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  • "So stirbt der Eskimaux an seinem Marterpfahl":Männliches Heldentum zwischen Stoizismus und Expressivität bei Winckelmann, Lessing und Herder
  • Michael Gratzke

Dieser Artikel beschäftigt sich mit Konzepten männlichen Heldentums in deutschsprachigen Diskursen des 18. Jahrhunderts und der Frage nach einer spezifi sch deutschen Auffassung von Heldentum und Heldenverehrung. Einige Autoren, wie Emilio Willems und George L. Mosse, behaupten die Existenz anthropologischer oder kultureller Konstanten in Männlichkeitsbildern, die in Preußen-Deutschland notwendig zu einer militaristischen Grundhaltung und Überbetonung des Kriegshelden geführt habe. Mosse identifi ziert dabei ein dominantes Klischee von starker Männlichkeit, das in Winckelmanns Darstellung des Griechen seinen Anfang genommen habe und sich bis heute im Kern gegen seine Gegenbilder wie Juden, Zigeuner, Schwule und Dekadente behaupte (29–39). Die zentrale Figur in Winckelmanns, Herders und Lessings Debatte um das griechische und zeitgenössische Heldentum ist Laokoon, über den Mosse apodiktisch schreibt: "Laocoön and his sons came to symbolize self-control as part of true male heroism" (29). Damit reduziert er Laokoon auf nur einen Aspekt, den der Selbstkontrolle. Zwar räumt Mosse ein, man könne die Laokoondeutung Winckelmanns auch auf den Ausdruck der äußersten Spannung hin lesen und die Homosexualität des Kunsthistorikers berücksichtigen, doch die Parallelen zwischen der Verherrlichung des Männerkörpers bei Winckelmann und im preußisch-deutschen Militarismus bewiesen die Allgemeingültigkeit der Auffassung, dass männliches Heldentum im deutschen Diskurs in erster Linie auf der Verneinung von Expressivität beruhe (32–33). Im vorliegenden Artikel wird jedoch gezeigt, dass Willems' und Mosses Generalisierungen der ästhetischen Debatte nach 1750 Gewalt antun und damit die kulturelle Auseinandersetzung um historische Begriffe von männlichem Heldentum im engeren und Männlichkeit im weiteren Sinne verfehlen. Im Gegensatz zu Mosses Annahme einer ungebrochenen Traditionslinie von Winckelmann bis zum preußisch-deutschen Militarismus lässt sich nachweisen, dass Begriffe wie Männlichkeit, Heldentum und Vaterland um die Mitte des 18. Jahrhunderts in [End Page 265] einem Klärungsprozess begriffen waren, der eine Vielzahl von ausdifferenzierten Männerbildern hervorbrachte.

Die soziale Trägerschicht dieser Diskurse war auch nicht in erster Linie der Adel, also die Trägerschicht des Militarismus, sondern vornehmlich das Bürgertum, das seine eigenen Interessen verfolgte. Wir haben es hier mit einer sozialen Arbeitsteilung von Erfahrung und diskursiver Verarbeitung von Erfahrung zu tun. Die Akteure in den militärischen Auseinandersetzungen der Zeit waren fast ausschließlich Adelige, die das Offi zierskorps stellten, und Angehörige der unteren sozialen Schichten, etwa in den berühmten Linien der Infanterie. Die Erfahrung des Kriegseinsatzes und der Front als Voraussetzung für männliche Tapferkeit war im Siebenjährigen Krieg also weitgehend adligen Männern vorbehalten, während die publizistische und schriftstellerische Verherrlichung des Heldentums in den Wirkungsbereich von Männern bürgerlicher Herkunft fi el. In der Literatur wurde die Erfahrung der Schlacht also mediatisiert und zugleich einer sozialen Transformation unterzogen. Die Betonung lag in diesem bürgerlichen Diskurs nicht, wie Mosse annimmt, auf der Verneinung von Expressivität, sondern auf dem Umgang mit der Expressivität.

Im empfi ndsamen Toten- und Gefallenenkult, den die bürgerlichen Dichter nach 1750 inszenierten, zeichnet sich auch schon der Typus des bürgerlichen Opferhelden ab, den später Theodor Körner verkörpern sollte (Gratzke; Schilling 22–27). In gewissem Sinne starb Körner den Tod für das Vaterland, den die bürgerlichen Dichter um die Mitte 18. Jahrhunderts versprochen hatten, als sie mit anmaßendem Selbstbewusstsein Leier und Schwert als Symbole des Heldentums parallelisierten. Am deutlichsten formulierte Thomas Abbt diese Haltung in der Schrift Vom Tode für das Vaterland aus dem Jahre 1761, in der das bürgerliche Individuum dem Staat sein Opfer in Aussicht stellt und daraus den Anspruch auf Staatsbürgerschaft bekräftigt (vgl. Bödecker 221–45).

Schriftsteller wie Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Karl Wilhelm Ramler, Johann Peter Uz, Christian Felix Weisse und Gotthold Ephraim Lessing arbeiteten in engem briefl ichen und persönlichen Kontakt an der Erfi ndung des preußisch-deutschen Patriotismus in der Literatur. Ihre Antworten auf die Frage nach der Stellung des Bürgers in diesem Diskurs fi elen unterschiedlich aus. Sie reichten von Lessings vorsichtigem Taktieren, das ihm die Wahl zwischen Kosmopolitismus...

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