig dort zum Islam aus: „Und wie zum Zeichen, daß die Offenbarung hier im Islam nicht ein lebendiges Ereignis zwischen Gott und Mensch ist, ein Geschehen, in das Gott selber eingeht bis zur völligen Selbstverneinung, göttliches Sichselberschenken, sondern eine frei hingesetzte Gabe, die Gott dem Menschen in die Hände legt, ist hier die Offenbarung von [End Page 466] vornherein das, was sie im Glauben sogar für sein eigenes Bewußtsein erst allmählich und nie ganz wird: ein Buch. Das erste Wort der Offenbarung an Muhamed lautet: Lies! Das Blatt eines Buches wird ihm gezeigt, ein Buch bringt ihm der Erzengel in der Nacht der Offenbarung vom Himmel hernieder. Älter und heiliger als die geschriebene gilt dem Judentum die mündliche Lehre, und Jesus hat den Seinen kein geschriebenes Wort hinterlassen; der Islam ist Buchreligion vom ersten Augenblick an. Das Buch, das vom Himmel herab gesendet wird — kann es eine völligere Abkehr von der Vorstellung geben, daß Gott selber ‘herniedersteigt’, selber sich dem Menschen schenkt, sich ihm preisgibt? Er thront in seinem höchsten Himmel und schenkt dem Menschen — ein Buch”. 2 Das Buch tritt, wie zum Zeichen, daß hier, nämlich im Islam, die Offenbarung kein lebendiges Ereignis zwischen Gott und Mensch ist, zwischen Gott und Mensch. Gott legt dem Menschen das Buch in die Hände, und in diesem Augenblick äußerster Nähe bricht die völlige Abkehr des Gottes, die völlige Abkehr des Menschen an. Das Buch, wie zum Zeichen, einstiger Nähe des Gottes, wird, an Stelle des Gottes, wie des Menschen, jener Gabe oder Übergabe, zum Zeichen des Fehls, von Gott und Mensch, die einander in der Gabe...

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