University of Toronto Press
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Paul Michael Lützeler . Freundschaft im Exil. Thomas Mann und Hermann Broch. Thomas-Mann-Studien, Band 31. Frankfurt/M.: Klostermann, 2004. 246 S. Euro 39. ISBN 3-465-03312-7

Nur wenige wissenschaftliche Aufsätze vergleichen die Romane Thomas Manns und Hermann Brochs. Die Beziehung zwischen dem weltberühmten hanseatischen Schriftsteller und dem erst spät zur Literatur gekommenen und heute fast nur in In-siderkreisen bekannten Wiener Autor sind bisher von den jeweiligen Forscherzirkeln kaum wahrgenommen worden. Dabei war eine Rezension zum Tod in Venedig Brochs erste Veröffentlichung überhaupt, und diese Novelle hatte, nicht anders als später die Joseph-Romane, einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das literarische Schaffen Brochs. Auf der anderen Seite las Thomas Mann Brochs Schlafwandler-Trilogie und kannte dessen Vergil-Roman durch verschiedene Privatlesungen Brochs im Hause Mann bereits in seinen frühen Stadien. Doch die Verbindung der beiden Autoren ging weit [End Page 87] über das Literarische hinaus: Im amerikanischen Exil kooperierten sie bei Hilfsaktionen für europäische Flüchtlinge und Exilierte sowie beim Verfassen politischer Pamphlete und Grundsatzerklärungen. Angesichts dieser Berührungspunkte erstaunt es, dass das Verhältnis Mann-Broch bisher nicht näher ins Auge gefasst wurde.

Paul Michael Lützeler, international geachteter Kenner und verdienstvoller Herausgeber der Werke Brochs, schafft mit dem 31. Band der vom Thomas-Mann-Archiv in Zürich herausgegebenen Thomas-Mann-Studien Abhilfe. Sein Buch Freundschaft im Exil vereint nicht nur die gesamte Korrespondenz zwischen Thomas Mann und Hermann Broch: zehn Briefe von Mann an Broch (davon zwei bisher unveröffentlicht) und zehn Briefe von Broch an Mann (wobei auf beiden Seiten eine Reihe von Briefen verloren gegangen sein muß); der mustergültig edierte Band enthält auch sämtliche Briefe der beiden Autoren an Dritte, in denen sie den Kollegen erwähnen; sowie Essays, Stellungnahmen, Tagebucheintragungen und Aufsätze, in denen der andere eine Rolle spielt. Daneben bietet der schön aufgemachte Band eine instruktive Einleitung, einen hilfreichen Anhang mit einem umfassenden Personenregister und vor allem informative Kommentare und Erläuterungen zu den Briefen und Dokumenten.

Im Zusammenhang der in diesem Band vereinten Schriften wird deutlich, wie Hermann Broch, der bürgerliche Literatur in zahlreichen Aufsätzen ebenso bekämpfte wie berufliches und damit zur laufenden Produktion verpflichtetes Literatentum, einen in braver Regelmäßigkeit publizierenden bürgerlichen Schriftsteller wie Thomas Mann überhaupt akzeptieren, ja verehren konnte. Zuerst musste Broch, wohl nicht ohne ein Quentchen Neid, schlicht die Meisterschaft Manns anerkennen; dann verkörperte der bei einem Massenpublikum erfolgreiche Romancier aber auch Brochs Idee des sozial verantwortlichen Schriftstellers – im Gegensatz zu dem nur für eine schmale avantgardistische Gemeinde experimentierenden James Joyce. Da Thomas Mann 1938 Hermann Broch zu einem amerikanischen Visum verholfen hatte, kam auf Brochs Seite schließlich auch Dankbarkeit hinzu. Obwohl Mann für Broch immer eine Größe blieb, an der man sich als Mitglied der schreibenden Zunft zu messen hatte, macht der Band die Unterschiede zwischen den beiden deutlich: hier der seiner Mittel sichere und Lesererwartungen durchaus respektierende Erfolgsaustor; dort der stets zu neuen Experimenten bereite, von Roman zu Roman eine neue Form versuchende Autor, die Gefahr des Scheiterns oder des Misserfolgs bewusst eingehend. Thomas Mann war nicht ohne Bewunderung für Broch, doch blieb seine Haltung gegenüber dem Wiener immer ambivalent. So stellt der Tod des Vergil für ihn zwar "eine kühn konzipierte, originelle und erstaunliche Schöpfung" (132) dar, die "bewundernswerte Höhen des Ausdrucks" (90) erreiche, ist ihm aber zugleich (wie er am 22. Mai 1940 seinem Tagebuch anvertraut) eine "merkwürdige Musik" (110) und ein "pausen- und atemloser Strom von noble ennui" (118). Auch als Thomas Mann 1951 von Brochs amerikanischem Freund Alvin Johnson gedrängt wurde, Broch für den Literaturnobelpreis vorzuschlagen, zeigt er Vorbehalte: Zwar unterstützt er in seinem umfangreichen Antwortschreiben am Schluss das Anliegen Johnsons, doch erst nach langen Vorreden, in denen er berichtet, dass nicht wenige und nicht die dümmsten Leser Broch für "abstruse and sophistical" (214) hielten und daran erinnert, dass auch andere Größen von Stockholm vergessen worden seien: Das Übergehen von Broch sei entschuldbarer als die Vernachlässigung von Ibsen, Strindberg und Tolstoi und – so Mann in kühner Gedankenakrobatik – vielleicht sei, was Broch der Welt zu sagen habe, noch nicht reif, wie auch die Welt noch nicht reif für Broch sei. Die Sache zerschlug sich dann ohnehin, da Broch noch im selben Jahr starb. [End Page 88]

