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  • Philosophiegeschichte als philosophisches Problem. Kritische Überlegungen namentlich zu Kant und Hegel
  • Joachim Landkammer
Petra Kolmer , Philosophiegeschichte als philosophisches Problem. Kritische Überlegungen namentlich zu Kant und Hegel. Freiburg/München: Alber Philosophie, 1998. Pp. 423. Cloth, DM 98.00.

Das Thema verführt zu paradoxen und widersprüchlichen Selbstbezüglichkeiten: die systematische Frage, wie sich die Philosophie zu ihrer Geschichte verhält (eine Frage, die so alt ist wie die Geschichte der Philosophie selbst) kommt ihrerseits um philosophiegeschichtliche Erörterungen nicht herum. Der daher eigentlich naheliegenden Einsicht, daß die Philosophie ihre eigene Geschichte ist, bzw. daß „Philosophieren" immer bedeutet, Philosophiegeschichte zu betreiben, möchte Kolmer durch ein Plädoyer für eine sozusagen „philosophiefreie", d.h. - nun in ihren Worten - eine „‚bloße' Philosophiehistorie" (379 u.ö.) entgegentreten. Unter lockerer Anlehnung an die skeptischen und anti-idealistischen Individualitäts- und Endlichkeitsphilosopheme von Odo Marquard und Hans Michael Baumgartner, soll die Philosophiegeschichte „als der Philosophie gegenüber eigenständige Wissenschaft" (57) alternativ und konträr zu einer durchwegs platonistisch-teleologisch konzipierten „Philosophiegeschichtsphilosophie" aufgefaßt werden, um so pluralistische Deutungsmöglichkeiten und weitere philosophische Entwicklungen („offene Zukunft") zuzulassen, zeitbedingte Kontexte mitzuberücksichtigen, [End Page 445] randständige Philosophen vor dem Vergessen zu bewahren (vergleichbar dem Problem der „Kleinmeister" in der Musikgeschichte) sowie das vorrationale und irreduzibel Individuelle zu seinem Recht kommen zu lassen. Warum diese hehren Ziele aber nur durch eine Abkoppelung von „der" Philosophie überhaupt und nicht lediglich durch die Abkehr von einer bestimmten, zum Teil ja vielleicht wirklich geschichtsphilosophisch „verseuchten" Tradition der Philosophiegeschichte zu erreichen sein sollen, bleibt allerdings unklar.

Immerhin unternimmt Kolmer beachtenswerte interpretatorische Anstrengungen, um in den philosophiegeschichtlichen Teilen ihrer Arbeit Hintergründe und Vorausssetzungen derjenigen Konzeptionen von Philosophiegeschichte herauszuarbeiten, die das Kontrastprogramm zu ihrem Plädoyer für eine philosophisch abstinente Philosophiegeschichte darstellen: dabei werden drei kurz abgehandelten zeitgenössischen Positionen (H. Lübbe, L. Braun, J. Mittelstraß) die eingehender besprochenen Theorien der Philosophiegeschichte von Hegel und Kant (in dieser Reihenfolge!) an die Seite gestellt. Der letztgenannte scheint v.a. mit seinen in den Nachlaßaufzeichnungen dokumentierten Intentionen einer „philosophierenden Geschichte der Philosophie" die gemeinsame Plattform der genannten Theorien zu bilden; denn zum einen berufen sich die erwähnten zeitgenössischen Philosophiegeschichtstheoretiker explizit auf ihn, zum anderen liegen deutliche Analogien vor zwischen Kants Anspruch auf definitive Schlichtung aller vorausgegangenen (und noch auftauchenden) philosophischen Streitigkeiten durch den endgültigen (weder Fichtesche noch sonstige „Nachbesserungen" erfordernde) Richtspruch der kritischen Vernunft einerseits und Hegels Behauptung der „Aufhebung" der gesamten philosophiegeschichtlichen Vergangenheit im System des absoluten Geistes andererseits. Um nun Kant von diesen idealistischen Vereinnahmungen zu befreien und ihn ihrem eigenen Projekt wieder anzunähern, versucht nun Kolmer, diese Strukturähnlichkeit dadurch einzuschränken und zu differenzieren, daß sie auf der einen Seite die heutigen Theorien der Philosophiehistorie generell unter Hegelismus-Verdacht stellt (es handle sich um implizite „Theorien der geschichtlichen Vernunft"), auf der anderen aber den Graben zwischen Hegel und Kant tiefer zieht (ganz anders die Konstanzer Dissertation von Jung-Min Kang, Philosophische Philosophiegeschichte von 1998.) Dafür muß man aber bei der Kant-Exegese wegen der geringen Textbasis relativ weit ausholen und die Konfrontation mit Hegel auf allgemeinere geschichtsphilosophische Theoreme verlagern. Die Autorin übersieht dabei großzügig, daß diese sich nicht ohne weiteres auf die spezielle Programmatik der Philosophiegeschichte übertragen lassen, weswegen es hier des öfteren zu interpretatorischen Schnellschüssen und Oberflächlichkeiten kommt. Daß aber ein Buch, das für „historische Bildung" und für eine vorurteilslose („nichtkonzeptualistische") „Arbeit an den Texten" (82) plädiert - die monistisch-idealistische Philosophiegeschichtsphilosophie sei der kompensatorische Versuch, „mit allen Texten, die man nicht selbst verfaßt hat, grundsätzlich schon fertig zu sein, noch bevor man sie gelesen hat" (399) - darüberhinaus eine gewisse Schlampigkeit im Umgang mit den interpretierten Schriften an den Tag legt, entzieht dem Plädoyer für die anti-spekulative „literarische Einstellung zu Texten" (81) das historistisch-philologische Fundament. So will die Autorin auf S. 333 die Sicht Kants auf den vorkritischen Zustand der Philosophie u.a. mit einem Zitat aus Kants Streit der Fakultäten [End Page 446] belegen, wo („A 44") die Rede sei vom „Krieg, d.i. Zwietracht aus der Entgegensetzung der Endabsichten in Ansehung des gelehrten Mein und Dein". Im Wortlaut steht bei...

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