University of Wisconsin Press
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  • Body and Narrative in Contemporary Literatures in German: Herta Müller, Libuše Moníková, Kerstin Hensel
Body and Narrative in Contemporary Literatures in German: Herta Müller, Libuše Moníková, Kerstin Hensel. By Lyn Marven. Oxford: Oxford University Press, 2005. xi + 282 pages. $95.00.

Im Kontext der reichhaltigen Forschungsliteratur zum Thema "Körper" in literarischen Texten zeichnet sich Marvens Studie dadurch aus, daß sie ihre Aufmerksamkeit zu gleichen Teilen auf die in Figuren und Handlungen dargestellte Körperlichkeit—in Genette's Begrifflichkeit: histoire—und auf die Untersuchung des "Textkörpers," also der erzähltechnischen Strategien—bei Genette: discours —richtet, sowie deren komplexe Beziehung zueinander. Die Arbeit besteht aus einer längeren Einleitung in die sozialhistorischen und politischen Kontexte sowie in die nutzbar gemachten Theorien, drei ungefähr gleich langen Kapiteln, die jeweils dem Werk der untersuchten Autorinnen gewidmet sind, einem kurzen, zusammenfassenden Schlußkapitel, sowie ausführlicher Bibliographie und Index.

Marven begründet ihre Auswahl der Autorinnen mit ihrer Herkunft aus den früheren Ostblockländern und der Existenz unter einem totalitären, repressiven Regime, die schließlich zum "Trauma der Entortung" (Bronfen) führt. Zusammen mit geschlechtsspezifischen Erfahrungen beeinflußt dies die dargestellten Körperbilder sowie die Erzählstrategien, die traumatische Erlebnisse auch auf der formal-diskursiven Ebene umsetzen. Feministische Theorien von Adelson, Weigel, Irigaray, Kristeva, Butler und Bronfen zum Nexus von Körper und Text werden auf ihre Brauchbarkeit abgetastet. Der Begriff des Traumas wird schließlich als die allem zugrundeliegende Erfahrung gesehen, die dann im Werk Herta Müllers als Reaktion auf die Repressionen relativ direkt ihren Ausdruck findet. Hysterie wird als performatives Ausagieren des Traumas definiert und als häufiges Thema sowie Grundstruktur der Texte Moníkovás gesehen. Und das Groteske, im Unterschied zu Trauma und Hysterie eine literarische Form, wird als Hensels bevorzugte Methode betrachtet, traumatische Erfahrungen zu repräsentieren oder ihren Effekt subversiv zu unterlaufen und abzuwehren.

Traumatische Symptome, die aus der permanenten Überwachung durch die rumänische Staatssicherheit resultieren, zeigen sich in Herta Müllers Texten in der [End Page 124] Auflösung der Grenze zwischen Körper und Welt, die schließlich zu einer Fragmentierung des Körpers und Dissoziation von ihm führen. Fragmentierung, Dissoziation und Grenzverwischung sind auch erzähltechnisch repräsentiert, und zwar durch Parataxe, Textlücken und Bilderketten, die von der 'realen' Ebene der histoire nahtlos in die rein diskursiv konstruierte surreale Metaphorik übergehen. Fragmentierung zeigt sich außerdem visuell in Layout und Typographie und findet schließlich ihren extremsten Ausdruck in den Collagen Müllers, die die Themen Emigration, Krieg, Selbstmord und Tod in Form ausgeschnittener Teile von Bildern menschlicher Figuren und von gedruckten Texten darstellen.

Im Werk Moníkovás findet das Trauma seinen Ausdruck nicht in der Fragmentierung des Körpers sondern im Körper, der spricht, im Körper, der sein Trauma psychosomatisch veräußert, im Körper, der schließlich performativ zur Allegorie persönlicher oder nationaler Verwundungen wird. Die für die hysterische Reaktion typische Mimikry, Imitation oder Simulation verkehrt das aus der Exilsituation und der patriarchalischen Marginalisierung entstandene leere Zentrum in die Performance anderer Identitäten, die auch in den zahlreichen intertextuellen und intermedialen Referenzen präsent sind, wie z.B. auf Kafka oder Riefenstahl. Das Theatralische der Performance zeigt sich auf der Textebene zusätzlich in der Verwendung parodistischer Schreibweisen und vielleicht sogar in der Wahl der Fremdsprache Deutsch als literarischer Sprache.