Ob von einer Freundschaft im Exil, wie der Titel suggeriert, wirklich die Rede sein kann, ist fragwürdig. Zu unterschiedlich war die Situation der beiden Autoren: Als sie sich 1938 in Princeton trafen, logierte Thomas Mann in einer Villa mit zehn Räumen und fünf Badezimmern, während Broch in einer winzigen Kammer hausen musste. Es entsteht eher das Bild einer durch das Schicksal bewirkten Verbundenheit, die sich schließlich auch in gemeinsamen Aktionen gegen den Nationalsozialismus manifestierte, wobei Mann besondere Achtung vor Broch dem Psychologen des Massenwahns zeigte, auch wenn er in Brochs theoretischen Schriften die aktuelle Verwertbarkeit vermisste. Es entsteht das Bild von gegenseitigem Respekt und von Anteilnahme an den Arbeiten des anderen. Immerhin gehörte Broch in den Princetoner Jahren (1938–1941) zum engeren Bekanntenkreis der Familie Mann und übernahm sogar die Rolle des Trauzeugen bei der Heirat der jüngsten Mann-Tochter Elisabeth. Auch stand Broch immer auf der Besucherliste, wenn Thomas Mann später von seinem kalifornischen Domizil an die Ostküste reiste. Doch waren die beiden Schriftsteller nicht nur in Hinsicht auf Alter und Bekanntheit, sondern auch in ihrem Naturell zu verschieden, um sich wirklich ganz nahe zu kommen. "Bei aller Hochachtung, die sie einander bewahrten," so das einleuchtende Resümee Lützelers, "bei allem generellen Respekt blieb im literarischen wie im politischen Bereich immer das Bewusstsein einer Differenz" (29). Für Broch war Thomas Mann letztlich zu sehr Dichterfürst und selbsternannter Repräsentant der deutschen Nation, er sah um den Nobelpreisträger den "Zaubermantel der Ungemütlichkeit" (199) wehen. Dennoch – und dies ist ein weiterer spannender Aspekt, der durch Lützelers Band zutage tritt – zeigte sich Broch loyal, als Thomas Mann in der Nachkriegszeit von Frank Thiess im Zuge des Streites zwischen Schriftstellern des Exils und der inneren Emigration heftig angegriffen wurde. Da Broch sich sowohl Mann als auch Thiess (der ihm bei der Schlafwandler-Trilogie mit vielen praktischen Hinweisen geholfen hatte) verpflichtet fühlte, erforderte seine Haltung in diesem Konflikt, wie Lützeler schreibt, "viel diplomatisches Geschick" (24), was Broch denn auch mit viel Noblesse bewies. Die von ihm sicher begehrte Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, wo Thiess als Vizepräsident amtierte, scheiterte, weil Broch dem berühmteren Kollegen den Vorzug lassen wollte.

Paul Michael Lützelers vorbildlich zusammengestellter Band verschafft dem Leser nicht nur ein komplexes und facettenreiches Bild über das Verhältnis der beiden so verschiedenen Autoren, er bietet auch einen guten Einblick in Diskussionen und Aktionen der deutschsprachigen Schriftsteller im US-amerikanischen Exil. Wer sich mit einem der beiden Autoren oder mit Forschungen zum Exil befasst, sollte dieses Buch in seinem Regal stehen haben.

Jürgen Heizmann
Université de Montréal

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