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  • Elfriede Jelinek in absentia oder die Sprache zur Sprache bringen
  • Maria-Regina Kecht

Elfriede Jelinek war eine Überraschung in der 2004 Auswahl des Nobelkomitees, denn das Prinzip der Avantgarde war bisher in Schweden nicht ausgezeichnet worden. Die Entscheidung der Preisträgerin, eine Videoaufnahme von ihrer Preisrede als virtuelle Präsenz einzusenden, war auch ein Novum im Rahmen der Nobel-Traditionen, jedoch nicht für Jelinek. Unerwähnt blieb in den öffentlichen Reaktionen, dass sie schon bei anderen Preisverleihungen diesen Weg der medialen, aber nicht realen, Anwesenheit eingeschlagen hatte. Im Jahre 2002, zum Beispiel, hatte sie ihre Dankesrede für den Mühlheimer Dramatikerpreis – den Preis des bedeutendsten Festivals deutschsprachiger Gegenwartsdramatik – per Videoeinspielung vorgetragen, und im Jahre 2004 hatte sie ebenfalls diese Technik gewählt, um ihren Dank für den Stig-Dagerman-Preis in Schweden auszusprechen.

Jelineks Entscheidung, nicht nach Stockholm zu reisen und dort den Nobelpreis entgegenzunehmen, gab der deutschsprachigen Feuilletonkritik Anlass zu höhnischen Verrissen oder auch beleidigenden Kommentaren (siehe Janke 35–49 und 82–96). Die Presse, so mag man spekulieren, kann sich bei einer Frau ad hominem Attacken leisten, die im Falle eines männlichen Nobelpreisverweigerers wie Samuel Beckett (1969) unterblieben und bei den Krankmeldungen der Preisträger Jaroslav Seifert (1984) oder Nagib Mahfus (1988) sogar zu teilnahmsvollen Kommentaren führten. Als 2005 Harold Pinter aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls die Reise nach Stockholm absagen musste und seine Rede als Video präsentieren ließ, gab es – was meine Vermutung bestätigen dürfte – keine Anfehdungen wie die, mit denen die Presse auf Jelineks Entscheidung reagierte.

Das Sich-Zurückziehen von diversen "Medien-Katastrophen" der Zur-Schau-Stellung ist programmatisch für Jelinek. Sie hat wiederholt betont, dass öffentliches Lesen von ihren Werken mit einem unerträglichen Schamgefühl verbunden sei und einem exhibitionistischen Akt gleichkomme. Für sie sei auch die Geschlechtsdimension dieses Voyeurismus höchst problematisch. "Die Frauen sind diejenigen, die man anschaut. Das ist etwas, wo man eindringt. Sozusagen mehr Körper hat als ein Mann, der sich selbst vergeistigt und damit den Geist in die Flasche zurückziehen kann" ("Nichts ist verwirklicht" 126). [End Page 351] Tatsächlich vermeidet Jelinek öffentliche Auftritte oder Lesungen; lediglich für politische Anliegen stellt sie sich bisweilen auf ein Podium. Gleichzeitig jedoch ist ein breit angelegtes Medien-Image von der Schriftstellerin geformt worden – gefördert durch Jelineks "Strategien des Tarnens, Täuschens und Verstellens" ("Nichts ist verwirklicht" 128) – das den letzten Eigenwert an Wahrheit und Unversehrtheit schützen soll und damit der ungemein scheuen Privatperson Elfriede Jelinek einen Ort garantieren möge, der – wie der Titel der Nobelpreisrede so deutlich ausdrückt – "Im Abseits" anzusiedeln ist. Der Rückzug ins Abseits, die Verwahrung des "Originals" Elfriede Jelinek, ist das Paradoxon gegenüber den massenhaften Abbildungen/Repräsentationen und damit dem Konsum der Persona Elfriede Jelinek – von Fotos in Zeitungen, Titelbildern in Zeitschriften, FPÖ Plakatwänden bis zum digitalen "talking head" bei der Nobelpreisverleihung.

Dieser Aufsatz geht auf Folgendes ein, nämlich auf die Verbindung zwischen Jelineks praktiziertem "Modell der konsequenten Verlagerung" (März 60) – von der realen Absenz der eigenen Person zur meisterhaften Gestaltung eines Subjekts, das nur als Abbild oder Projektion erreichbar ist – und ihrer Diskussion von Dichtung und Sprache, ihrem poetologischen Konzept, wie sie es im Nobelvortrag präsentiert. Ich glaube nämlich, dass die Choreographie des virtuellen Nobelauftrittes die Grundzüge der Poetologie repliziert, nach der Jelinek als Subjekt oder subjektive Stimme zu verschwinden sucht, um der Sprache – und dessen "Mehrdeutigkeit des dichterischen Sagens" (Heidegger, "Die Sprache im Gedicht" 74) – volle Präsenz einzuräumen. Sie selbst will im Abseits stehen und auf die Sprache hinhören, während anderswo der Trubel herrscht und die Feierlichkeiten ihren Lauf nehmen. "Es ist das Abseits, in das ihre Sprache ihr den Weg gebahnt hat" (Spiegel 39), auch wenn man in einem anderen Sinn behaupten könnte, dass die Nobelpreisverleihung die Autorin ins Zentrum gerückt habe.

Von zentraler Signifikanz für Jelineks Reflexionen zu ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit und zur (dichterischen) Sprache ist das Denken des späten Heidegger. Für Jelinek-LeserInnen entbehrt die in der Nobelpreisrede veranschaulichte dialogische Auseinandersetzung mit dem Philosophen nicht einer gewissen (werkbezogenen) Ironie, da Jelinek hier vorwiegend Konsens mit...

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