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  • Die Folter in der Literatur. Ihre Darstellung in der deutschsprachigen Erzählprosa von 1740 bis 'nach Auschwitz.'
  • Jörg W. Schröder
Sven Kramer . Die Folter in der Literatur. Ihre Darstellung in der deutschsprachigen Erzählprosa von 1740 bis 'nach Auschwitz.'München: Fink, 2004. 527 S. Euro 64. ISBN 3-7705-3895-1.

Sven Kramers Habilitationsschrift zur Folterdarstellung in der Literatur zeugt von großer Belesenheit und methodischer Durchdringung. Sie umfasst den Zeitraum von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Herangehensweise ist im Wesentlichen diskursanalytisch und stützt sich auf Prinzipien von Michel Foucault. Kramer macht klar, dass der literarische Diskurs über die Folter nur im Zusammenwirken mit anderen Diskursen untersucht werden kann (dem juridischen, politischen, dem ästhetischen, dem kriminologischen und dem medizinisch-traumatischen). Das wechselhafte Zusammenspiel dieser Diskurse bildet die Grundlage für die Analyse von literarischen Epochen und einer Vielzahl von Einzelwerken. Kramer betreibt diese Analysen aus der Perspektive eines Nachkriegsautors, der wiederholt auf die Aktualität des Themas "Folter" aufmerksam macht. Anstatt die untersuchten Zeiträume hermetisch abzugrenzen, zeigt er langfristige (internationale) diskursgeschichtliche Entwicklungen auf, die für die literarische Folterdarstellung wirksam waren und immer noch sind. Aus dem vorhandenen Forschungsbericht geht hervor, dass eine solche Studie bislang ausstand.

Im ersten von insgesamt sieben Kapiteln macht Kramer seinen Forschungsgegenstand und seine Methode klar. Er stellt den literarischen Diskurs über die Folter vor und gibt eine brauchbare Definition des Begriffs. Eine seiner stärksten Thesen wird vorweggenommen: im Laufe der Zeit habe das Folteropfer dem äußerlichen Körperschmerz immer weniger an innerer Willenskraft entgegensetzen können. Diese These ist ein roter Faden durch die Studie.

Ab 1740 beginnt die juristische Abschaffung der Folter in Preußen. Die Folter-darstellung in der Literatur wird insbesondere von einem aufklärerischen, bürgerlichen "Abschaffungsdiskurs" beeinflusst. Diese Gegenbewegung führt dazu, dass Folter-darstellungen in der Literatur ausgespart werden. Kommt es doch zur Darstellung, zeigt sich die Literatur im Gegensatz zur Politik optimistisch: das Individuum besteht die barbarische Tortur kraft seiner Vernunft. Gemildert wurden solche Beschreibungen jedoch durch den ästhetischen Diskurs (u. a. den Laokoon-Diskurs) und moralisch-christliche Vorbehalte. Kramer zeigt das an einem großen Korpus, vor allem an Werken von Christian F. Gellert und Friedrich Schiller. [End Page 173]

Das gewaltsame Ende der Revolution in Frankreich führt dazu, dass sich der juridische und der politische Diskurs radikal gegen die Folter wenden und sie deshalb in der Literatur seltener thematisiert wird. Am Werk der Autoren Heinrich von Kleist, E. T. A. Hoffmann, Ludwig Tieck und Friedrich Nietzsche werden nun aber entscheidende Veränderungen im literarischen Folterdiskurs gezeigt: der Wahrheitswert von erfolterten Geständnissen wird zunehmend durch die Machtstrukturen und Interessen der Täter "verfälscht." Der literarische Folterdiskurs psychologisiert und zeigt erstmals tiefgreifende psychische Ver-letzungen der Opfer. Sacher-Masochs Phantasien hingegen weisen auf eine Verbindung zwischen Schmerz und sexueller Lust hin. Noch vor Beginn des 20. Jahrhunderts stellt Nietzsche die Weichen für eine Ästhetik des Hässlichen in der Folterdarstellung.

Die Untersuchung des Zeitraumes zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Machter-greifung der Nationalsozialisten 1933 leitet Kramer mit einem detaillierten Überblick über die historische Entwicklung einer politischen Polizei ein. Politische Abweichler wurden mit Hilfe dieses Machtapparates in zunehmend engeren Schranken gehalten. Diese Entwicklung prägte die Folterdarstellung in der Literatur. Ähnlich bedeutsam war das Ereignis des Ersten Weltkrieges, dessen übermächtige Tötungsmaschinerien für das Individuum nur ein anonymes Massenschicksal vorsahen. Kramer stellt fest: "Die christlich-religiöse Diskursregel, daß das Leiden, auch das physische, im letzten Grunde vom Heil umfaßt sei und in dieses münde, verlor sukzessive ihre Verbindlichkeit" (370). Die Fortführung einer Ästhetik des Hässlichen wird nun am Werk von Ernst Jünger, Hans Henny Jahnn und Franz Kafka beschrieben. Es gelingt Kramers Diskursanalyse, wichtige Schriften dieser Autoren ins Licht der literarischen Foltergeschichte zu rücken und damit wertvolle Hinweise zu ihrem Verständnis zu geben.

Das Hässliche in der Folterdarstellung wird später aus Rücksicht der Schriftsteller gegenüber den Opfern des nationalsozialistischen Unrechtsstaates zurückgenommen. Zwischen 1933 und 1941/42 beschränkten sich die meisten Autoren auf eine Anprangerung der inhumanen Herrschaftsausübung und benutzten...

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