Hensels Œuvre wird mithilfe von Theorien des Grotesken, vor allem von Kayser und Bachtin, angegangen. Ihr Figurenensemble weist eine hohe Zahl von Charakteren mit physischen oder psychischen Symptomen oder Exzentrizitäten und Verhaltensstörungen auf, die gekennzeichnet sind durch übertrieben verzerrte Körperlichkeit, bizarre Handlungen, extreme Überschreitungen der gesellschaftlich akzeptierten Geschlechtergrenzen sowie Exzesse beim Essen und Sex. Auf der Ebene des discours tragen Ironie, Humor, Komik, hyperbolische Metaphorik, parodistische oder bis ins Zusammenhanglose eines Montage-Romans verzerrte Plots dazu bei, auch die Erzählformen und die Sprache ins Groteske zu verschieben. Das Groteske in Form und Inhalt der Henselschen Texte wird als Kritik, Widerstand und subversive Unterwanderung der DDR-Ideologie und ihrer Diskrepanz zur realsozialistischen Wirklichkeit gelesen.

Im kurzen Schlußkapitel faßt Marven für jede Autorin die Ergebnisse ihrer Analyse zusammen und stellt die in den Werken präsenten Strukturen der Fragmentierung, der Performance und der Parodie in den Kontext postmoderner Erzählstrategien, die oft die politischen und historischen Gegebenheiten des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts reflektieren. Sie erläutert noch einmal die Gemeinsamkeiten der drei Konzepte Trauma, Hysterie und Groteske und weist ihr jeweiliges Vorkommen in den Texten aller drei Autorinnen nach, also z.B. auch die Verwendung des Grotesken bei Müller und Moníková.

Die Stärke von Marvens Studie liegt in der Fähigkeit der Literaturwissenschaftlerin, genaue Textanalysen effektiv mit politisch-historischer Kontextualisierung zu verbinden und in der Art und Weise, in der sie theoretische Konzepte aus Psychoanalyse und Feminismusforschung für die Interpretation der repräsentierten Körperbilder sowie des von den Autorinnen geschaffenen Textkörpers fruchtbar macht. Marvens Untersuchung bietet keine Gesamtanalyse des Werkes der Autorinnen, liefert jedoch eine genaue und tiefgehende Analyse des gewählten Aspektes und besonders des Zusammenhangs zwischen den dargestellten Körperbildern und den verwendeten [End Page 125] Erzählstrategien. Da in dieser Studie das Werk von drei Autorinnen besprochen wird, hätte man sich häufigere Vergleiche und Verweise zwischen den drei Autorinnen in den drei Hauptkapiteln gewünscht—dies geschieht aber hauptsächlich im Einleitungs- und Schlußkapitel (der Index ist hier hilfreich, erfaßt aber nicht alle Stellen, an denen Querverweise dann doch existieren). Auch hätte der eine oder andere Verweis auf das Körperthema oder die Erzählstrategien in Texten anderer Autoren und Autorinnen desselben Zeitraums die Situierung ihres Werkes in der gesamtdeutschsprachigen Literatur bereichert.

Marvens Untersuchung spricht ein Lesepublikum aus den Wissenschaftsbereichen Germanistik, feministische Literaturwissenschaft, Minoritäten-/Migrantenliteratur und Kulturwissenschaften an, das nach einem gelungenen Beispiel für die Fruchtbarmachung von Theorien nicht nur aus der feministischen Wissenschaft und der Erzählforschung, sondern auch aus der Psychoanalyse (Hysterie- und Trauma-Theorien) sucht und sich für die drei Autorinnen, die literarische Repräsentation der Effekte totalitärer Regimes und geschlechtsspezifischer Körperbilder interessiert. Die weitausgreifende und doch effektiv in die Textanalyse integrierte theoretische Fundierung liefert ein gelungenes Modell für literaturwissenschaftliches Arbeiten im größeren Kontext einer kulturwissenschaftlich orientierten Germanistik und leistet einen ausgezeichneten Beitrag zur Forschungsliteratur über die drei Autorinnen und die Gegenwartsliteratur von Frauen. Die genaue Herausarbeitung der für jede Autorin spezifischen Repräsentationsweisen und Erzähltechniken demonstriert überzeugend die immense Skala literarischer Fähigkeiten und trägt damit bei zur Ausdifferenzierung der "Literatur von Frauen" und von AutorInnen, die oft pauschal bestimmten Kategorien zugeordnet werden, in die sie nicht oder nur zum Teil gehören.

Helga G. Braunbeck
North Carolina State University

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